Diskussion

Hilfe vom »Feind«

Diskutierten über die Integration von Flüchtlingen in die moderne westliche Welt. Foto: Rafael Herlich

»Die Grenzen waren offen, und es kamen Menschen.« Lakonisch beschreibt Doron Kiesel, wissenschaftlicher Direktor der Bildungsabteilung im Zentralrat der Juden, den mittlerweile zwei Jahre zurückliegenden Zustrom Tausender Flüchtlinge aus dem Nahen und Mittleren Osten nach Deutschland.

Schon im Herbst 2015 regte Aron Schuster, stellvertretender Direktor der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST), an, arabisch sprechende Israelis in die Integrationsarbeit einzubinden. Was aus diesem Vorschlag wurde, zeigt eine Podiumsdiskussion in Frankfurt.

Veranstaltet von der Jüdischen Volkshochschule in Zusammenarbeit mit der Deutsch-Israelischen Gesellschaft befasst sie sich mit dem gemeinsamen Projekt der 2001 gegründeten israelischen Hilfsorganisation IsraAid und der ZWST. Im Rahmen dieses Projekts arbeitet das arabisch-israelische Ehepaar Natheem und Tarherr Ganayem seit einem Jahr mit Flüchtlingen in Frankfurt. Natheem Ganayem ist Psychologe und Sozialarbeiter.

Er lebt als arabischer Muslim mit seiner Frau in der israelischen Stadt Beer Sheva. Er arbeitet hauptsächlich mit Männern in Gruppen und in Einzelgesprächen und vermittelt ihnen, wie man als Muslim aus einer konservativen Herkunftskultur in einer modernen Gesellschaft seine Identität bewahren kann. Dabei greift er auf eigene Erfahrungen zurück.

Missverständnisse Tarherr Ganayem betreut Frauen und spricht mit ihnen über Sexualität und häusliche Gewalt. Gal Rachmann von IsraAid bestätigt Ganayems Einschätzung. »Was wir vermitteln, ist eher Integration in die moderne westliche Gesellschaft.« Es gehe dabei weniger um die deutschen Besonderheiten als um psychosoziale Unterstützung. Die meisten Flüchtlinge seien traumatisiert und lebten in einer Situation ohne ausreichende Privatsphäre. Es gebe sprachliche und kulturelle Missverständnisse zwischen Flüchtlingen und dem Personal der Unterkünfte, ergänzt Ganayem.

Da gehe es häufig um kleine alltägliche Dinge. So habe er einen Mann ermutigt, spazieren zu gehen, um Frankfurt zu erkunden. Viele Flüchtlinge steckten buchstäblich in den Unterkünften fest. »Ich befähige die Menschen, ihren eigenen Weg zu finden, und unterstütze sie mental«, sagt Ganayem.

Nicht alle Flüchtlinge möchten indes Hilfe von einer jüdischen und israelischen Organisation annehmen. Es kommt immer wieder zu Spannungen mit Flüchtlingen. Und dennoch verheimlichen IsraAid-Mitarbeiter ihre israelische Herkunft nicht, versuchen aber, die große Politik so weit wie möglich aus den Gesprächen herauszuhalten. »Wir sind damit beschäftigt, zu arbeiten und zu helfen«, sagt Rachmann.

Nach wie vor sei der direkte Kontakt der beste Weg, Antisemitismus zu verringern. Manche Flüchtlinge änderten ihre Einstellung gegenüber Juden und Israel. Konflikte und Spannungen gebe es in den Flüchtlingsunterkünften auch zwischen den einzelnen Ethnien, weiß Rachmann.

Aron Schuster berichtet seinerseits von syrischen Flüchtlingen, die die Migrationsberatung der ZWST ganz gezielt aufsuchten, weil sie sich mit den dortigen Mitarbeitern auf Russisch verständigen könnten. Er regt an, die Qualifikationen jedes einzelnen Flüchtlings in den Mittelpunkt der Integration zu stellen.

Finanzierung Nach zwei Stunden Diskussion bleiben dennoch einige Fragen bei den Zuhörern. Sie betreffen vor allem das Verhältnis muslimischer Flüchtlinge zu Juden und Israel sowie die Finanzierung des gemeinsamen Hilfsprojekts. Es werde vom Bundesfamilienministerium, der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung, der Aktion »Deutschland hilft« sowie aus Spenden gefördert, erläutert Schuster.

Die Integration Hunderttausender Flüchtlinge sei weiterhin »eine riesige Herausforderung«, resümiert Moderator Kiesel und lobt die Rolle der ZWST und ihre Kompetenz ausdrücklich. »Deutschland war auf diese Form der traumatisierten Zuwanderung nicht vorbereitet«, sagt er. Natheem und Tarherr Ganayem sind inzwischen nach Israel zurückgekehrt. »Ich hoffe sehr, dass eure Arbeit weitergeführt wird«, sagt Kiesel.

Bayern

Merz kämpft in wiedereröffneter Synagoge mit Tränen

In München ist die Synagoge an der Reichenbachstraße feierlich wiedereröffnet worden, die einst von den Nationalsozialisten zerstört wurde. Der Bundeskanzler zeigte sich gerührt

von Cordula Dieckmann  15.09.2025 Aktualisiert

Sachsen-Anhalt

Erstes Konzert in Magdeburger Synagoge

Die Synagoge war im Dezember 2023 eröffnet worden

 15.09.2025

Thüringen

Jüdisches Bildungsprojekt »Tacheles mit Simson« geht erneut auf Tour

Ziel des Projektes sei es, dem Aufkommen von Antisemitismus durch Bildung vorzubeugen, sagte Projektleiter Johannes Gräser

 15.09.2025

Essen

Festival jüdischer Musik mit Igor Levit und Lahav Shani

Der Festivalname »TIKWAH« (hebräisch für »Hoffnung«) solle »ein wichtiges Signal in schwierigen Zeiten« setzen, hieß es

 15.09.2025

Berlin

Margot Friedländer Preis wird verliehen

Die mit insgesamt 25.000 Euro dotierte Auszeichnung gehe an Personen, die sich für Toleranz, Menschlichkeit, Freiheit und Demokratie einsetzen

 15.09.2025

München

»In unserer Verantwortung«

Als Rachel Salamander den Verfall der Synagoge Reichenbachstraße sah, musste sie etwas unternehmen. Sie gründete einen Verein, das Haus wurde saniert, am 15. September ist nun die Eröffnung. Ein Gespräch über einen Lebenstraum, Farbenspiele und Denkmalschutz

von Katrin Richter  14.09.2025

Hamburg

»An einem Ort getrennt vereint«

In der Hansestadt soll die Bornplatzsynagoge, die in der Pogromnacht von den Nazis verwüstet wurde, wiederaufgebaut werden. Ein Gespräch mit dem Stiftungsvorsitzenden Daniel Sheffer über Architektur, Bürokratie und Räume für traditionelles und liberales Judentum

von Edgar S. Hasse  13.09.2025

Meinung

»Als Jude bin ich lieber im Krieg in der Ukraine als im Frieden in Berlin«

Andreas Tölke verbringt viel Zeit in Kyjiw und Odessa – wo man den Davidstern offen tragen kann und jüdisches Leben zum Alltag gehört. Hier schreibt er, warum Deutschland ihm fremd geworden ist

von Andreas Tölke  13.09.2025

Porträt der Woche

Das Geheimnis

Susanne Hanshold war Werbetexterin, Flugbegleiterin und denkt über Alija nach

von Gerhard Haase-Hindenberg  13.09.2025