»Wir sind glücklich, dass diese vier Gewandschließen aufgetaucht sind«, so Dr. Maria Stürzebecher, UNESCO-Welterbebeauftragte und Kuratorin der Alten Synagoge. Drei der vier Gegenstücke sind seit 2009 in der Alten Synagoge ausgestellt, nachdem sie zuvor in Paris, New York und London gemeinsam mit dem jüdischen Hochzeitsring, Broschen, Trinkschalen, Gürtelteilen und Gewandschmuck zu sehen waren. »Ich freue mich darüber, dass die Alte Synagoge um diese Stücke bereichert werden wird«, so Prof. Reinhard Schramm, Vorsitzender der Jüdischen Landesgemeinde. »Wir Juden könnten unser Erbe nicht allein schützen, deshalb bin ich froh, dass die Gesellschaft aktiv ist«, ergänzt er.
Vorausgegangen ist dieser Präsentation der Stücke ein regelrechter Krimi. Ein Anruf im Rathaus sorgt Anfang des Jahres für Fassungslosigkeit. Ein Mann bietet tatsächlich per Telefon vier Fundstücke aus dem Jahr 1998 an, die er offensichtlich während der Bauarbeiten in Erfurt damals heimlich eingesteckt hat. Der Anrufer gerät ausgerechnet an Dr. Karin Sczech, eine der beiden UNESCO-Welterbebeauftragten. Sie ist fassungslos. Was der Mann gemacht hat, ist kriminell. Denn es geht um Fundstücke aus dem jüdisch-mittelalterlichen Schatz aus dem 14. Jahrhundert. Alle Bauarbeiter wurden damals ausdrücklich befragt, ob sie die Fundstücke abgegeben haben. Sie bejahten, es gibt ein Protokoll. Auch der Anrufer tat das. Der Täter, denn die Unterschlagung von derlei Funden ist eine Straftat, will mit diesen vier Stücken Geld verdienen. Er hätte, so heißt es, »gern eine angemessene Summe für diesen Fund«. Karin Sczech reagiert schnell und informiert das Thüringer Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie.
Nun wird die Staatsanwaltschaft eingeschaltet, um den Verdacht der Unterschlagung juristisch zu klären. Doch die Verjährungsfrist für Unterschlagung endet nach fünf Jahren. Damit ist das Einstecken der Fundstücke als kriminelle Handlung vom Tisch. Thüringen ist dennoch Eigentümer des Erfurter jüdischen Schatzes. Dafür sorgt das sogenannte Schatzregal. Es besagt, dass Funde, die bei staatlichen Nachforschungen entdeckt werden und von großem wissenschaftlichem Wert sind, als Kulturgut gesichert werden müssen. »Sie gehören in die Mitte der Gesellschaft«, so Kultur-Staatssekretär Prof. Steffen Teichert.
Die Staatsanwaltschaft entschied deshalb auf einen Durchsuchungsbeschluss in Thüringen und in benachbarten Bundesländern. Von dort waren Bauarbeiter in den Neunziger Jahren in Lohn und Brot, unter anderem aus Hessen, woher der Anruf kam. Und die Polizei wurde fündig.
Die vier Teile der gotischen Gewandschließen wurden erstmals und vorerst letztmalig der Öffentlichkeit vorgestellt. Denn sie müssen restauriert und konserviert werden, verweist zu Recht Dr. Sven Ostritz, Präsident des Landesamtes für Denkmalschutz und Archäologie. Das braucht Zeit – möglicherweise bis zu einem Jahr. Maria Stürzebecher als Kuratorin der Alten Synagoge ist froh darum. Sie möchte in dieser Zeit zugleich erforschen, ob diese Stücke einen weiteren Aufschluss über das Leben im Mittelalter geben können.
Dass 1998 der Erfurter jüdische Schatz aus dem Mittelalter gehoben wurde, grenzt an ein Wunder. Denn in dem jüdischen Quartier in der Altstadt wäre er beinahe endgültig für die Öffentlichkeit verloren gegangen, geplant war ein Hausbau. Unter der Mauer eines Keller-Zuganges waren Münzen, Barren und Goldschmiedearbeiten und der Hochzeitsring verborgen.
Ob weitere Fundstücke ebenfalls von der Baustelle weggenommen wurden, lässt sich nicht sagen. Die Besitzer könnten jetzt aber ohne Angst vor Strafe die Stücke zurückgeben. Denn sie gehen – wie der hessische Bauarbeiter – straffrei aus.