Geburtstag

»Ich lasse das Schicksal laufen«

Möchte jungen Menschen die Notwendigkeit gesellschaftspolitischen Handelns vermitteln: Trude Simonsohn Foto: Judith König

In ihrer Jugend war sie eine begeisterte Sportlerin. Medizin wollte sie studieren, und sie träumte davon, am Aufbau eines neuen jüdischen Gemeinwesens in Palästina mitzuwirken. Doch dann kam alles anders. 1942, nach dem Attentat auf Reinhard Heydrich, wurde die damals 21-jährige Trude Gutmann im von den Deutschen annektierten Tschechien verhaftet und des Hochverrats angeklagt.

Die Aktivistin der Zionistischen Jugend aus dem nordmährischen Städtchen Olmütz kam zunächst in Einzelhaft, später wurde sie in mehrere Konzentrationslager, darunter auch Auschwitz, verschleppt, bis sie 1945 aus dem KZ Merzdorf bei Groß-Rosen befreit wurde.

Treffpunkt In Theresienstadt hatte sie ihren späteren Ehemann Berthold Simonsohn kennengelernt. Die beiden heirateten und vereinbarten, als man sie auseinanderriss, sich – wenn alles vorbei sein sollte – an diesem Ort wiederzutreffen. Und so kam es auch, einer der glücklichen Zufälle, die das Leben Trude Simonsohns ebenso geprägt haben wie das erlittene Unrecht, die Demütigungen und Entbehrungen der Lagerhaft und der Verlust ihrer Familie. Denn von ihren nahen Angehörigen überlebte sie als Einzige. »Ich hatte mir so viel gewünscht, nichts davon hat sich erfüllt. Seitdem lasse ich das Schicksal laufen« – so lautet das gelassene Fazit, das Trude Simonsohn aus ihren schmerzlichen Erfahrungen zog.

Und so folgte sie ihrem Mann nicht nach Palästina, wie es das Paar ursprünglich geplant hatte, sondern nach Deutschland. 1955 wurde Berthold Simonsohn als Leiter der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland nach Frankfurt berufen, wo er 1962 auch eine Professur für Sozialpädagogik und Jugendstrafrecht erhielt.

Ämter
Erst nach seinem Tod 1978 begann Trude Simonsohn selbst, sich stärker politisch und sozial zu engagieren, als Zeitzeugin, in der Jugendgerichtshilfe, als Jugendschöffin, im Überlebenden-Beirat des Fritz-Bauer-Instituts und von 1989 bis 1992 als Gemeindevorstand und Vorsitzende des Gemeinderates.

Für ihr vielfältiges Engagement wurde sie mit dem Ehrensiegel der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, mit der Wilhelm-
Leuschner-Medaille des Landes Hessen und mit der Ehrenplakette der Stadt Frankfurt ausgezeichnet. 2013 veröffentlichte sie im Wallstein-Verlag unter dem Titel Noch ein Glück ihre Erinnerungen, die sie zusammen mit der Sozialwissenschaftlerin Elisabeth Abendroth aufgezeichnet hat.

Die Arbeit mit jungen Menschen sei das prägende Moment in ihrem Leben gewesen, sagt Trude Simonsohn im Rückblick. Ihr eigener Sohn ist schon selbst wieder Vater eines erwachsenen jungen Mannes. Unermüdlich hat Trude Simonsohn als Zeitzeugin vor Schulklassen und Jugendgruppen aus ihrem Leben erzählt.

Vermächtnis Dass sie selbst trotz allem, was man ihr antat, frei von jedem Hass geblieben ist, scheint die jungen Menschen zu beeindrucken und ihr eine moralische Autorität zu verleihen, die sie in ihren Augen glaubwürdig macht, ohne einschüchternd oder vorwurfsvoll zu wirken. Immer ist ihr Blick auf die Vergangenheit klar, scharf und unverstellt, doch schaut sie nie zurück in Bitterkeit und Zorn. Der jüngeren Generation die Notwendigkeit eines aktiven gesellschaftspolitischen Handelns zu vermitteln – dieses Ziel treibt sie bis heute an.

Am 25. März wird Trude Simonsohn 95 Jahre alt. Sie selbst hat diesen Geburtstag nach eigenen Angaben nicht groß begehen wollen. Doch werden das Land Hessen, die Frankfurter Goethe-Universität und das Fritz-Bauer-Institut sie in einer gemeinsamen Veranstaltung an ihrem Festtag würdigen. Eine weitere Feier anlässlich des 95. Geburtstags von Trude Simonsohn, die man zweifelsohne zu den beeindruckenden Persönlichkeiten des Zeitgeschehens zählen darf, findet am 14. April in der Jugendbildungsstätte Anne Frank in Frankfurt statt.

Mitzvah Day

Im Handumdrehen

Schon vor dem eigentlichen Tag der guten Taten halfen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Zentralrats bei der Berliner Tafel, Lebensmittel zu prüfen

von Sören Kittel  20.11.2025

Misrachim

»Selbst vielen Juden ist unsere Kultur unbekannt«

Ihre Familien kommen aus Marokko, Libyen, Irak und Aserbaidschan. Ein Gespräch über vergessene Vertreibungsgeschichten, sefardische Synagogen und orientalische Gewürze

von Joshua Schultheis, Mascha Malburg  20.11.2025

Sachsen-Anhalt

Judenfeindliche Skulptur in Calbe künstlerisch eingefriedet

Die Kunstinstallation überdeckt die Schmähfigur nicht komplett. Damit soll die Einfriedung auch symbolisch dafür stehen, die Geschichte und den immer wieder aufbrechenden Antisemitismus nicht zu leugnen

 19.11.2025

Berlin

450 Einsatzkräfte schützen jüdische Einrichtungen

Zudem seien im laufenden Jahr zwei Millionen Euro in bauliche Sicherheitsleistungen für jüdische Einrichtungen investiert worden sowie 1,5 Millionen Euro in mobile Sicherheitsleistungen für jüdische Gemeindeeinrichtungen

 19.11.2025

Ehrung

»Gräben aufgerissen«

Der Preis Augsburger Friedensfest ehrt Personen, die sich um ein friedvolles Miteinander der Religionen bemühen. Jetzt ging er an Josef Schuster vom Zentralrat der Juden. Er äußert sich bei der Verleihung kritisch

von Christopher Beschnitt  18.11.2025

Leipzig

Henriette Goldschmidt: Feministin der ersten Stunde

Sie wollte Frauen durch Bildung und Erwerbstätigkeit mehr Unabhängigkeit ermöglichen: Henriette Goldschmidt eröffnete in Leipzig die erste »Hochschule für Frauen«. Vor 200 Jahren wurde sie geboren

von Katharina Rögner  17.11.2025

Judenhass

Charlotte Knobloch warnt: Zukunft jüdischen Lebens ungewiss

Die Hintergründe

 16.11.2025

Porträt der Woche

Bühne und Heimweh

Emiliia Kivelevich inszeniert Theater zwischen Kunst, Glaube und Migration

von Christine Schmitt  16.11.2025

Ehrung

Göttinger Friedenspreis für Leon Weintraub und Schulnetzwerk

Zwei Auszeichnungen, ein Ziel: Der Göttinger Friedenspreis geht 2026 an Leon Weintraub und ein Schulprojekt. Beide setzen sich gegen Rassismus und für Verständigung ein

von Michael Althaus  13.11.2025