München

»Große Herausforderungen«

Wein, Mazzot, Sroa, Bejza, Maror, Charosset, Karpas, Chaseret: Die Speisen auf dem Sederteller stehen symbolisch für jeweils ein Element, das den Auszug aus Ägypten darstellt. Foto: Marina Maisel

Die Freiheit steht im Zentrum des Pessachfestes. Mit dem Lesen der Haggada am Sederabend bekräftigen wir nicht nur unsere Verbindung zu den Grundwerten unseres Glaubens. Wir vergegenwärtigen uns auch die Befreiung aus der Sklaverei, transportieren den beschwerlichen Weg durch die Wüste in unsere Realität und formulieren für uns einen konkreten, aktuellen Auftrag.

Die historischen Ereignisse prägen uns, beziehen sich nicht allein auf die Vergangenheit, sondern verpflichten uns auch in der Gegenwart und schulen uns für das Morgen. Der Kampf für die Freiheit – die eigene und jene des anderen – ist der Kampf, der über die Zukunft der Welt entscheidet.

terroranschläge Dieses Pessach steht unweigerlich unter dem Eindruck der jüngsten Exzesse des Terrors, besonders der Anschläge in Paris und Kopenhagen. Die Attentate waren nicht die ersten ihrer Art – und werden, so ist zu befürchten, nicht die letzten sein. Es sind Anschläge auf die Freiheit, auf das liberale Denken, die Demokratie.

Stand das World Trade Center für westlichen Fortschritt und freie Märkte, so symbolisieren die Ziele der Terroristen von Paris und Kopenhagen den Geist der (Meinungs-)Freiheit – und es waren wohlgemerkt Juden und jüdische Einrichtungen, die von den Terroristen attackiert wurden. Ein Fakt, der in Politik und Medien vielfach zu wenig Erwähnung fand.

Denn so evident die Symbolik auch sein mag, so gerne wird sie übersehen. Dass Juden nach dem Holocaust vor 70 Jahren Deutschland und Europa die Treue hielten, war ein Vertrauensbeweis in die Tragfähigkeit der freiheitlich-demokratischen Werte, die sich gerade wieder ihren Weg bahnten.

Menschenrechte Und wenn heute ausgerechnet wieder Juden in Europa zum Ziel – islamistischen – Terrors werden, belegt das nicht nur den in der muslimischen Kultur verbreiteten erbarmungslosen Antisemitismus. Es ist zugleich ein Angriff auf jene Werte, Prinzipien und Menschenrechte, die zur Grundlage der westlichen Verfassungen wurden und die ein respektvolles und freiheitliches Miteinander bedingen.

Seit Jahrhunderten galt die Frage, wie in einer Gesellschaft, in einem Staat, Juden akzeptiert und respektiert werden, als Seismograf für die Freiheit. Antisemitismus kann historisch als das zentrale Symptom einer kränkelnden Gesellschaft betrachtet werden. Ein Schlag gegen Juden ist ein Anschlag auf die Freiheit – eine Attacke gegen die Errungenschaften, die in Europa über die letzten Jahrhunderte unter enormen Opfern erkämpft wurden, auf die wir stolz sein können und sollten, und die wir unbedingt beschützen und verteidigen müssen.

Es ist ein Armutszeugnis, dass Juden hierzulande nur unter Polizeischutz ihre Religion ausüben können. Gleichzeitig ist es eine Schande, dass auch die offensichtlichste antijüdische Aggression nicht als solche benannt wird. Wenn etwa ein Brandanschlag auf eine Synagoge »keine antisemitische Tat« ist, wie das Amtsgericht Wuppertal jüngst urteilte, mag das gut für die Statistik sein, aber es ist schlecht für den ehrlichen Umgang mit den unübersehbaren Missständen in unserer Gesellschaft.

affront Es ist ein Persilschein für solche abscheulichen Taten, die das jüdische Leben in Deutschland existenziell gefährden. Und wenn die Geiselnahme in einem jüdischen Supermarkt als »Zufall« eingeordnet wird, dann sind solche Relativierungen und Verharmlosungen befremdlich – ein Affront gegenüber der jüdischen Gemeinschaft, die zunehmend besorgt und verunsichert ist.

Es stimmt zwar: Noch immer sind rechtsextremistische Organisationen der bedeutsamste politische Träger des Antisemitismus. Umso dringlicher muss das NPD-Verbot weiter entschlossen vorangetrieben werden – als Signal nach außen und nach innen, dass nationalsozialistisches Gedankengut in Deutschland keinen Platz mehr hat, weder im parteipolitischen Spektrum noch im parlamentarischen System.

Der Rechtsextremismus wurde über Jahrzehnte zu zaghaft bekämpft. Die braune Gefahr wurde fahrlässig, wenn nicht sogar systematisch vernachlässigt. Heute arbeiten neonationalsozialistische Ideologen an einer neuen Machtstrategie und rechtsradikale Kameradschaften erobern in bestimmten Regionen ganze Landstriche.

