Sport

Eltern müssen draußen bleiben

Schon im Treppenhaus sind Kinderstimmen zu hören. Es ist Sonntag, 12 Uhr, im Gebäude neben der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße wird getanzt. Natalja Mokk bereitet hier eine ihrer fünf Kindertanzgruppen auf ihren großen Auftritt am 15. März zum Jubiläum ihrer Tanzgruppe im Gemeindehaus in der Fasanenstraße vor.

Freundlich, aber bestimmt bittet Mokk die Kinder in den Tanzsaal. Die Eltern müssen draußen bleiben, sie warten in der Umkleide. Mokk ist aufgeregt – die Proben finden nur einmal die Woche statt, jeden Sonntag. Viel Zeit, die Kinder vorzubereiten, bleibt der Tänzerin und Ballettpädagogin nicht mehr. Heute sind die Kleinen dran.

Aber darin hat die 59-Jährige Erfahrung. Über 20 Jahre stand sie selbst auf Bühnen und hat getanzt. 1990 kam sie nach Berlin und hat für die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland das Kinder- und Jugend-Tanz-Ensemble Hatikwa aufgebaut. Heute betreut sie Kinder und Jugendliche und unterrichtet seit vielen Jahren Tanzgruppen in russischen und jüdischen Volkstänzen und modernem Tanz. So manche Tänzer, die die eine oder andere Jewrovision hinter sich haben, haben dort vielleicht die ersten Tanzschritte gemacht.

Barren »Ich bin stolz auf meine Kinder«, sagt Mokk. »Ich sehe sie groß werden. Sie fangen an zu tanzen, bevor sie in die Grundschule kommen, und später machen sie dann ihr Abitur.« Sonntags unterrichtet Mokk ihre jüngsten Sprösslinge. Vor ihr am Barren stehen zehn Mädchen, einige sind noch nicht mal im Grundschulalter.

Auf dem Programm sind drei Punkte: die russischen Kinderlieder »Mein Freund« und »Kropotschka« und ein Finale, wie Mokk sagt. Die Mädchen gehen in einer Reihe los, nach links, nach rechts, machen Ausfallbewegungen mit den Armen und neigen ihre Köpfe zur Seite. Mokk, die selbst hinter einem Barren steht, macht die Bewegungen vor. »Gut gemacht«, ruft sie, »und nun auf die andere Seite.«

Die Mädchen laufen eine große Runde um die Barren und bringen sich wieder in ihre Ausgangsposition. Während sie auf das nächste Stück warten, tuscheln einige auf Russisch. Mokk mahnt die Mädchen zur Konzentration. »Choroscho«, sagt sie, »gut, es geht weiter«. Während des Unterrichts werde Russisch und Deutsch gesprochen, erklärt Natalja Mokk. Russisch allerdings sei nur eine Art Zweitsprache, nicht jedes Mädchen spreche es, aber auf Deutsch könne sich jeder mit jedem verständigen. Auch darauf ist Mokk stolz – dass sie Kinder aus vielen verschiedenen Kulturen zusammenbringt.

Die Familien der Kinder in den Gruppen kommen zum Beispiel aus Russland, der Ukraine, Israel oder Armenien. So lernen sie nicht nur Tanzschritte, sondern auch spielend andere Kulturen kennen. Obwohl die Vorhänge zugezogen sind, scheint die Sonne in den Tanzsaal. Die Mädchen proben nun schon fast seit einer Stunde, sie sind müde und wollen raus. Natalja Mokk spürt das, sie weiß, was sie den Kindern zumuten kann. »Einen Versuch noch«, sagt sie. »Dann ist Schluss für heute.«

Probe Die Mädchen gehen noch einmal auf ihre Ausgangspositionen, jetzt muss alles sitzen. Die nächste Probe ist erst in einer Woche, und bis dahin sind die anderen Gruppen dran. Natalja Mokk betont, wie viele Kooperationen ihre Tanzgruppe über den Treffpunkt Hatikwa hinaus bereits hatte. Darunter sind Altenheime, jüdische und nichtjüdische, und Kul- tureinrichtungen, wie zum Beispiel das Russische Haus in Berlin-Mitte.

