Berlin

Onkel Peter und die anderen

Als der israelische Filmemacher Dan Wolman noch ein Kind war, entdeckte er in Jerusalem im Schlafzimmer seiner Eltern eine Fotografie, die ihm keine Ruhe ließ: Es war ein junger Mann in einer Wehrmachtsuniform mit Knöpfen, in die kleine Hakenkreuze eingraviert waren. »Wer ist das?«; fragte der Junge seine Mutter erstaunt, und sie antwortete traurig: »Das ist dein Onkel Peter.«

In seinem sehr persönlichen Dokumentarfilm Spoken with Love (2007), der in dieser Woche beim Jüdischen Filmfestival Berlin & Potsdam Europapremiere hatte, rollt der heute 70-Jährige Wolman die Familiengeschichte seiner Eltern auf: Seine Mutter Brigitte, in Berlin geboren, hatte eine jüdische Mutter und einen nichtjüdischen Vater. Während die Mutter nach Palästina auswandern konnte, wurde ihr Bruder Peter, der ebenfalls als »Mischling ersten Grades« galt, zur Wehrmacht zwangsrekrutiert und fiel in Frankreich.

Familie Trotz – oder vielleicht gerade wegen – der komplexen Familiengeschichte pflegt Filmemacher Dan Wolman ein un-
verkrampftes Verhältnis zu Berlin: »Ich hatte nie ein Problem damit, zu Besuch zu kommen«, sagt der Regisseur. Seine Großmutter Lucie Bütow lebte bis zu ihrem Tod 1968 in Deutschland.

Vor dem Krieg wohnte sie mit ihrem Mann in der Westfälischen Straße in Wilmersdorf; nach dem Krieg zogen die Großeltern in ein Haus am Kurfürstendamm zwischen Adenauerplatz und Halensee, an das sich Wolman noch gut erinnert: 1950 kam er zu seinem ersten Besuch nach West-Berlin. »Ich erinnere mich an zerstörte Häuser, aber auch an meine Begegnung mit dem Wohlstand: riesige Kartoffeln, große Würstchen und Schlagsahne«, erzählt der Filmemacher – alles Dinge, die er aus Israel nicht kannte. Auch später reiste Wolman häufiger nach Berlin, zum Beispiel 1979 mit seinem Film Hide and Seek zur Berlinale.

Spoken with Love wurde wenige Jahre vor dem Tod von Wolmans Eltern gedreht und gibt den alten Menschen liebevoll die Gelegenheit, sich mit eigenen Erziehungsfehlern auseinanderzusetzen – vor allem dem Vater Moshe, der als erfolgreicher, viel beschäftigter Arzt wenig Zeit für seinen Sohn hatte. Besonders an dem Film sind seltene Privataufnahmen in Schwarz-Weiß aus dem Berlin der 20er- und 30er-Jahre: sie zeigen Wolmans Mutter als Kind mit ihren Geschwistern in Berlin und als Abiturientin.

Später studierte sie Medizin in Rom und lernte dort Moshe Wolman kennen, der bald Neuropathologe und Namensgeber der Immunerkrankung »Wolman-Syndrom« wurde. Schon die Großeltern waren Mediziner: Lucie Bütow und Max Köbbel hatten sich in einem Berliner Krankenhaus kennengelernt. Wolmans Vater dagegen kam aus Warschau – er wuchs in einer ausgesprochen zionistischen Familie auf.

Spielfilm Vielleicht ist ein Echo davon zu spüren in Wolmans neuem Spielfilm Gei Oni (Tal der Standhaftigkeit, 2010), der ebenfalls beim Jüdischen Filmfestival Europapremiere hatte. Die Verfilmung des Bestsellers von Shulamit Lapid erzählt auf Hebräisch und Jiddisch von Pionieren der ersten Alija. Hauptfigur ist die junge Fanya, die Ende des 19. Jahrhunderts vor Pogromen aus Russland nach Palästina floh und sich mit ihrem Mann in Gei Oni (dem heutigen Rosch Pina) ansiedelt, um dort das Land urbar zu machen. Trotz traumatischer Erfahrungen und schwerster Lebensumstände gelingt ihr schließlich beides: ihren Mann und ihr Land zu lieben.

»Die Sehnsucht des Volkes Israel, in sein Land zurückzukehren, ist eine schöne Sache – das wollte ich zeigen«, sagt Wolman, der mit Gei Oni zum ersten Mal in seinem Leben einen Film selbst vertreibt. Die Distributoren hatten dem Film finanziell wenig Chancen eingeräumt und verlangten die Rechte für mehr als zehn Jahre. Damit wollte sich Wolman nicht abfinden und mobilisierte sein Publikum in Kettenbriefen, frühzeitig ins Kino zu gehen. Mit Erfolg: Gei Oni hielt sich drei Monate in israelischen Kinos; bis heute läuft er zweimal im Monat im Jerusalem-Theater.

Dan Wolman, der diese Woche zu Gast beim Jüdischen Filmfestival in Berlin war, versucht nach dem Tod seiner Eltern übrigens, die Geschichte seiner Großeltern zu recherchieren. Er sucht Nachbarn, Freunde oder Bekannte. Wer also die jüdischen Familien Köbbel, Bütow oder Barth vor oder nach dem Krieg in Berlin kannte, wird gebeten, sich mit ihm per E-Mail in Verbindung zu setzen.

danwol@zahav.net.il

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