Identität

Rückkehr nach Berlin

Die Politikwissenschaftlerin Donna Swarthout stellt in ihrem Buch zwölf Geschichten von Kindern und Enkeln von Schoa-Überlebenden vor. Foto: Rolf Walter


Es sind Geschichten der Rückkehr, die Donna Swarthout in ihrem Buch A Place They Called Home. Reclaiming Citizenship. Stories of a New Jewish Return to Germany zusammengetragen hat. Es sind Geschichten von Kindern und Enkeln von Schoa-Überlebenden, die sich entschlossen haben, die deutsche Staatsbürgerschaft, die ihren Familien während der NS-Zeit aberkannt wurde, wieder zu beantragen und sich in Deutschland niederzulassen.

In ihrem kürzlich erschienenen Buch hat die Autorin zwölf Geschichten von Angehörigen der zweiten und dritten Generation versammelt, darunter Amerikaner, Israelis und Briten, die ihre Motive für die Beantragung der deutschen Staatsbürgerschaft schildern und von ihrem Weg in die deutsche Gesellschaft berichten – teils erheiternd, teils sachlich, teils sehr berührend.

Der größere zeitliche Abstand erleichtert es den Enkeln, nach vorne zu schauen.

Die Politikwissenschaftlerin Swarthout greift damit auch die eigene Familiengeschichte auf. Ihre Großeltern stammten aus Deutschland und flohen 1938 in die USA. Sie selbst wuchs in New Jersey auf. 2010 siedelte sie mit ihrem Ehemann und ihren drei Kindern nach Berlin über und hat ein Jahr später die deutsche Staatsbürgerschaft erlangt.

PERSPEKTIVEN Die Präsentation ihres Buches im Berliner Café »Archetyp« am vergangenen Sonntag ist ein Familien-
event. Swarthouts Ehemann ist anwesend, und auch die beiden Söhne des Paares sind gekommen, alle stehen für das Publikumsgespräch zur Verfügung, beantworten Fragen und berichten von eigenen Erlebnissen und Perspektiven. Das Café ist bis auf den letzten Platz besetzt, wer keinen Stuhl mehr abbekommen hat, steht.

Es ist ein internationales Publikum, das sich versammelt hat, ältere und jüngere Generationen, viele mit deutsch-jüdischem Ursprung. Passenderweise sind auch die Betreiber des Cafés, das sich dem Gemeinwohl und der Stärkung des sozialen Umfelds im Kiez verschrieben hat, zwei Brüder mit deutsch-jüdischen Wurzeln. Beide sind aus den USA nach Berlin gezogen und haben inzwischen neben der amerikanischen auch die deutsche Staatsbürgerschaft. Seit das Staatsangehörigkeitsrecht im Jahr 2000 reformiert wurde, haben nach Swarthouts Recherchen etwa 50.000 Antragsteller auf der Grundlage von Art. 116 (2) des Grundgesetzes die deutsche Staatsbürgerschaft wiedererhalten.

Mit ihrem Buch habe sie deshalb auch eine Form der Restitution dokumentieren wollen, die bislang noch nicht ausreichend dokumentiert und berücksichtigt worden sei, betont Swarthout. Die Wiedererlangung der Staatsbürgerschaft ist für sie ein bedeutender Aspekt heutigen jüdischen Lebens in Deutschland und bedeutet mehr, als nur einen Pass in der Hand zu halten. »Unsere Staatsbürgerschaft ist verknüpft mit unserer Identität und einem Gefühl der Zugehörigkeit. Sie bringt Vorteile und Rechte mit sich und stellt eine Verbindung zu unserer Vergangenheit und unserem Erbe in Deutschland dar, von dem so viel verloren ist«, sagt Swarthout.

ZUGANG Das bestätigen auch die Co-Autoren des Buches, die zum Teil für das Gespräch erschienen sind. Einer von ihnen ist der Journalist Yermi Brenner, der in Israel geboren und aufgewachsen ist. Seit 2012 hat er neben der israelischen auch die deutsche Staatsbürgerschaft, seit 2014 lebt er in Berlin, der Stadt, aus der seine Großeltern stammten. Der Prozess des Ankommens in der deutschen Gesellschaft, so schildert er, sei für ihn sehr stark mit der Geschichte seiner Großeltern verknüpft. Brenners Großmutter ist Alice Licht, die mit ihren Eltern ab Februar 1943 in der Blindenwerkstatt von Otto Weidt versteckt war und deren Geschichte heute in der dortigen Ausstellung erzählt wird.

