Porträt der Woche

Gesichter gesucht

»Ich wollte kein Doppelleben mehr führen, nur weil ich schwul bin«: Daniel Bachrach (50) Foto: Gregor Zielke

Derzeit bin ich mit einer Sache beschäftigt, die mir sehr am Herzen liegt. Ich habe ein Konzept für eine israelisch-palästinensische Kulturwoche entwickelt und würde es gerne in Berlin realisieren. Mit allem Drum und Dran: Musik, Tanz, Film, Theater und Literatur. Es gibt zwar viele kleine Gruppen, die immer irgendwo irgendetwas in diese Richtung machen. Zumeist aber jeder für sich, weil die Leute nicht so gut vernetzt sind. Da ich ein Networker bin, möchte ich das in Gang bringen. Das ist ein großer Traum von mir.

Überhaupt liegt mir das Thema jüdisch-arabischer Dialog sehr am Herzen. Daher unterstütze ich seit Jahren eine Freundin, die mit ihrer Stiftung jüdische und arabische Jugendliche aus der Westbank in Berlin zusammenbringt. Sie ist Palästinenserin, und ich bin Jude – na und? Gespräche miteinander sind die einzige Möglichkeit, den Nahostkonflikt aufzubrechen und für Frieden zu sorgen. Vorurteile und Ressentiments lassen sich nur abbauen, wenn man einander kennt.

biografie Das Politische habe ich von meinem Vater. Er war ein deutscher Jude aus Marburg, der 1938 nach Palästina ging. Meine Mutter kommt aus der Slowakei und hat den Krieg im Versteck überlebt. Sie hatte sehr viel Glück, im letzten Moment gelang es ihr irgendwie, den Zug zu verlassen, der ins Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau fuhr.

Nach dem Krieg ging sie nach Israel, lernte dort meinen Vater kennen und heiratete ihn. Aus wirtschaftlichen Gründen kamen sie nach Deutschland und ließen sich in Frankfurt nieder. Mein vier Jahre älterer Bruder ist noch in Israel geboren, ich bin 1964 in Frankfurt zur Welt gekommen.

In der ersten Phase meines Lebens bin ich sehr stark jüdisch geprägt worden; ich wuchs in einer traditionellen jüdischen Familie auf. Bis ich aufs Gymnasium ging, hatte ich nur jüdische Freunde. Mein Vater ist früh gestorben, drei Tage nach meinem 17. Geburtstag. Ihm war die Religion sehr wichtig. Daher ist der religiöse Teil in mir nach seinem Tod etwas weniger geworden, nicht aber der israelische. Ich bin jedes Jahr dort. Nach dem Abitur habe ich sogar im jüdischen Staat gelebt und war auch in der zionistischen Jugendbewegung aktiv.

Coming-out Wichtig sind mir im Leben vor allem zwei Dinge. Das Erste drückt der Satz »Ich bin okay, wie ich bin, und du bist okay, wie du bist« aus. Wenn wir dieses Prinzip im Zwischenmenschlichen umsetzen und uns alle daran halten könnten, dann hätten wir schon sehr viel gewonnen. Das Zweite ist: keine Angst haben. Denn Angst ist das Schlimmste, mit dem Gefühl wird sehr viel Politik gemacht. Mich nicht von der Angst beherrschen zu lassen, hat mir sehr geholfen.

Ich habe nämlich relativ früh entdeckt, dass ich schwul bin, es aber lange Zeit versteckt. Wenn ich in schwulen Kreisen unterwegs war, habe ich meine wahre Identität nie preis gegeben. Während meines Studiums, mit 22 Jahren, habe ich endlich den Mut gefasst und mir gesagt, dass ich offen schwul leben möchte. Ich wollte mich nicht länger verstellen, nicht länger ein Doppelleben führen.»

Die Erste, der ich mich geöffnet habe, war eine sehr gute Freundin. Nach und nach habe ich es auch anderen Freunden gesagt. Zwei Jahre hat es allerdings gedauert, bis ich meiner Mutter und meinem Bruder sagen konnte, dass ich schwul bin. Mein Bruder hat ganz toll reagiert und gesagt: Hauptsache, du bist glücklich! Meine Mutter hat gesagt: Kein Problem – aber erzähle es keinem.

bedenken Aus ihrer Situation heraus kann ich das gut verstehen. In den 80er-Jahren herrschte noch ein anderes gesellschaftliches Klima. Ich hatte ja auch Bedenken, öffentlich zu meinem Schwulsein zu stehen. Auch deshalb, weil ich Gruppenleiter in der Zionistischen Jugend war. Ich befürchtete, dass die Jüdische Gemeinde nicht länger mit mir zusammenarbeiten möchte, wenn bekannt wird, dass ich homosexuell bin. Noch heute denken manche, dass Schwule keine Jugendlichen betreuen dürfen.

