Görlitz

Fund mit vielen Fragen

Alex Jacobowitz mit einem Torarollen-Fragment Foto: Pawel Sosnowski

In Görlitz tauchen Fragmente einer Torarolle auf, und weder die lokale Gemeinde, die Jüdische Gemeinde zu Dresden, noch der Landesverband Sachsen der Jüdischen Gemeinden werden informiert. Stattdessen lädt die Stadt am 16. Dezember politische Prominenz, um den »Schatz« zu präsentieren, wie zuerst das Newsportal Tag24 berichtete.

Übergeben wurden die Fragmente vom ehemaligen Kunnerwitzer evangelischen Pfarrer Uwe Mader (79). Nach dessen Kenntnisstand seien die Teile in der Pogromnacht am 9. November 1938 »in Eile, aber sachkundig« aus der Torarolle geschnitten und so aus der brennenden Synagoge gerettet worden.

Sachkundig? Und gerettet? »Kein Jude würde Teile aus einer Torarolle herausschneiden, weil sie damit ungültig wird«, protestiert Alex Jacobowitz. Allerdings müsse derjenige, der es getan habe, des Hebräischen mächtig gewesen sein, sagt der Erste Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Görlitz/Zgorzelec und Umgebung. Herausgetrennt wurden Textstellen mit den Zehn Geboten und das Schma Israel. »Die Teile, die herausgeschnitten wurden, stammen aus einer Rolle, aus der am 9. November 1938 gelesen wurde«, ist sich Jacobowitz sicher.

Brand Wer immer irgendwelche Teile hätte »retten« wollen, hätte die Rolle allerdings sehr weit aufrollen müssen. Und das, während die Synagoge brannte? Dass die Fragmente erst im Jahr 2021 wiederaufgetaucht sind, findet Jacobowitz zudem mehr als merkwürdig. Er glaubt daher der Version des ehemaligen Pfarrers nicht (vgl. Jüdische Allgemeine vom 23. Dezember 2021).

Außerdem fragt sich Jacobowitz, warum der Mann, der vorgibt, diesen »Schatz« jahrzehntelang so treu gehütet zu haben, sich nicht an irgendeine der sächsischen jüdischen Gemeinden gewandt habe. Immerhin sei die Rückgabe jüdischen Eigentums durch die Jewish Claims Conference und die Bundesrepublik gesetzlich geregelt.

Der Görlitzer Oberbürgermeister Octavian Ursu habe ein »gewisses Verständnis für unsere Position«, sagt Gemeindevorsitzender Alex Jacobowitz.

Auch war die ehemalige Görlitzer Neue Synagoge im Herbst 2021 als »Kulturforum Görlitzer Synagoge« nach umfassender Sanierung eröffnet worden, einschließlich der Wochentagssynagoge. Anlass genug, die Fragmente wieder zurückzugeben. Letzteres sei auch Michael Kretschmer (CDU), Ministerpräsident von Sachsen, bekannt gewesen. Kretschmer nahm an der »Präsentation« der Tora-Fragmente am 16. Dezember teil. »Es wäre hässlich, wenn wir hier von Raubgut sprechen müssten«, sagt Alex Jacobowitz.

Sofer Inzwischen hat der Görlitzer Gemeindevorsitzende mit Sachsens Landesrabbiner Zsolt Balla gesprochen. »Wir werden einen Sofer nach Görlitz bringen, der begutachten wird, ob die Fragmente in eine neue Torarolle zu integrieren wären«, erklärt Jacobowitz. Sollte das so sein, müsste diese besondere Torarolle dauerhaft in der Görlitzer Wochentagssynagoge aufbewahrt werden.

Sollten die Fragmente jedoch nicht mehr zu retten sein, müssten sie in einer Ausstellung in der Synagoge gezeigt werden – als Mahnmal für das, was in der Nacht zum 9. November 1938 auch in Görlitz geschehen sei: organisierte und gelenkte Gewalt gegen Juden, die in der Vertreibung und Vernichtung von weltweit sechs Millionen Juden mündete.

Telefonischen Kontakt hatte Jacobowitz auch mit dem Görlitzer Oberbürgermeister Octavian Ursu (CDU). »Er hat ein gewisses Verständnis für unsere Position, aber ihm fehlt Sachverständnis«, sagt Jacobowitz. Den Vorschlag des Oberbürgermeisters, die aufgetauchten Fragmente in einer städtischen Ausstellung zu zeigen und anschließend im Görlitzer Ratsarchiv aufzubewahren, lehnt der Gemeindevorsitzende ab.

»Wir würden die Herstellung einer Faksimile-Edition unterstützen und auch die Kosten dafür tragen«, sagt Alex Jacobowitz. Sollten die Fragmente nämlich zu sehr beschädigt sein, müssten sie nach jüdischem Brauch »beerdigt« werden.

Teilnehmer des Mitzvah Day 2016 in Berlin

Tikkun Olam

»Ein Licht für die Welt«

Der Mitzvah Day 2025 brachte bundesweit Gemeinden, Gruppen und Freiwillige zu mehr als 150 Projekten zusammen

 23.11.2025

München

Nicht zu überhören

Klare Botschaften und eindrucksvolle Musik: Die 39. Jüdischen Kulturtage sind eröffnet

von Esther Martel  23.11.2025

Berlin

Gegen den Strom

Wie der Ruderklub »Welle-Poseidon« in der NS-Zeit Widerstand leistete und bis heute Verbindung zu Nachfahren seiner jüdischen Mitglieder pflegt

von Alicia Rust  23.11.2025

Porträt

Glücklich über die Befreiung

Yael Front ist Dirigentin, Sängerin, Komponistin und engagierte sich für die Geiseln

von Alicia Rust  22.11.2025

Berufung

Schau mal, wer da hämmert

Sie reparieren, organisieren, helfen – und hören zu: Hausmeister von Gemeinden erzählen, warum ihre Arbeit als »gute Seelen« weit mehr ist als ein Job

von Christine Schmitt  21.11.2025

Spremberg

Gegen rechtsextreme Gesinnung - Bürgermeisterin bekommt Preis

Rechtsextreme sprechen im ostdeutschen Spremberg vor Schulen Jugendliche an. Die Schüler schütten ihrer Bürgermeisterin ihr Herz aus - und diese macht das Problem öffentlich. Für ihren Mut bekommt sie jetzt einen Preis

von Nina Schmedding  21.11.2025

Mitzvah Day

Im Handumdrehen

Schon vor dem eigentlichen Tag der guten Taten halfen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Zentralrats bei der Berliner Tafel, Lebensmittel zu prüfen

von Sören Kittel  20.11.2025

Interview

»Selbst vielen Juden ist unsere Kultur unbekannt«

Ihre Familien kommen aus Marokko, Libyen, Irak und Aserbaidschan. Was beschäftigt Misrachim in Deutschland? Ein Gespräch über vergessene Vertreibungsgeschichten, sefardische Synagogen und orientalische Gewürze

von Joshua Schultheis, Mascha Malburg  20.11.2025

Sachsen-Anhalt

Judenfeindliche Skulptur in Calbe künstlerisch eingefriedet

Die Kunstinstallation überdeckt die Schmähfigur nicht komplett. Damit soll die Einfriedung auch symbolisch dafür stehen, die Geschichte und den immer wieder aufbrechenden Antisemitismus nicht zu leugnen

 19.11.2025