Ihr Vermächtnis und die Art, wie sie in Berlin und Deutschland heute porträtiert wird, hätten ihm geholfen, so Brenner, einen Zugang zur Berliner Gesellschaft zu finden und sich hier zu Hause zu fühlen. »Ich konnte mich hier mit einem Teil meiner Identität verbinden, mit dem ich davor nicht sehr vertraut war«, schildert er seine Erfahrungen in Berlin. Wie Brenner gehört auch Maya Ergas Shwayder als Enkelin von Überlebenden der dritten Generation an. Auch in ihrer Familie schwieg man über die Erlebnisse der Großeltern. »Meine Großeltern haben in den USA nie wieder deutsch gesprochen. Meine Mutter war 15, als sie zum ersten Mal gehört hat, dass ihre Eltern in Deutschland verfolgt waren. Das war ein Schock, etwa so, als würdest du hören, dass deine Eltern russische Spione sind«, fasst sie die Sprachlosigkeit in der Familie zusammen.

Brenners Großmutter Alice Licht war in der Blindenwerkstatt Otto Weidt versteckt.

Für sie selbst, sagt Shwayder, die als Korrespondentin für die Deutsche Welle arbeitet, sei es durch den größeren zeitlichen Abstand sehr viel einfacher, nach vorne zu schauen und zu beurteilen, inwieweit sich die deutsche Gesellschaft verändert hat. Spannend findet sie an ihrer Binationalität vor allem die Frage, was ihr das Deutschsein bedeutet und was es bedeutet, eine deutsche Jüdin zu sein.

BREXIT Die dritte anwesende Co-Autorin ist die Künstlerin Sylvia Finzi, deren Eltern aus Deutschland und Italien nach London flohen, wo Sylvia geboren wurde. Bereits 1970 kam sie nach Berlin, wo sie, wie sie sagt, sofort zu Hause war. In England habe sie sich immer »anders« gefühlt. Die deutsche Sprache und die Struktur der Gedanken lägen ihr näher als das Englische.

Als einzige der zwölf vorgestellten Personen in Swarthouts Buch hat Finzi aufgrund gesetzlicher Beschränkungen keinen Anspruch auf die deutsche Staatsbürgerschaft. Gleichwohl, unterstreicht sie, fühle sie sich sehr deutsch und begreife sich als Teil Berlins und der europäischen Geschichte. »Mit dem Brexit«, fügt sie hinzu, »hat das gar nichts zu tun!«Das Zielpublikum für ihr Buch, sagt Donna Swarthout, seien die USA. »Ich werde immer wieder gefragt, wie ich das nur tun konnte. Sogar Hass-Mails habe ich bekommen«, erzählt sie. »Dass es andere Juden gibt, die unsere Entscheidung nicht akzeptieren, ist heuchlerisch.« Ihre Motivation sei es, das zu ändern.

Donna Swarthout: »A Place They Called Home. Reclaiming Citizenship. Stories of a New Jewish Return to Germany«. Berlinica, Berlin 2018, 208 S., 20 €

Chabad-Konferenz für Jugendliche

»Wir schämen uns nicht«: 500 junge Juden am Brandenburger Tor

Stolz zeigen sich die Teilnehmer des Europäischen Jüdischen Jugendkongresses im Herzen Berlins

von Imanuel Marcus  13.12.2024

Berlin

Chanukka-Basar in der Synagoge Pestalozzistraße: Kuchen, koscherer Glühwein und ein Bühnenprogramm

Am Sonntag findet der Basar im Innenhof der Synagoge statt. Es gibt ein vielfältiges Bühnenprogramm. Auch die »The Swinging Hermlins« werden auftreten

von Christine Schmitt  13.12.2024

Hamburg

»Our Turn«: Zentralrat und ZWST veranstalten Jugendkongress 2025

Den Teilnehmern sollen »Methoden, Chancen und Vorbilder« gezeigt werden, mit denen sie sich selbst verwirklichen können sollen

von Imanuel Marcus  11.12.2024

Magdeburg

Sachsen-Anhalt setzt Förderung jüdischer Einrichtungen fort

Die Projektauswahl wird vom Beirat für jüdisches Leben begleitet

 11.12.2024

Interview

»Damit ihr Schicksal nicht vergessen wird«

Die Schauspielerin Uschi Glas setzt sich für die Befreiung der israelischen Geiseln ein. Ein Gespräch über Menschlichkeit, Solidarität und Gegenwind

von Louis Lewitan  11.12.2024

Stuttgart

Opfer eines Schauprozesses

Nach fast drei Jahrzehnten Stillstand wurde nun ein Platz eingeweiht, der Joseph Süß Oppenheimer gewidmet ist

von Brigitte Jähnigen  10.12.2024

Esslingen

Antike Graffiti

Der Künstler Tuvia ben Avraham beschreibt das Judentum anhand uralter Buchstaben – und jeder darf mitmachen

von Valentin Schmid  09.12.2024

Berlin

Campus mit Kita und Café

Noch bis zum 10. Dezember können Architekten ihre Entwürfe für den Neubau an der Synagoge Fraenkelufer einreichen

von Christine Schmitt  09.12.2024

München

Mit Erfahrung zum Erfolg

Die Spieler des Schachklubs der IKG gehören zu den stärksten in Bayern – allen voran Leonid Volshanik

von Vivian Rosen  09.12.2024