Frankfurt

Erfolgreicher Kampf gegen das Vergessen

Blick in die Ausstellung des Geschichtsorts Adlerwerke Foto: picture alliance/dpa

Am 24. März 1945 bot sich der Frankfurter Stadtbevölkerung ein grausames Bild. Beim sogenannten Todesmarsch wurden etwa 360 ausgemergelte Häftlinge auf ihrem Weg ins osthessische Hünfeld von der SS durch die Straßen getrieben. 120 Kilometer Fußweg, den viele nicht überlebten. Wer es doch schaffte, wurde per Bahn in das KZ Buchenwald deportiert.

Der Todesmarsch bildete das Ende des KZ-Außenlagers Katzbach in den Frankfurter Adlerwerken. 77 Jahre später hat hier, im Stadtteil Gallus, der Geschichtsort Adlerwerke seine Türen geöffnet. Der Untertitel der neuen Gedenkstätte umreißt die unrühmliche Entwicklung des ehemaligen Traditionsunternehmens: »Fabrik, Zwangsarbeit, Konzentrationslager«.

1880 als Heinrich Kleyer GmbH gegründet, wurden in den Adlerwerken die ersten deutschen Niederfahrräder mit Luftreifen und die ersten Schreibmaschinen produziert, später vergrößerte sich die Bedeutung durch die Produktion von Motorrädern und Automobilen. Bis zu 10.000 Menschen arbeiteten in der Fabrik, in der auch Rüstungsgüter hergestellt wurden.

ZWANGSARBEITER Als Nutznießer der »Arisierungspolitik« der Nazis vergrößerte das Unternehmen das Fabrikgelände und übernahm Grundstücke von vier jüdischen Unternehmern. Wurden bereits im Ersten Weltkrieg Kriegsgefangene beschäftigt, beutete man als wichtiger Rüstungslieferant der NS-Diktatur ab 1941 zivile Zwangsarbeiter aus. 1944 kamen die ersten 200 Häftlinge aus dem KZ Buchenwald und bauten auf dem Werksgelände das KZ Katzbach auf. Insgesamt 1616 Menschen, die meisten von ihnen Männer aus Polen, die beim Warschauer Aufstand festgenommen worden waren, arbeiteten in den Adlerwerken.

Eine interaktiven Stadtkarte macht deutlich, dass es Zwangsarbeit an vielen Orten in Frankfurt gab.

Auf rund 160 Quadratmetern lässt sich in der Ausstellung Geschichte nachvollziehen. Thomas Altmeyer, Leiter des Geschichtsortes und wissenschaftlicher Leiter des Gedenkstättenbetreibers Studienkreis Deutscher Widerstand 1933-1945, beschreibt sie als »interaktiven, partizipativen, außerschulischen Lernort«. »Die Ausstellung zeigt das System der Zwangsarbeit«, so Altmeyer. Das KZ Katzbach stehe exemplarisch für die Gewaltdimensionen der NS-Diktatur, etwa ein Drittel der Häftlinge starb hier. Zentral für die Ausstellung sei die im Wallstein-Verlag erschienene Untersuchung Katzbach – das KZ in der Stadt von Andrea Rudorff gewesen.

Ein thematischer Zeitstrahl an den Wänden des Raumes in dem markanten Backsteinbau zeichnet unter den Titeln »Konflikte und Arbeit, Erinnerung, Entschädigung«, »Zwangsarbeit. Ein Verbrechen mitten im Alltag« und »Das Konzen­trationslager in der Fabrik« die Entwicklung nach. Auf einem Medientisch mit einer interaktiven Stadtkarte wird deutlich, dass es Zwangsarbeit an vielen Orten in Frankfurt gab, in einer Audiostation lassen sich Biografien von Häftlingen nachhören, eingelesen von Ensemblemitgliedern des Frankfurter Schauspiels.

Der Geschichtsort ist das Ergebnis eines 30 Jahre alten Kampfes, losgetreten von Lothar Reininger.

Ergreifend ist auch die Interviewstation, in der der 2020 verstorbene Überlebende Andrzej Branecki erzählt, wie beim Todesmarsch ein Mithäftling von einem SS-Soldaten in den Kopf geschossen wurde: ein Bild, das sich einbrennt.

