Sanierung

Juwel im Hinterhof

Am 5. September 1931 wurde die Synagoge im Innenhof des Anwesens Reichenbachstraße 27 eröffnet – ein Sakralbau, der die Modernität der Neuen Sachlichkeit mit den Bedürfnissen des orthodox-jüdischen Ritus perfekt in Einklang brachte.

90 Jahre später steht die Literaturwissenschaftlerin und Begründerin der Literaturhandlung, Rachel Salamander, im entkernten Innenraum der sanierungsbedürftigen Synagoge und erklärt, wie die geplante Restaurierung vonstattengehen soll.

originalzustand Zur Wiederherstellung des Gebäudes im Originalzustand gründete sie gemeinsam mit dem Rechtsanwalt Ron Jakubowicz 2013 den Verein »Synagoge Reichenbachstraße e.V.«. Wie die beiden feststellen mussten, sind die Bedingungen dafür heute mit mehr Hürden versehen als Anfang der 1930er-Jahre. Von dem Zeitpunkt des Baubeginns im April 1931 über die Grundsteinlegung am 3. Mai hatte es bis zur Fertigstellung gerade einmal fünf Monate gedauert. So etwas sei nicht mehr möglich, wenn Denkmal- und Brandschutz entscheidend beteiligt sind.

Zunächst, so führte Rachel Salamander anschaulich aus, musste die Geschichte des Baus gründlich erforscht werden, wozu inhaltlich das Jüdische Museum München, namentlich die Kuratorin Ulrike Heikaus, und finanziell das Staatsministerium für Unterricht und Kultus maßgeblich beitrugen.

In vielen Archiven sei zudem wichtiges Material gefunden worden. Eine Sensation war die Entdeckung, dass es die Glaserei, die seinerzeit die Synagogenfenster anfertigte, noch immer gibt und dort sogar noch die Originalpläne existieren.

schlichtheit Die Frage, ob der Zustand zum Zeitpunkt der Wiedereröffnung im Mai 1947, die für den Neuanfang mit vielen jüdischen DPs stand, oder der ursprüngliche von 1931 am Vorabend der NS-Zeit wiederhergestellt werden soll, war für Rachel Salamander schnell geklärt. Die Synagoge soll ihre ursprüngliche Gestalt wiederfinden. »Der Bau hat in seiner Schlichtheit komplett von den Farben gelebt«, erläuterte sie begeistert und deutete auf blaue Testanstriche an der Ostseite. »Wenn Sonnenlicht durch das Glaslicht auf das Blau trifft, ergibt sich ein Türkiseffekt.« Farbigkeit und Schlichtheit seien im Laufe der Geschichte verschwunden, und es sei immer wieder eine neue Schicht aufgetragen worden.

In den nächsten Wochen wird sowohl den Mitgliedern der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern als auch darüber hinaus allen Interessierten die Möglichkeit gegeben, die Synagoge im Rohzustand zu besichtigen, bevor die Handwerker mit der Aufbauarbeit beginnen. Zum Verständnis beitragen wird eine Filmdokumentation, in der 90 Jahre Zeitgeschichte im Gärtnerplatzviertel in Zeitraffer Revue passieren.

Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte sich eine lebendige Kultur zugewanderter Ostjuden in der Isarvorstadt.

Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte sich eine lebendige Kultur zugewanderter Ostjuden in der Isarvorstadt. Fotos wie etwa die der Familie von Markus (Mordechai) und Mina Blechner, Firmenschilder, der Blick in Betstuben und auf Hochzeitsfotos sowie Erläuterungen, wie sich die Betvereine Linat Hazedek und Agudas Achim zusammentaten, um ihren seit 1914 im Hinterhof der Reichenbachstraße 27 existierenden Betsaal durch einen Neubau zu ersetzen, sind spannende Details.

Beauftragt wurde der Architekt und Bauingenieur Gustav Meyerstein (1899–1975), dem 1933 die Emigration nach Palästina gelang. Sein für 330 Männer und 220 Frauen auf der Empore angelegtes Bauwerk wurde 1938 in der sogenannten Kristallnacht verwüstet. Nur die »bauliche Beengtheit rettete die Bausubstanz«, weil die Feuerwehr zur Bewahrung umliegender Gebäude den Brand löschte. 1939 wurde eine Ausbildungsstätte für jüdische Jugendliche zur Metall- und Holzverarbeitung eingerichtet. Ab 1943 diente der Raum als Kfz-Werkstatt und Warenlager. Ein Filmdokument vom 20. Mai 1947 zeigt die Wiedereröffnung der Synagoge, die mit dem Umzug an den Jakobsplatz am 9. November 2006 stillgelegt wurde.

finanzierung Es sei ein »sehr, sehr großer Aufwand«, so Salamander, »dieses Gebäude im ursprünglichen Zustand wiederherzustellen«, doch »hier haben wir ein richtiges Juwel«. Sie fühlt sich in der Verantwortung, dieses Baudenkmal, dessen Zerstörung von den Nazis geplant und vollzogen wurde, zu retten. In München sei es, so Ron Jakubowicz, das einzige Gotteshaus, das die NS-Zeit überstand. Die Sanierung mit einem Kostenvolumen von zehn Millionen Euro wird von Bund, Freistaat und der Landeshauptstadt München gefördert.

Am Ende soll der Bau voll ritusfähig sein, aber auch Veranstaltungen dienen, »die zur Würde einer Synagoge passen«. Die Israelitische Kultusgemeinde sei Eigentümerin und entscheide über die künftige Nutzung, so Jakubowicz. Für die Zukunft sind Rundgänge durch das jüdische München zwischen Reichenbachstraße und Jakobsplatz geplant, man stellt sich zudem eine Zusammenarbeit mit dem Schulreferat vor.

Wer sich selbst ein Bild machen möchte, hat ab sofort für kurze Zeit jeweils mittwochs von 17 bis 18 Uhr sowie sonntags von 11 bis 12 Uhr die Gelegenheit, die Synagoge zu besichtigen und dabei die Audio- und Filminstallation, die Auskunft zur Bau- und Stadtteilgeschichte sowie persönliche Erinnerungen früherer Synagogenbesucher wiedergibt, wahrzunehmen.

Anmeldung über www.juedisches-museum-muenchen.de oder telefonisch (089/233-96096). Der kostenlose Rundgang beginnt im Foyer des Jüdischen Museums München jeweils 15 Minuten vor Beginn.

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