Dortmund

Mann für alle Fälle

Leonid Chraga ist in der Ukraine geboren. Foto: Stefan Laurin

Leonid Chraga ist ein viel beschäftigter Mann: Immer wieder kommen Menschen in das Büro des Geschäftsführers der Jüdischen Gemeinde Dortmund, haben Fragen oder brauchen eine Unterschrift. Chra­ga nimmt sich für jeden Besucher Zeit, fragt nach und will es ganz genau wissen. Seit Mitte April hat Leonid Chraga noch mehr zu tun: Nachdem der Vorsitzende des Integrationsrates ausschied, wurde Chraga zum Vorsitzenden gewählt. »Ich werde leider«, sagt der Krav-Maga-Trainer, »künftig noch weniger Zeit für Sport haben.«

Die Integrationsräte sind in den Städten und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen die politische Vertretung der Menschen mit Migrationshintergrund. Ihre Wahl läuft parallel zur Kommunalwahl, sie beraten die Stadträte bei Fragen der Migrationspolitik und verfügen über einen eigenen Haushalt, mit dem sie vor allem Kultur- und Integrationsprojekte unterstützen.

Staatsangehörigkeit Gewählt werden sie von allen Menschen mit ausländischer Staatsangehörigkeit, Deutschen, die außerdem noch eine weitere ausländische Staatsangehörigkeit besitzen, Menschen, die die deutsche Staatsangehörigkeit durch Einbürgerung erhalten haben oder als Kinder ausländischer Eltern die deutsche Staatsangehörigkeit durch Geburt im Inland erworben haben.

Neben den gewählten Vertretern stellen auch die Ratsfraktionen einige Mitglieder. Chraga wurde 2020 in den Integrationsrat gewählt: »Ich trat für die Liste der SPD an. Wir erhielten sechs Sitze und sind damit die größte Gruppe im Integrationsrat.« Dass in dem Gremium auch Vertreter des Dortmunder Rates ohne Migrationshintergrund sitzen, ist für ihn kein Problem. »Es heißt ja nicht umsonst Integrationsrat. Es geht um Zusammenarbeit, und dafür ist es gut, wenn es eine Verzahnung mit dem Rat gibt.«

Fastenbrechen Leonid Chraga, geboren in der heutigen Ukraine, ist einer von zwei Juden im Integrationsrat, in dem die meisten Mitglieder einen arabischen oder türkischen Hintergrund haben und muslimisch geprägt sind. »Dass ich Jude bin, hat noch nie zu Ablehnung geführt. In der eigenen Gruppe sowieso nicht, aber auch nicht bei den anderen Kolleginnen und Kollegen im Rat.« Das Interesse an ihm sei hingegen groß: »Für viele bin ich der erste Jude, den sie kennenlernen. Als ich jetzt am Fastenbrechen teilgenommen habe, war ich schon der Exot.«

Warum Chraga der einzige jüdische Vorsitzende eines Integrationsrates in Deutschland ist, kann er sich nicht erklären.

In den gut drei Jahren seiner Amtszeit, die mit der Neuwahl des Integrationsrates 2025 endet, will Chraga sich des ganzen Problemspektrums annehmen, dem sich Migranten und Migrantinnen ausgesetzt sehen: »Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus und Muslimfeindlichkeit«.

Neonazis In Dortmund gebe es aber in der Integrationspolitik Traditionen, an die man anknüpfen könne: »Im Kampf gegen die Neonazis haben Stadt und auch die Polizei sich immer stark engagiert, und bei allen Problemen setzt man sich hier auch stärker gegen Antiziganismus ein als in anderen Städten. Bei uns besucht der Stadtdirektor Roma-Familien zu Hause, und es gibt jedes Jahr ein großes Kulturfest.« Dennoch seien die Vorurteile immer noch immens.

Auch bei Migrantengruppen: »Es ist ja nicht nur so, dass Deutsche ohne Migrationshintergrund Vorurteile haben. Die gibt es auch unter den verschiedenen Menschen mit Migrationshintergrund.« Chraga will zwischen den Gruppen vermitteln, Kontakte schaffen und so helfen, Vorurteile abzubauen. Er selbst hat das Ziel, möglichst viele Gruppen kennenzulernen, und ist dabei, sich vorzustellen. »Was viele bei uns in der Stadt nicht wissen, ist, dass wir sogar eine uigurische Community haben. Die Uiguren sind Opfer einer genozidalen Politik in China, die bei uns im Westen kaum beachtet wird.«

Ob Leonid Chraga der einzige jüdische Vorsitzende eines Integrationsrates in Deutschland ist, weiß er selbst nicht: »Ich habe einmal nachgeschaut und keinen anderen gefunden. Aber das heißt ja nicht, dass es niemanden sonst gibt.«

Umfrage

»Wir lassen uns nicht unterkriegen«

Trotz des erschütternden Terroranschlags in Sydney wollen sich viele Mitglieder der jüdischen Gemeinden in Deutschland nicht den Mut rauben lassen, öffentlich Chanukka zu feiern. Ein Stimmungsbild

von Christine Schmitt, Helmut Kuhn, Nicole Dreyfus, Ulrike Gräfin Hoensbroech  17.12.2025

Interview

Holocaust-Überlebender Weintraub wird 100: »Ich habe etwas bewirkt«

Am 1. Januar wird Leon Weintraub 100 Jahre alt. Er ist einer der letzten Überlebenden des Holocaust. Nun warnt er vor Rechtsextremismus und der AfD sowie den Folgen KI-generierter Fotos aus Konzentrationslagern

von Norbert Demuth  16.12.2025

Magdeburg

Neuer Staatsvertrag für jüdische Gemeinden in Sachsen-Anhalt

Das jüdische Leben in Sachsen-Anhalt soll bewahrt und gefördert werden. Dazu haben das Land und die jüdischen Gemeinden den Staatsvertrag von 2006 neu gefasst

 16.12.2025

Bundestag

Ramelow: Anschlag in Sydney war Mord »an uns allen«

Erstmals gab es in diesem Jahr eine Chanukka-Feier im Bundestag. Sie stand unter dem Eindruck des Anschlags auf eine Feier zum gleichen Anlass am Sonntag in Sydney

 16.12.2025

Attentat in Sydney

»Was würden die Opfer nun von uns erwarten?«

Rabbiner Yehuda Teichtal hat bei dem Attentat in Sydney einen Freund verloren und wenige Stunden später in Berlin die Chanukkia entzündet. Ein Gespräch über tiefen Schmerz und den Sieg des Lichts über die Dunkelheit

von Mascha Malburg  16.12.2025

Berlin

Chanukka-Licht am Brandenburger Tor entzündet

Überschattet vom Terroranschlag in Sydney wurde in Berlin das erste Licht am Chanukka-Leuchter vor dem Brandenburger Tor entzündet. Der Bundespräsident war dabei

 15.12.2025

Meinung

Es gibt kein Weihnukka!

Ja, Juden und Christen wollen und sollen einander nahe sein. Aber bitte ohne sich gegenseitig zu vereinnahmen

von Avitall Gerstetter  15.12.2025

Berlin

Straße nach erster Rabbinerin der Welt benannt

Kreuzberg ehrt Regina Jonas

 12.12.2025

Berlin

Jüdisches Museum bekommt zusätzliche Förderung

Das Jüdische Museum in Berlin gehört zu den Publikumsmagneten. Im kommenden Jahr feiert es sein 25. Jubiläum und bekommt dafür zusätzliche Mittel vom Bund

 12.12.2025