Düsseldorf

Rede und Gegenrede

Benannt ist der Debattierclub nach der israelischen Ministerpräsidentin Golda Meir. Foto: pr

In Sekundenschnelle ein starkes Argument formulieren? Rasch eine Gegenbehauptung aus dem Ärmel ziehen? Selbstbewusst vor mehreren Menschen stehen und ohne Zögern reden? Wen das überzeugt, dafür trainieren zu wollen, der könnte im Golda Debattierclub richtig aufgehoben sein.

Ende Januar fängt der nächste Kurs für Jugendliche ab 13 Jahren an, bei dem man sich seit Beginn des neuen Kalenderjahres 2021 unter bit.ly/goldaclub bewerben kann. »Übrigens, komplett kostenlos dank unserer zahlreichen Unterstützer – was zählt, ist die Motivation der Jugendlichen«, sagt Anton Tsirin, einer der Initiatoren des Debattierclubs.

»Viele Jugendliche, nicht nur jüdische, sind in der Schule oder auch im Alltag mit Diskriminierung konfrontiert«, sagt der 26-Jährige. Entweder seien sie selbst betroffen, oder sie seien Zeugen solcher Vorkommnisse. »Doch oft fehlen ihnen der Mut und die Schlagfertigkeit, um dagegen anzukämpfen und eventuell sich selbst mit rhetorischen Mitteln zu schützen.«

Meinungsstärke Mit dem Online-Debattierkurs für Kinder und Jugendliche möchten »wir eine junge Gemeinschaft formen, die – geprägt von einer kritischen Denkweise – eigenständig Meinungen zu aktuellen Streitfragen bilden und in öffentlichen Diskussionen vertreten kann.« Die Teilnehmer sollen durch gegenseitigen Austausch und Perspektivwechsel gestärkt und zu demokratischem Handeln angespornt werden, um unterschiedliche Diskriminierungsformen in Bezug auf Judentum und Israel zu bekämpfen und somit die gesellschaftliche Courage zu stärken, sagt Yahya Yahyaev, Jugendzentrumsleiter in Düsseldorf.

»Viele Jugendliche, nicht nur jüdische, sind in der Schule oder auch im Alltag mit Diskriminierung konfrontiert.«

Anton Tsirin

Beim abschließenden Turnier wird die Theorie in Praxis umgesetzt.
Krönender Abschluss des ersten Kurses, der im vergangenen Jahr stattfand und bei dem sich die Teilnehmer Ende des Jahres jede Woche im Netz trafen, war ein Turnier. »Dort wurde die Theorie in die Praxis umgesetzt«, erklärt Anton Tsirin. Zwei Weltmeister-Finalisten gehörten der Crew an, die im ersten Durchgang mit zwölf Teilnehmern im Alter von 17 bis 30 Jahren trainierten.

Regeln Monika Feygin aus Bochum war eine von ihnen. »Die Zeit ist immer extrem schnell verflogen«, sagt die Jura-Studentin und Leiterin des Bochumer Jugendzentrums. Sie sei ohne große Erwartungen in den Kurs gestartet, gesteht sie – und war dann doch überrascht, wie tiefgründig das Debattieren sei.

Ihre Gruppe bestand aus sechs Teilnehmern, mit denen die Referenten trainierten. Die Regeln sind festgelegt: Beim Turnier startet das »Haus der Regierung« mit dem ersten Redner. Danach folgt die Opposition mit ihrem Statement. Im Anschluss daran können zwei Sprecher von jeder Partei darauf reagieren. »Ich habe nun gelernt, dass man über alles debattieren kann, unabhängig von den Vorkenntnissen«, sagt Monika Feygin. Diese Technik könne sie auch gut für ihr Studium brauchen.

Ein erster Kurs wurde im Dezember 2020 mit einem Debattier-Turnier abgeschlossen.

Die Debattierenden mussten unter anderem Stellung zu Fragen wie dem »Einfluss von Gangsta-Rap auf unsere Gesellschaft«, »Sollen Privatschulen abgeschafft werden?« oder »Wir bedauern die Norm von Gut und Böse in Märchen« beziehen. Eine Stunde hatten sie jeweils Zeit, Standpunkte zu entwickeln, um dann in die Debatten einzusteigen.