Islamismus Aber uns fällt nun auf die Füße, dass auch der Islamismus viel zu lange willfährig übersehen wurde. Muslimische Migranten wurden unzureichend oder gar nicht in unsere Demokratie integriert. Man hat die sich immer weiter entfremdenden, in eine Parallelwelt abdriftenden Minderheiten nicht zuletzt auf unsere Kosten gewähren lassen, sie als Opfer betrachtet und die Radikalisierung in ihren Reihen ausgeblendet.

Doch Schönfärberei macht einen Zustand bekanntlich nur noch schlimmer. Es erfordert Mut, Probleme offen zu benennen und die sich ergebenden Herausforderungen selbstreflexiv und aktiv anzunehmen. Das aber ist das Gebot der Stunde. Denn der Kampf für die Freiheit ist niemals gewonnen – diese Lehre ist in diesem Jahr sehr konkret, nicht nur mit Blick auf Europa, sondern noch mehr mit Blick auf Tunesien, den Jemen, Syrien, Irak, Nigeria, Afghanistan und viele weitere Brandherde auf unserer Welt, so auch auf die Ukraine gleich vor unserer Haustür.

70 Jahre nach der Schoa stehen Europa und die Welt vor großen Herausforderungen. Der ungeniert erstarkende Antisemitismus ist nur eine davon. Aber die Art und Weise, wie die Staaten und Individuen diese bewältigen, wird ein Gradmesser dafür sein, wie wir für andere zivilisatorische Gretchenfragen gewappnet sind.

Hoffnung Pessach ist ein Fest, an dem wir uns auf unsere eigene Stärken und die Verpflichtung zu einem verantwortungsvollen Umgang miteinander und mit G’ttes Schöpfung besinnen. Nur wenn wir uns als Menschen in G’ttes Sinne verhalten, dürfen wir auf G’ttes Segen vertrauen – und aus diesem Vertrauen neue Zuversicht, Kraft und Hoffnung schöpfen.

Lassen Sie uns aus der Geschichte von Pessach lernen. In diesem Sinne verbinden die wunderbaren Rituale der Sederabende, die wir im Kreise unserer Familien und Freunde verbringen, nicht nur die Juden auf aller Welt – sondern alle Menschen, die in Frieden und Freiheit und gegenseitigem Respekt miteinander leben wollen.

Ich wünsche Ihnen und Ihren Familien Pessach sameach vekascher! Die besten Grüße und Wünsche für ein frohes und koscheres Pessach.

Ihre Charlotte Knobloch

Meinung

Die Tränen des Kanzlers

Bei seiner Rede in München gab Friedrich Merz ein hochemotionales Bekenntnis zur Sicherheit jüdischen Lebens ab. Doch zum »Nie wieder dürfen Juden Opfer werden!« gehört auch, den jüdischen Staat nicht im Stich zu lassen

von Philipp Peyman Engel  17.09.2025

München

Knobloch lobt Merz-Rede in Synagoge

Am Montagabend wurde in München die Synagoge Reichenbachstraße wiedereröffnet. Vor Ort war auch der Bundeskanzler, der sich bei seiner Rede berührt zeigte. Von jüdischer Seite kommt nun Lob für ihn - und ein Appell

von Christopher Beschnitt  16.09.2025

Auszeichnung

Düsseldorfer Antisemitismusbeauftragter erhält Neuberger-Medaille

Seit vielen Jahren setze sich Wolfgang Rolshoven mit großer Entschlossenheit gegen Antisemitismus und für die Stärkung jüdischen Lebens in Düsseldorf ein, hieß es

 16.09.2025

Erinnerung

Eisenach verlegt weitere Stolpersteine

Der Initiator des Kunst- und Gedenkprojekts, Gunter Demnig aus Köln, die Stolpersteine selbst verlegen

 16.09.2025

Porträt der Woche

Passion für Pelze

Anita Schwarz ist Kürschnerin und verdrängte lange das Schicksal ihrer Mutter

von Alicia Rust  16.09.2025

Bayern

Merz kämpft in Synagoge mit Tränen

In München ist die Synagoge an der Reichenbachstraße feierlich wiedereröffnet worden, die einst von den Nationalsozialisten zerstört wurde. Der Bundeskanzler zeigte sich gerührt

von Cordula Dieckmann  17.09.2025 Aktualisiert

Sachsen-Anhalt

Erstes Konzert in Magdeburger Synagoge

Die Synagoge war im Dezember 2023 eröffnet worden

 15.09.2025

Thüringen

Jüdisches Bildungsprojekt »Tacheles mit Simson« geht erneut auf Tour

Ziel des Projektes sei es, dem Aufkommen von Antisemitismus durch Bildung vorzubeugen, sagte Projektleiter Johannes Gräser

 15.09.2025

Essen

Festival jüdischer Musik mit Igor Levit und Lahav Shani

Der Festivalname »TIKWAH« (hebräisch für »Hoffnung«) solle »ein wichtiges Signal in schwierigen Zeiten« setzen, hieß es

 15.09.2025