Tora

Geschenkt, gerettet, gespendet

Freudiger Akt: Einbringen der Torarollen in die neue Synagoge Dresden 2001 Foto: dpa

Tora

Geschenkt, gerettet, gespendet

Die Gemeinden und die unglaublichen Geschichten ihrer Schriftrollen

von Elke Wittich  08.11.2011 10:02 Uhr

Marodierend und brandschatzend zogen am 9. November 1938 SA-Schergen durch die Städte. Synagogen wurden niedergebrannt, Torarollen achtlos auf die Straße geworfen. Wie durch ein Wunder wurden einige gerettet. Und wenn man heute in Gemeinden nach ihren Schriftrollen fragt, wird schnell klar: Sie erzählen Geschichten. Einige überlebten die Nazizeit in Verstecken oder in der Emigration. Manche kamen als Geschenke von Gemeinden aus der ganzen Welt nach Deutschland, andere wurden, meist nach eisernem Sparen, gerade erst angeschafft.

»Wir haben zwei alte und zwei neue Torarollen – mehr würden auch nicht in unseren Schrank passen«, sagt Marcel Wainstock, Geschäftsführer der Synagogengemeinde Saar. Und beschreibt: »Die Restaurierung einer alten Rolle ist grundsätzlich möglich, aber natürlich gleichzeitig auch eine Kostenfrage.« Wann genau die ältesten Sifrei Tora der Gemeinde angefertigt wurden, wisse er nicht, »dem äußeren Eindruck nach zu schließen wahrscheinlich vor 100, 150 Jahren«.

Auch aus welcher Synagoge sie ursprünglich stammten, ist unklar. Bis zur Nazizeit existierten im Saarland 21 jüdische Gemeinden, die Vermutung liege nahe, dass die beiden alten Schriften aus einer von ihnen stammen. »Ich weiß nur, dass mindestens eine mit in die Emigration genommen wurde und später zurückkehrte – aber wer sie auf diese Weise gerettet hat, weiß leider niemand. Derjenige, von dem ich es vermute, ist leider gerade gestorben.«

Tricks In der Marburger Umgebung verdanken viele Schriftrollen ihr Überleben einem Trick, erzählt die stellvertretende Gemeindevorsitzende Monika Bunk. »Die Leute, die in der hiesigen Religionskundlichen Sammlung arbeiteten, konnten den Nazis weismachen, dass sie die Rollen zu wissenschaftlichen Zwecken brauchten. Diese Nichtjuden haben dafür gesorgt, dass die Heiligen Bücher nach dem Krieg der jüdischen

Übergangsgemeinde, die aus rund 330 sogenannten displaced persons bestand, übergeben werden konnten.« Ein historisches Foto zeige diesen Moment, »auf einem langen Tisch liegen viele Rollen – drei sind aber in Marburg geblieben«. Außerdem sei ein Historiker gerade dabei, zu recherchieren, wie am 9. November die Rollen aus der Marburger Gemeinde gerettet wurden – vermutlich war es der Hausmeister, »ein Nichtjude«, wie Bunk betont, »der sich anscheinend kurzerhand beim Nachbarn eine Schubkarre geliehen hatte, um die Rollen sicher abzutransportieren«.

Eine davon lässt sich sogar geografisch zuordnen, berichtet Bunk: Auf einem kleinen Spruchband steht, dass sie der heute nicht mehr existierenden Jüdischen Gemeinde Wolfhagen in der Nähe von Kassel gehörte. Wie alt die Marburger Rollen allerdings sind, weiß niemand so genau. Ihr Alter schätzt sie auf 100 oder 150 Jahre, »denn die Marburger Synagoge wurde 1897 eingeweiht, in den knapp 40 Jahren, in denen sie stand, wurde wohl kaum eine neue Rolle angeschafft«, sagt Bunk.

Förderverein Weil die alten Torarollen langsam unbenutzbar werden, hat die Marburger Gemeinde mithilfe des Fördervereins eine neue Rolle gekauft, die vor einem Jahr feierlich in die Synagoge eingebracht werden konnte. »Im Prinzip sammeln wir nun für eine weitere, aber es wird noch ein Weilchen dauern, bis wir sie dann auch anschaffen können«, sagt Bunk.

Was dann aus den alten Rollen werde, sei noch nicht entschieden. »Unser Vorbeter drängt darauf, sie zu begraben, aber durch ihre besondere Geschichte tendieren wir eher nicht dazu. Diese Rollen haben so viel überlebt, und es ist so schön zu sehen, wie sie an Simchat Tora durch die Synagoge getragen werden, dass sie vielleicht auch einfach nur im Schrank bleiben – noch ist dort auf jeden Fall genug Platz.«

Auch in Dresden sind einige der neun Schriftrollen schon sehr alt, und das ist ein Problem, wie Geschäftsführer Heinz-Joachim Aris erzählt. Denn »die Rollen werden ja zertifiziert, und so ein Koscherzertifikat kann man bei ganz alten Exemplaren natürlich nicht mehr guten Gewissens erteilen«.

Zertifikat Um eine solche, von einem Rabbiner ausgestellte Urkunde zu erhalten, muss eine neue Torarolle in der sogenannten assyrischen Schrift geschrieben sein, und zwar von Hand – ein gedrucktes Exemplar wäre genauso wenig koscher wie eines, in dem einer der 304.805 Buchstaben fehlt oder wenn das aus der Haut eines koscheren Tieres hergestellte Pergamentpapier beschädigt ist. Auch ein verblasster Buchstabe, wie es bei alten Rollen, vor allem an den am Holz liegenden Stellen, natürlich schnell passieren kann, wäre ein Grund für die Nichtzertifizierung.

Die fünf Alten würden wohl irgendwann auf dem zu DDR-Zeiten entstandenen Friedhof begraben. »Dort gibt es eine Stelle, wo schon einmal eine Torabeerdigung stattfand«, erklärt Aris. »Wir haben vier Schenkungen erhalten, von Gemeindemitgliedern und den Landesrabbinern, drei Rollen davon sind ganz neu. Eine ist noch extrem gut erhalten, sie wurde uns von einem Ehepaar geschenkt, das im Rahmen einer Erbschaft in ihren Besitz kam, diese Tora hat die Kriegswirren überlebt.«

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