Tetragramm

Rückkehr des Gottesnamens

Das Tetragramm ist im Tympanon der Kirche wieder angebracht. Foto: Gregor Zielke

Tetragramm

Rückkehr des Gottesnamens

An der Fassade der Berliner Parochialkirche prangt jetzt wieder die ursprüngliche hebräische Inschrift

von Jérôme Lombard  27.02.2020 13:40 Uhr

Die evangelische Parochialkirche in der Klosterstraße in Berlin-Mitte gilt als eine der ältesten Barockkirchen der Stadt. Seit vergangenem Freitag ist ihre historische Fassade um ein Detail reicher: Nach mehr als 80 Jahren wurde das Tetragramm – der Gottesname in den vier hebräischen Lettern JHWH – bei einer feierlichen Zeremonie wieder in dem Tympanon über dem Eingangsportal eingesetzt. Die Inschrift war in der NS-Zeit auf einen Beschluss des damaligen Gemeindekirchenrats hin abgeschlagen worden.

»Menschen- und gottesverachtendes Gedankengut breitete sich schleichend auch in unserer Gemeinde aus und führte zu den bekannten Folgen, von denen die Entfernung des Tetragramms nur eine der sichtbarsten war«, sagte Pfarrerin Corinna Zisselsberger von der Evangelischen Kirchengemeinde St. Petri-St. Marien bei einem jüdisch-christlichen Friedensgebet in der Kirche am vergangenen Freitag, an dem auch Rabbiner Andreas Nachama und Kantorin Esther Hirsch von der Jüdischen Gemeinde zu Berlin teilnahmen.

ZEICHEN Es sei die Aufgabe der Nachfolger, die Verblendung der Vorfahren zu benennen, Verantwortung für die Vergangenheit zu übernehmen und für Frieden und Vergebung zu beten. »Mit der Wiederanbringung des Tetragramms an unserer Kirchenfassade setzen wir in Zeiten eines wiedererstarkenden Antisemitismus ein Zeichen der Mahnung und der Versöhnung, und wir machen gleichzeitig deutlich, wie tief der christliche Glaube im jüdischen verwurzelt ist«, sagte die Pfarrerin.

Motivation für die Wiedereinsetzung des Tetragramms an der Kirche sei es, »die Wunden der Vergangenheit zu heilen«, sagte Rabbiner Nachama. Als die Inschrift 1939 abgeschlagen wurde, habe man »in schweren Zeiten gelebt«.

»Nicht nur an der Berliner Parochialkirche, auch in vielen anderen christlichen Gotteshäusern in Deutschland wurde das Tetragramm in der NS-Zeit entfernt, da die hebräische Schrift und die Referenz auf das Alte Testament nicht in das Weltbild der sogenannten Deutschen Christen passte.«

Mit Blick auf den rassistisch motivierten Anschlag im hessischen Hanau betonte Nachama, dass die Gesellschaft jetzt wieder wachsam sein müsse gegenüber allen Formen von Diskriminierung.

Aus Ehrfurcht wird der Name Gottes nicht gelesen und ausgesprochen, sondern umschrieben.

»Alle wissen, dass wir heute wieder in schweren Zeiten leben«, sagte der Rabbiner bei der Zeremonie am Freitag. Die deutsche Geschichte habe gezeigt, dass Hass nicht auf einzelne Gruppen begrenzt bleibe, sondern am Ende keinen verschone. »Wir alle müssen unsere Stimme erheben«, sagte Nachama, der auch jüdischer Vorsitzender des Deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit ist.

Dass die vier hebräischen Buchstaben nun wieder den Eingang der Parochialkirche zieren, bezeichnete der Gemeinderabbiner als ein »schönes Zeichen der jüdisch-christlichen Verbundenheit«.