»Wir sind immer bereit für Kooperationen und nehmen die Möglichkeit, aufzutreten, gerne an«, sagt sie. »Man muss uns nur fragen.« Die Mädchen sind durch, der letzte Durchgang von »Kropotschka« ist geschafft. Draußen warten bereits die Eltern.

Die Kostüme für den großen Auftritt im März hängen auf einer Stange. Die hat Natalja Mokk zu einem großen Teil selbst genäht. Natürlich nicht innerhalb einer Woche – aber in den vergangenen 25 Jahren habe sich einiges angesammelt, sagt sie, sodass die meisten Kinder wohl ein Kostüm in ihrer Größe in Frau Mokks Kleiderkammer finden dürften.

Ist es nicht viel Arbeit, fünf Tanzgruppen alleine zu führen? »Natürlich ist das alles viel Arbeit, gerade auch die Vorbereitung für Auftritte. Aber ich bin nicht alleine.« In diesem Augenblick betritt ihr Mann den Raum, als habe er nur auf sein Stichwort gewartet. »Er hilft mir nach Kräften«, erzählt Mokk, hänge Plakate auf, komme regelmäßig vorbei und übernehme Fahrdienste, ganz zu schweigen von der moralischen Unterstützung.

Beide können auf mehrere Tanzgruppen-Jahrgänge zurückblicken. Aber Stillstehen kommt für die Trainerin nicht in Frage. »Ich freue mich auf viele weitere tolle Tanzgruppen.«

Mitzvah Day

Im Handumdrehen

Schon vor dem eigentlichen Tag der guten Taten halfen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Zentralrats bei der Berliner Tafel, Lebensmittel zu prüfen

von Sören Kittel  20.11.2025

Misrachim

»Selbst vielen Juden ist unsere Kultur unbekannt«

Ihre Familien kommen aus Marokko, Libyen, Irak und Aserbaidschan. Ein Gespräch über vergessene Vertreibungsgeschichten, sefardische Synagogen und orientalische Gewürze

von Joshua Schultheis, Mascha Malburg  20.11.2025

Sachsen-Anhalt

Judenfeindliche Skulptur in Calbe künstlerisch eingefriedet

Die Kunstinstallation überdeckt die Schmähfigur nicht komplett. Damit soll die Einfriedung auch symbolisch dafür stehen, die Geschichte und den immer wieder aufbrechenden Antisemitismus nicht zu leugnen

 19.11.2025

Berlin

450 Einsatzkräfte schützen jüdische Einrichtungen

Zudem seien im laufenden Jahr zwei Millionen Euro in bauliche Sicherheitsleistungen für jüdische Einrichtungen investiert worden sowie 1,5 Millionen Euro in mobile Sicherheitsleistungen für jüdische Gemeindeeinrichtungen

 19.11.2025

Ehrung

»Gräben aufgerissen«

Der Preis Augsburger Friedensfest ehrt Personen, die sich um ein friedvolles Miteinander der Religionen bemühen. Jetzt ging er an Josef Schuster vom Zentralrat der Juden. Er äußert sich bei der Verleihung kritisch

von Christopher Beschnitt  18.11.2025

Leipzig

Henriette Goldschmidt: Feministin der ersten Stunde

Sie wollte Frauen durch Bildung und Erwerbstätigkeit mehr Unabhängigkeit ermöglichen: Henriette Goldschmidt eröffnete in Leipzig die erste »Hochschule für Frauen«. Vor 200 Jahren wurde sie geboren

von Katharina Rögner  17.11.2025

Judenhass

Charlotte Knobloch warnt: Zukunft jüdischen Lebens ungewiss

Die Hintergründe

 16.11.2025

Porträt der Woche

Bühne und Heimweh

Emiliia Kivelevich inszeniert Theater zwischen Kunst, Glaube und Migration

von Christine Schmitt  16.11.2025

Ehrung

Göttinger Friedenspreis für Leon Weintraub und Schulnetzwerk

Zwei Auszeichnungen, ein Ziel: Der Göttinger Friedenspreis geht 2026 an Leon Weintraub und ein Schulprojekt. Beide setzen sich gegen Rassismus und für Verständigung ein

von Michael Althaus  13.11.2025