Wuppertal

Familienalbum

In der Nacht vom 24. auf den 25. Juni 1943 wurde die Innenstadt von Elberfeld bombardiert. Am nächsten Morgen läuft Alex Cohnen schnell in ein Geschäft, um Papier zum Verdunkeln der Fenster zu kaufen. In der Aufregung vergisst er, die Jacke mit dem Judenstern überzuziehen. Jemand sieht ihn so und zeigt ihn bei der Polizei an. Alex Cohnen wird verhaftet.» In Gewahrsam genommen wegen eines sogenannten Sternvergehens, unter dem Regime der Nationalsozialisten eine Straftat, wird Alex Cohnen in das KZ Auschwitz deportiert.

Sternvergehen heißt auch die Materialsammlung, die die Begegnungsstätte Alte Synagoge Wuppertal herausgebracht hat. Sie ist vor allem für weiterführende Schulen als Unterrichtsmaterial gedacht. Die Schulen im Bergischen Land erhalten sie kostenlos, sie müssen sie lediglich bei der Begegnungsstätte abholen.

Ehrenkreuz Die Sammlung ist aus mehreren Gründen beachtenswert. Die faksimilierten Dokumente – Fotos aus dem Familienalbum, Schulzeugnisse oder medizinische Gutachten und politische Eingaben – sind einzigartig. Sie halten so widersprüchliche Tatsachen fest wie diese, dass dem «Kaufmann Alex Cohnen» noch am 23. Oktober 1934 eine Verleihungsurkunde über das Ehrenkreuz für Frontkämpfer im Ersten Weltkrieg überreicht wird – und derselbe Alex Cohnen wegen des Nichttragens des «Judensterns» neun Jahre später verhaftet, drangsaliert und nach Auschwitz deportiert wird, wo medizinische Experimente an ihm durchgeführt werden.

Alex Cohnens Briefe aus Auschwitz, ebenfalls dokumentiert, wirken aus heutiger Sicht wahrhaftig herzzerreißend. Man mag sich kaum vorstellen, dass jemand eine Wunschliste an die Ehefrau zu Hause schickt, ihm dieses oder jenes, vor allem Lebensmittel, in das – wie wir heute wissen – berüchtigte Todeslager zu schicken. Die Cohnens, Alex sowie seine Söhne Herbert und Albert, überleben Auschwitz. Cohnens Frau Gretl war evangelisch und von der nationalsozialistischen Verfolgung nicht betroffen.

Zeitzeuge Neben der umfangreichen Dokumentensammlung der Familie ist aber auch das Zeitzeugnis von Herbert Cohnen beeindruckend. Etwas über eine Stunde dauert der Videobeitrag, in dem Cohnen, der als knapp 14-Jähriger an Kinderlähmung erkrankte, sein Leben erzählt. Es zeugt von einem außerordentlichen Willen und viel Kraft. Das bestätigen ihm auch der Chefarzt der Kinderabteilung des Städtischen Krankenhauses in Elberfeld und ein Zeugnis aus der Untertertia des Schiller-Pädagogiums.

Eigenschaften, die Herbert Cohnen ohne Zweifel befähigten, trotz seiner schweren körperlichen Beeinträchtigung eine Orthopädielehre zu absolvieren, ja, schließlich auch zu überleben. Alle Zeugnisse, selbst jene, die schon während der NS-Zeit ausgestellt wurden, bescheinigen Herbert hohe Intelligenz und Beharrlichkeit. Ausbilder bedauern, ihn aufgrund der Gesetze nicht weiter beschäftigen zu können.

Lehrmaterial Diese Schriftstücke bezeugen die ganze Zerrissenheit dieser Zeit. Bestes Lehrmaterial für Schüler, um Einblick in die Geschichte und die Protagonisten des Nationalsozialismus zu bekommen. Unterstützt wurde das bemerkenswerte Projekt von der Landeszentrale für Politische Bildung NRW und einem Privatsponsor. Es bringt Schülern die Geschichte auf eine sehr persönliche, wahrhaftige und anschauliche Weise nahe. hso

Ulrike Schrader: «Sternvergehen. Die jüdische Familie Cohnen aus Elberfeld». Quellensammlung. Gedenkstätte Alte Synagoge Wuppertal 2015, 40 Materialbögen plus USB-Stick und Lernheft, 21 S., 10 €

KZ-Befreiungen

Schüler schreibt über einzige Überlebende einer jüdischen Familie

Der 18-jährige Luke Schaaf schreibt ein Buch über das Schicksal einer Jüdin aus seiner Heimatregion unter dem NS-Terrorregime. Der Schüler will zeigen, »was Hass und Hetze anrichten können«

von Stefanie Walter  29.04.2025

Schweiz

Junger Mann wegen geplanten Anschlags auf Synagoge Halle verhaftet

Die Anschlagspläne soll er laut Staatsanwaltschaft zwischen Juli 2024 und Februar 2025 wiederholt in einer Telegram-Chatgruppe angekündigt haben

 29.04.2025

Berlin

Bebelplatz wird wieder zum »Platz der Hamas-Geiseln«

Das Gedenkprojekt »Platz der Hamas-Geiseln« soll laut DIG die Erinnerung an die 40 in Geiselhaft getöteten Israelis und an die 59 noch verschleppten Geiseln wachhalten

 28.04.2025

Berlin

Jüdische Gemeinde erinnert an Warschauer Ghetto-Aufstand

Zum Abschluss der Namenslesung vor dem Jüdischen Gemeindehaus in der Berliner Fasanenstraße ist für den Abend ein Gedenken mit Totengebet und Kranzniederlegung geplant

 28.04.2025

Düsseldorf

Erinnerungen auf der Theaterbühne

»Blindekuh mit dem Tod« am Schauspielhaus stellt auch das Schicksal des Zeitzeugen Herbert Rubinstein vor

von Annette Kanis  27.04.2025

Hanau

Jüdische Gemeinde feiert Jubiläum

»Im Grunde genommen ist es mit das Größte und Schönste, was eine Gemeinde machen kann: eine neue Torarolle nach Hause zu bringen«, sagt Gemeinde-Geschäftsführer Oliver Dainow

 25.04.2025

Begegnung

Raum für das Unvergessene

Jede Woche treffen sich Schoa-Überlebende im Münchner »Café Zelig«, um Gemeinschaft zu finden im Schatten der Geschichte. Ein Ortsbesuch

von Katrin Diehl  23.04.2025

Interview

»Das Gedenken für Jugendliche greifbar machen«

Kurator Pascal Johanssen zur neuen Ausstellung im ehemaligen Jüdischen Waisenhaus in Pankow

von Gerhard Haase-Hindenberg  21.04.2025

Porträt der Woche

Austausch mit Gleichen

Maria Schubert ist Gemeindesekretärin in Magdeburg und tanzt gern

von Alicia Rust  18.04.2025