Hochwasser

Nach der Flut

Schlamm wegräumen, Wasser abpumpen, kaputtes Mobiliar herausholen, die Stromverbindung wiederherstellen: Seit Montag steht in der Jüdischen Gemeinde Hagen alles im Zeichen von Schadensbeseitigung und Aufräumarbeiten. Die Ruhrgebietsstadt mit rund 180.000 Einwohnern war nach den heftigen Regenfällen in der Nacht zum Mittwoch vergangener Woche von Überflutungen besonders schwer betroffen. Stadtteile waren zeitweise von der Außenwelt abgeschnitten. Teilweise wurden Autos von den Wassermassen fortgespült.

Die Flut drang auch in beide in der Nähe des Flusses Volme gelegenen Gebäude der Jüdischen Gemeinde ein. Die Keller liefen voll, Gemeindesaal und Küche standen tagelang unter Wasser. Die Gebäude waren, wie der Gemeindevorsitzende Hagay Feldheim berichtet, bis Montag wegen der hohen Schlammbelastung und der damit einhergehenden Verletzungsgefahr nicht zugänglich. 

ÜBERSCHWEMMUNG Die Unwetterkatastrophe im Westen Deutschlands mit mehr als 160 Todesopfern und vielen Vermissten traf die jüdischen Gemeinden in Nordrhein-Westfalen und im benachbarten Rheinland-Pfalz in verschiedenen Ausmaßen. Aus dem Büro der Jüdischen Kultusgemeinde im rheinland-pfälzischen Trier hieß es am Montag, man sei in der Innenstadt nicht vom Hochwasser betroffen gewesen. Die Gemeinde hat nach eigenen Angaben am Wochenende Wasser, Essen und Kleidung in den überschwemmten Stadtteil Ehrang gebracht.

In Unna drang Wasser in das Gebäude der jüdischen Gemeinde ein.

Im Wuppertaler Stadtteil Barmen, in dem die Jüdische Kultusgemeinde ansässig ist, war am vergangenen Donnerstag der Strom ausgefallen. Festnetztelefone und Internet seien nicht nutzbar, sagte Gemeindevorsitzender Leonid Goldberg der Jüdischen Allgemeinen. Der Morgengottesdienst in der Synagoge konnte am Donnerstag nicht stattfinden. In Wuppertal sei die Situation je nach Ort ganz schlimm, beklagte Goldberg einen Tag nach den Starkregenfällen. 

REGEN Am Mittwoch vergangener Woche war in der nordrhein-westfälischen Stadt extrem viel Regen gefallen: Wie die Stadt Wuppertal auf Twitter schrieb, entsprach die Menge des Wassers nach Angaben des Wupperverbandes einem Zehntel des durchschnittlichen Jahresniederschlags.

Viele Institutionen in Wuppertal seien aufgrund der Unwetterfolgen nicht zu erreichen, so die Stadtverwaltung. Straßen waren überflutet, Stadtbusse und die Schwebebahn fuhren nicht. Zeitweise drohte zudem die Wupper-Talsperre unkontrolliert überzulaufen.

Im westlich von Dortmund gelegenen Unna drang wegen des Starkregens Wasser in das Gebäude der Jüdischen Gemeinde »HaKochaw« ein und sorgte für einen Stromausfall. »Am Mittwoch haben wir den ganzen Abend über und bis in die Nacht das Wasser aus dem Keller abgepumpt«, so die Gemeindevorsitzende Alexandra Khariakova im Telefongespräch. »Einige Gemeindemitglieder, die nicht in Unna wohnen, konnten nicht zum Schabbat kommen, da die Autobahn gesperrt war. Im Kreis Unna waren einige Städte überflutet«, berichtet sie weiter.

In einigen Gemeinden sind Keller vollgelaufen, zeitweise ist es zu Stromausfällen gekommen.

»Insgesamt sind wir glimpflich davongekommen«, sagte Jonathan Walter, Co-Direktor der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf, am vergangenen Donnerstag. Er schilderte zwar einige Schäden: »Aufgrund der starken Regenfälle hat sich das Wasser den Weg ins Gemeindezentrum gebahnt. Im Heizungskeller hatten wir gestern einen etwas größeren Wasser­einbruch mit einem zwischenzeitlichen Wasserstand von etwa 30 bis 35 Zentimetern.« Der Gemeindebetrieb laufe jedoch größtenteils uneingeschränkt, sagte er.

»Wir sind im Vergleich zum Ausmaß der gesamten Katastrophe zum Glück relativ wenig betroffen«, resümiert Inna Goudz, Geschäftsführerin des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein. In einigen Gemeinden seien Keller vollgelaufen, zeitweise sei es zu Stromausfällen gekommen. »Es gab keine gravierenden, nicht reparierbaren Schäden. Das sind Schäden, die die Gemeinden mit eigener Kraft oder mithilfe der Einsatzkräfte vor Ort regeln konnten«, betont Goudz. Der Landesverband stehe im regen Austausch mit den Gemeinden. 