SANDSTEIN Das Tetragramm beschreibt den Namen Gottes, wie er in der Tora überliefert wird. In der Bibelübersetzung wird dieser mit den hebräischen Buchstaben Jod, He, Waw, He umschrieben und in jüdischer Tradition als »der Ewige« übersetzt. Der Name JHWH kommt insgesamt mehr als 6800-mal in der Tora vor.

Aus Ehrfurcht wird der Name Gottes nicht gelesen und ausgesprochen, sondern umschrieben, etwa mit dem Wort »Haschem« (der Name).

Seit der Weihe der reformiert-calvinistischen Parochialkirche im Jahr 1703 prangte das Tetragramm aus Sandstein im Giebelfeld über dem Eingangsportal. Am 22. Februar 1939 hatte der Gemeindekirchenrat der Parochialgemeinde den Beschluss gefasst, die Inschrift in »eine zeitgemäße und künstlerisch angemessene Form« zu bringen. In der Folge wurde die Inschrift abgeschlagen. Wo mehr als 240 Jahre lang das Tetragramm gestanden hatte, klaffte seither eine Lücke.

Die nun wieder angebrachte Version der vier hebräischen Buchstaben besteht aus einer vergoldeten Metallkonstruktion am historischen Ort. Möglich wurde die Wiedereinsetzung des Tetragramms durch Mittel der Stiftung Kirchliches Kulturerbe.

Berlin

Für Sichtbarkeit

Wenzel Michalski wird Geschäftsführer des Freundeskreises Yad Vashem. Eine Begegnung

von Christine Schmitt  30.04.2025

Hanau

Das zarte Bäumchen, fest verwurzelt

Vor 20 Jahren gründete sich die jüdische Gemeinde – zum Jubiläum wurde eine neue Torarolle eingebracht

von Emil Kermann  30.04.2025

20 Jahre Holocaust-Mahnmal

Tausende Stelen zur Erinnerung - mitten in Berlin

Selfies auf Stelen, Toben in den Gängen, Risse im Beton - aber auch andächtige Stille beim Betreten des Denkmals. Regelmäßig sorgt das Holocaust-Mahnmal für Diskussionen. Das war schon so, bevor es überhaupt stand

 30.04.2025

KZ-Befreiungen

Schüler schreibt über einzige Überlebende einer jüdischen Familie

Der 18-jährige Luke Schaaf schreibt ein Buch über das Schicksal einer Jüdin aus seiner Heimatregion unter dem NS-Terrorregime. Der Schüler will zeigen, »was Hass und Hetze anrichten können«

von Stefanie Walter  29.04.2025

Schweiz

Junger Mann wegen geplanten Anschlags auf Synagoge Halle verhaftet

Die Anschlagspläne soll er laut Staatsanwaltschaft zwischen Juli 2024 und Februar 2025 wiederholt in einer Telegram-Chatgruppe angekündigt haben

 29.04.2025

Berlin

Bebelplatz wird wieder zum »Platz der Hamas-Geiseln«

Das Gedenkprojekt »Platz der Hamas-Geiseln« soll laut DIG die Erinnerung an die 40 in Geiselhaft getöteten Israelis und an die 59 noch verschleppten Geiseln wachhalten

 28.04.2025

Berlin

Jüdische Gemeinde erinnert an Warschauer Ghetto-Aufstand

Zum Abschluss der Namenslesung vor dem Jüdischen Gemeindehaus in der Berliner Fasanenstraße ist für den Abend ein Gedenken mit Totengebet und Kranzniederlegung geplant

 28.04.2025

Düsseldorf

Erinnerungen auf der Theaterbühne

»Blindekuh mit dem Tod« am Schauspielhaus stellt auch das Schicksal des Zeitzeugen Herbert Rubinstein vor

von Annette Kanis  27.04.2025

Hanau

Jüdische Gemeinde feiert Jubiläum

»Im Grunde genommen ist es mit das Größte und Schönste, was eine Gemeinde machen kann: eine neue Torarolle nach Hause zu bringen«, sagt Gemeinde-Geschäftsführer Oliver Dainow

 25.04.2025