Am ersten Kurs hatten mehrere Madrichim, Abiturienten und Erwachsene, die schon erfolgreich im Berufsleben stehen, teilgenommen. »Da konnte man sehen, dass das Alter nicht für das Argumentieren ausschlaggebend war«, beobachtete Yahya Yahyaev. »Schauspielerei gehört auch dazu«, sagt Anton. Gestik, Sprachbilder, Stimmmodulation, daran muss jeder arbeiten. Beim Turnier zählen aber vor allem Inhalt, Argumente und Logik. Das Ziel ist auch, dass man ohne allzu viele Schwierigkeiten vor einem großen Publikum auftreten kann.

Kritik Die Debatten wurden deshalb von den zwei Referenten mitgeschrieben und anschließend bewertet. Aufgrund seiner Studienerfahrungen an der First Take Schauspielakademie Köln konnte Anton Tsirin einige gute Tipps geben. »Ganz ehrlich, ich bin am Anfang selbst gescheitert und stand mit trockenem Mund da«, beschreibt der 26-Jährige seine eigenen Auftritte. Er kam im Alter von elf Jahren mit seiner Familie aus Moskau nach Essen und lebt heute wieder in der Stadt. Seit August ist er auch wieder in der Jugendarbeit beim Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe tätig.

In den kommenden Wochen sollen Lernvideos entstehen, in denen man erfährt, wie ein Argument gebildet wird, und wie man es auflöst. Entwickelt wurde das Programm von Leonid Serebryanyy, einem erfahrenen Diskutanten aus Moskau. Das Debattieren sei schon immer eine Leidenschaft von ihm und seiner Schwester Anna Bondarenko gewesen. Daher lag es für die beiden nahe, dies weiter zu verfolgen.

Kulturförderung Nach seiner Rückkehr aus Israel im Mai vorigen Jahres wollte Tsirin, der bereits die Jugendzentren in Köln und Dortmund geleitet hat, »unbedingt etwas machen, um die Kultur zu fördern«. Deshalb gründeten er, seine Schwester und deren Mann Alex Bondarenko den Verein Kibbuz – Zentrum für Kunst, Kultur und Bildung, der nun Träger des Debattierclubs ist.

Wie debattiert man richtig? Ein Tutorial über ZoomFoto: pr

Etwa zur gleichen Zeit dachte auch Yahya Yahyaev aus Düsseldorf darüber nach, einen Debattierclub im Jugendzentrum zu starten. »Uns ist das Reden und Diskutieren in die Wiege gelegt worden – da muss es doch mal ein Angebot geben«, dachte er. Zufällig sprachen sie mit Freunden, erfuhren von der Idee des anderen und schlossen sich zu einem Team zusammen.

Golda »Jeder kann bei uns mitmachen, egal ob Student oder noch Schüler«, sagt Anton Tsirin. Auch die Religion stehe nicht im Vordergrund, denn sie würden sich nicht als rein jüdischer Verein positionieren, aber hätten natürlich einen starken jüdischen Bezug. Deshalb trägt der Debattierclub auch den Namen Golda, benannt nach der großen Rednerin und einzigen weiblichen Premierministerin Israels, Golda Meir.

Themen der Debatten waren Gangsta-Rap, Privatschulen und Gut und Böse in Märchen.

»Wichtig ist für uns, dass Leute zusammenkommen, die etwas gemeinsam schaffen wollen. In Zukunft möchten wir mit dem Verein auch eine Plattform für neue Projekte im Bereich Bildung, Kunst und Kultur bieten.«

Finanziert wird der Golda Debattierclub unter anderem von Nevatim, einem Programm der Jewish Agency for Israel, Education for Impact, der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST), dem Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe sowie der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf.

»Das Projekt liegt uns sehr am Herzen und soll in Zukunft seine Reichweite noch vergrößern«, sagt Anton Tsirin. Ein Traumziel ist, dass der Debattierclub zu einem selbstständigen Verein wird, die Mitglieder an internationalen Turnieren teilnehmen und die Debattier-Bewegung mittragen, sagt Yahya Yahyaev.

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