Es dürfte eine Herausforderung für jeden sein, der eigenen, vielleicht komplexen Familiengeschichte nachzuspüren. Im Falle des in London lebenden Journalisten Daniel Zylbersztajn-Lewandowski bedeutete das, den Spuren seiner jüdischen Vorfahren zu folgen. Jenen aus Deutschland, die auch Christen in ihren Reihen hatten, der jüdisch-polnischen Familie des Vaters, deren Mitglieder getötet wurden. Einer weit verzweigten Verwandtschaft, die nach Machtübernahme der Nationalsozialisten zerschlagen und in alle Welt zerstreut wurde. Und diese Geschichten anschließend auch so zu erzählen, dass sie auch für andere verständlich sind.
Daniel Zylbersztajn-Lewandowski hat für dieses Unterfangen fast 13 Jahre gebraucht. Ergebnis seiner Bemühungen sind zwei Bücher, die Anfang dieses Jahres erschienen sind: Soll sein Schulem I: Zores und Soll sein Schulem II: Faroys! Beide sind als Print on Demand erhältlich.
Im ersten Band widmet er sich den Erzählungen über einzelne Schicksalsstränge seiner Verwandten vor und während der Schoa. Im zweiten Band skizziert er seine eigenen Erfahrungen als Sohn eines Holocaust-Überlebenden. Auch in der Familie seiner Mutter habe es Opfer gegeben.
Moderiert wurde der Abend von Jan Feddersen
Diese Bücher nun hat der in Deutschland, den Niederlanden und in Israel aufgewachsene Autor am Montagabend im »taz-Café« vorgestellt, moderiert wurde der Abend von Jan Feddersen. Die Veranstaltung wurde gestreamt und hatte zeitweise mehr als 140 Zuschauer.
Soll sein Schulem, der übergeordnete Titel beider Bände, heißt so viel wie: Möge schon Frieden sein. Das trifft auch ganz gut die Haltung Zylbersztajn-Lewandowskis, der allen Widrigkeiten und sämtlichen antisemitischen Strömungen zum Trotz, auch nach dem 7. Oktober 2023 am Gedanken des Friedens und der Versöhnung festhalten will.
Und das, obwohl er ein Jahr vor dem 7. Oktober 2023 vor der Londoner Synagoge, in der seine Tochter Batmizwa wurde, selbst Opfer eines antisemitischen Angriffs wurde. Die gerichtlichen Verhandlungen zu dem Vorfall stehen ihm in den kommenden Tagen bevor. Deshalb hat er es auch eilig, nach London zurückzukehren, wo er seit vielen Jahren lebt.
Im Publikum saßen auch andere Angehörige der Zweiten Generation.
Um seine Bücher vorzustellen, nahm sich der Journalist hingegen ausgiebig Zeit. »Mein Vater ist ein Überlebender, immer wieder hat er aus seinem Leben erzählt. Schon als ich klein war. Mit Anfang 20 habe ich erste Interviews mit ihm gemacht und auf Kassette aufgenommen«, erzählt der 1969 in München geborene Autor über die ersten Bemühungen in Sachen Familienchronik. Wertvolle Gedankenstützen, die ihm später halfen, die fragmentarischen Erinnerungen des Vaters, in Kombination mit eigenen Recherchen, zu einem Gesamtbild zu verdichten.
Im Jahr 2011 starb sein Vater im Alter von 92 Jahren. Spätestens ab diesem Zeitpunkt habe er sich intensiver mit der eigenen Familiengeschichte und mit dem Schicksal seiner Vorfahren auseinandersetzen müssen, erzählt Zylbersztajn-Lewandowski.
Unter den zum Buch-Talk erschienenen Gästen befanden sich auch andere Angehörige der Zweiten Generation. »Anschließend kamen sie auf mich zu und erzählten mir, dass sie ganz ähnliche Erfahrungen gemacht haben«, so der Journalist. Ein besonderer Gast war ein entfernter Verwandter aus den USA. »Meinen Cousin zweiten Grades habe ich erst einige Stunden zuvor zum ersten Mal getroffen, bei einer Stolpersteinverlegung für unsere gemeinsamen Angehörigen Betty und Lola Chron«, sagt der 55-Jährige.
Ein geplantes Treffen, zu verdanken jenen modernen Errungenschaften der Wissenschaft, die es Menschen ermöglicht, weltweit Verwandte zu finden. »Aufgrund der Tatsache, dass ich eine DNA-Analyse gemacht hatte, hat er mich schließlich gefunden«, erzählt der Buchautor, der selbst als Einzelkind aufgewachsen ist, über den unverhofften Familienzuwachs.
Daniel Zylbersztajn-Lewandowski: »Soll sein Schulem I: Zores. Eine Familiengeschichte deutscher Juden« und »Soll sein Schulem II: Faroys!«