ERINNERUNGSARBEIT Die sich noch im Aufbau befindliche Ausstellung leistet Erinnerungsarbeit auch mit neueren Formaten, etwa einer Animation, in der die Geschichte zweier Kinder vorgestellt wird, oder einem Geocaching-Rundgang durch Frankfurt.

Dass es den Geschichtsort heute gibt, ist das Ergebnis eines 30 Jahre alten Kampfes, losgetreten von Lothar Reininger, wie Elke Sautner aus dem Vorstand des Fördervereins zur Errichtung einer Gedenk- und Bildungsstätte KZ Katzbach erklärt. Reininger arbeitete ab 1986 als Werkzeugmacher in den Adlerwerken, wurde Betriebsratsmitglied und brachte die Gräuel des KZ Katzbach immer wieder in die Öffentlichkeit, als weder die Werkbetreiber noch die Politik etwas davon wissen wollten.

In den Worten von Frankfurts Kultur- und Wissenschaftsdezernentin Ina Hartwig (SPD), die auch einen Bogen ins Hier und Jetzt schlagen: »Aufarbeitung ist ein kraftvolles Mittel zur Stärkung der Demokratie«. Der Geschichtsort Adlerwerke ist das Ergebnis eines erfolgreichen zivilgesellschaftlichen Kampfes gegen die Verdrängung.

Bayern

Merz kämpft in wiedereröffneter Synagoge mit Tränen

In München ist die Synagoge an der Reichenbachstraße feierlich wiedereröffnet worden, die einst von den Nationalsozialisten zerstört wurde. Der Bundeskanzler zeigte sich gerührt

von Cordula Dieckmann  15.09.2025 Aktualisiert

Sachsen-Anhalt

Erstes Konzert in Magdeburger Synagoge

Die Synagoge war im Dezember 2023 eröffnet worden

 15.09.2025

Thüringen

Jüdisches Bildungsprojekt »Tacheles mit Simson« geht erneut auf Tour

Ziel des Projektes sei es, dem Aufkommen von Antisemitismus durch Bildung vorzubeugen, sagte Projektleiter Johannes Gräser

 15.09.2025

Essen

Festival jüdischer Musik mit Igor Levit und Lahav Shani

Der Festivalname »TIKWAH« (hebräisch für »Hoffnung«) solle »ein wichtiges Signal in schwierigen Zeiten« setzen, hieß es

 15.09.2025

Berlin

Margot Friedländer Preis wird verliehen

Die mit insgesamt 25.000 Euro dotierte Auszeichnung gehe an Personen, die sich für Toleranz, Menschlichkeit, Freiheit und Demokratie einsetzen

 15.09.2025

München

»In unserer Verantwortung«

Als Rachel Salamander den Verfall der Synagoge Reichenbachstraße sah, musste sie etwas unternehmen. Sie gründete einen Verein, das Haus wurde saniert, am 15. September ist nun die Eröffnung. Ein Gespräch über einen Lebenstraum, Farbenspiele und Denkmalschutz

von Katrin Richter  14.09.2025

Hamburg

»An einem Ort getrennt vereint«

In der Hansestadt soll die Bornplatzsynagoge, die in der Pogromnacht von den Nazis verwüstet wurde, wiederaufgebaut werden. Ein Gespräch mit dem Stiftungsvorsitzenden Daniel Sheffer über Architektur, Bürokratie und Räume für traditionelles und liberales Judentum

von Edgar S. Hasse  13.09.2025

Meinung

»Als Jude bin ich lieber im Krieg in der Ukraine als im Frieden in Berlin«

Andreas Tölke verbringt viel Zeit in Kyjiw und Odessa – wo man den Davidstern offen tragen kann und jüdisches Leben zum Alltag gehört. Hier schreibt er, warum Deutschland ihm fremd geworden ist

von Andreas Tölke  13.09.2025

Porträt der Woche

Das Geheimnis

Susanne Hanshold war Werbetexterin, Flugbegleiterin und denkt über Alija nach

von Gerhard Haase-Hindenberg  13.09.2025