SCHABBAT Das Ausmaß der von der Flutkatastrophe verursachten Zerstörung und die zahlreichen Todesopfer lösten vielerorts Anteilnahme aus. Am Schabbat sei die Stimmung deswegen teilweise bedrückt gewesen, so die Unnaer Gemeindevorsitzende Alexandra Khariakova. »Wir haben ein Kaddisch für diejenigen gebetet, die ihr Leben verloren haben.«

»Unser Mitgefühl und unsere Gedanken sind bei den Familien, die ihre Angehörigen und ihr Zuhause in dieser schlimmen Katastrophe verloren haben«, erklärte der Vorstand der Orthodoxen Rabbinerkonferenz (ORD) am vergangenen Freitag. Den Rettungskräften gelte »Dank und volle Solidarität bei ihrer schwierigen Aufgabe, die hoffentlich auch unsere Gesellschaft wieder ein Stück mehr zusammenrücken lässt«.

Auch aus Jerusalem kam Anteilnahme: In einem Brief an Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier schrieb Israels Präsident Isaac Herzog, er übermittle im Namen des Volkes Israel »in dieser Zeit der Zerstörung und des Verlustes unsere Freundschaft und Unterstützung für das deutsche Volk«, wie eine Sprecherin am Sonntag bestätigte.

»Wir haben Kaddisch für diejenigen gebetet, die ihr Leben verloren haben.« 

Alexandra Khariakova

Herzog teilte mit, er unterstütze Steinmeiers Überzeugung, dass der Kampf gegen den Klimawandel der richtige Weg sei, um solche Naturkatastrophen in Zukunft zu verhindern. »Israel ist ein Partner bei jeder Bemühung oder Initiative, die darauf abzielt, sich dieser dringenden Herausforderung zu stellen.« Der Staat Israel stehe fest an Deutschlands Seite, »und wir sind bereit, in jeder möglichen Weise zu helfen«.

Auch Tel Avivs Bürgermeister Ron Huldai sprach »dem deutschen Volk und unseren vielen Freunden in unseren Partnerstädten in Deutschland« sein Beileid aus. »Im Namen der Einwohner Tel Avivs sende ich Wünsche für eine rasche Erholung von dieser furchtbaren Katastrophe.« Das Tel Aviver Rathaus wurde am Sonntagabend in den Farben der deutschen Flagge angeleuchtet. 

POLITIK Etliche deutsche Spitzenpolitiker machten sich am Wochenende einen Eindruck von der Lage vor Ort. Beim Besuch in einem der Flutkatastrophengebiete rief Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Samstag zu Solidarität und Spenden für die Opfer auf. »Vielen Menschen hier in den Regionen ist nichts geblieben außer ihrer Hoffnung. Und diese Hoffnung dürfen wir nicht enttäuschen«, sagte Steinmeier nach Gesprächen mit Rettungskräften im nordrhein-westfälischen Erftstadt.

Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte sich bei einem Besuch im Katastrophengebiet erschüttert und versprach schnelle Hilfen.

Er sprach von Schäden, »die unsere Vorstellungskraft übersteigen«. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) bezeichnete das Hochwasser bei dem Erftstadt-Besuch mit Steinmeier als »Jahrhundertkatastrophe«. Land und Kommunen könnten die Folgen der Flut nicht alleine stemmen. Er versprach Direkthilfe und sagte zu, dass »sehr unbürokratisch Geld ausgezahlt« werde.

Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte sich bei einem Besuch im Katastrophengebiet erschüttert und versprach schnelle Hilfen. Es herrsche eine »surreale, gespenstische Situation«, sagte die CDU-Politikerin am Sonntag nach einem Rundgang durch die Eifelgemeinde Schuld, wo die Fluten Trümmerberge und zerstörte Häuser hinterließen. »Die deutsche Sprache kennt kaum ein Wort für die Verwüstungen, die hier angerichtet wurden.« Anschließend besuchte sie mit der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) den nahe gelegenen Ort Adenau, der ebenfalls schwer getroffen wurde.

Die Hochwasserkatastrophe ist die schwerste in Deutschland seit Jahrzehnten. Vor allem im Westen Deutschlands hatte es Mitte der vergangenen Woche ungewöhnlich heftig geregnet. Zum Teil gab es innerhalb von 24 Stunden so viel Niederschlag wie sonst in einem oder zwei Monaten. Viele Häuser, Straßen und Brücken liegen in Trümmern. Auch der Bahnverkehr ist vielerorts unterbrochen.  (mit dpa)

Weitere Informationen zu Spenden, Hilfe und den betroffenen Regionen: www.aktion-deutschland-hilft.de

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