Ich habe eine große Leidenschaft für Spielshows. Kennengelernt habe ich sie als 16-Jähriger in England, wo solche Sendeformate damals viel beliebter waren als bei uns. Während meines Betriebswirtschaftsstudiums wollte ich ein Praktikum beim Fernsehen machen und hatte großes Glück. Das ZDF gab grünes Licht – und zwar bei «Der große Preis» von Wim Thoelke. Ich habe rasch gespürt: Das ist mein Ding! Ich durfte da sehr viel machen, weil die Leute gemerkt haben, dass ich Talent habe. Diese Zeit werde ich nie vergessen.

Nach meinem Studium habe ich in der Firma meines Bruders gearbeitet. Er produzierte Sendungen für den Bayerischen Rundfunk, zum Beispiel die Sendung Herzblatt und die Rudi Carrell Show. Ich bin also dazu gestoßen und habe als Redakteur eine der größten TV-Shows jener Zeit betreut, später auch Sendungen von Thomas Gottschalk und Johannes B. Kerner. Es kam dann eine Zeit, in der ich gemerkt habe, dass ich mich von meinem Bruder lösen muss, weil ich sonst immer der kleine Bruder bleibe. Also bin ich nach Berlin gegangen und habe mich mit einer Castingagentur selbstständig gemacht.

Leidenschaft Das Schöne ist, dass ich immer noch Leidenschaft für meine Arbeit habe – auch nach 17 Jahren. Mal sind es die Sender, mal die Producer, die anrufen und sagen: Für die und die Sendung suchen wir Kandidaten. Meine Mitarbeiterinnen suchen dann nach passenden Personen.

Wir haben auch sogenannte Street-Caster, die für uns Leute auf der Straße ansprechen. Heute läuft aber auch vieles über die Sozialen Medien. Wir arbeiten unter anderem für Single-Shows, die auf Privatsendern laufen. Wir entwickeln zudem auch Formate – eines davon ist ein Dialekträtsel, das derzeit jeden Tag in der ARD läuft. Die Zuschauer müssen erraten, in welchem Dialekt ein Wort vorgestellt wird.

Als Ausgleich zum Job treffe ich mich häufig mit Freunden, bestimmt fünfmal die Woche. Ich habe einen sehr, sehr großen Freundeskreis und mag es, mit ihnen essen, ins Kino oder ins Theater zu gehen. In Berlin gibt es ja super viele Angebote. Manchmal gehe ich aber auch nur zu Freunden nach Hause, und wir machen einen Spieleabend.

Um in Form zu bleiben, mache ich mit meinem Personaltrainer jeden Mittwoch und Freitag Sport. Oder besser gesagt: er mit mir. Ich muss schließlich meine Kondition halten. Auch weil ich im vierten Stock wohne und es keinen Fahrstuhl gibt. Wenn man da das Training einige Male ausfallen lässt, macht sich das schnell bemerkbar. Ab und an gehe ich zum Fußball, das ist ein großes Interesse von mir.

talkshows Was ich selten verpasse und für mich ein echtes Highlight ist: Alles was zählt. Das ist eine Seifenoper auf RTL, die liebe ich. Und ich schaue mir auch den Tatort und anschließend Günther Jauch an. Überhaupt sehe ich gerne Talkshows, das habe ich von meinem Vater. Gemeinsam mit ihm Werner Höfers Frühschoppen am Sonntagmorgen zu sehen, war immer etwas ganz Besonderes. Wenn ich daran zurückdenke, wird mir warm ums Herz.

Generell werde ich nicht unzufrieden, wenn ich auf mein bisheriges Leben zurückblicke. Kürzlich habe ich meinen 50. Geburtstag gefeiert. Meine beste Freundin hat das Fest für mich organisiert. Christen, Juden und Muslime, Heteros und Schwule haben miteinander gesungen, getanzt und gefeiert. Und das Ganze nur ein paar Meter vom Brandenburger Tor entfernt. Was will man mehr!

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