Fürstenberg

Einsatz Gedenkstätte

Fürstenberg an der Havel ist ein beliebtes Ferienziel: Inmitten duftender Kiefernwälder und leuchtender Sonnenblumenfelder kreuzt rund 100 Kilometer nördlich der Hauptstadt der Radfernweg Berlin-Kopenhagen, Seen laden zu Badespaß und Segeln ein.

Doch unweit der 6.000-Einwohner-Gemeinde sind die Verbrechen der Nazizeit allgegenwärtig. Stacheldrahtverhaue, alte Zellentrakte, Krematorien und ein düsterer Appellhof erinnern an Ravensbrück, das im Zweiten Weltkrieg größte Frauen-Konzentrationslager auf deutschem Boden.

Rund 150.000 Menschen aus 40 Nationen waren hier von 1938 bis 1945 inhaftiert, mindestens 25.000 wurden zu Tode gequält. Nach dem Krieg wurde Ravensbrück zu einer Mahn- und Gedenkstätte gestaltet. Auf dem riesigen Areal entstanden Dauer- und Wechselausstellungen, Dokumentationen und Denkmäler.

Gedenken Bis heute wird an diesem Ort des Grauens um angemessene Worte gerungen. Überraschend großen Zuspruch erleben die internationalen Sommercamps – wie das der »Norddeutschen Jugend im internationalen Gemeinschaftsdienst (NIG)«. Lilit Danielyan (24) und Ani Khachateyan (24) aus Armenien machen schon zum zweiten Mal mit und übersetzen Zeitzeugen-Briefe vom Russischen ins Englische. Magdalena Gasionowicz (19) aus Polen überträgt Anfragen eines Verwandten einstiger Opfer ins Deutsche. »Ich selbst habe zwar keine Angehörigen in diesem Lager hier verloren«, sagt Magdalena, »aber der Anteil von polnischen Inhaftierten war sehr hoch, und das beschäftigt mich.«

Igor Przybylowski (18) macht Erinnerungen eines französischen Gefangenen nun auch englischsprachigen Lesern zugänglich. Chen Yen Ya (23) aus Taiwan vertieft sich in die Lebensgeschichte der polnischen Widerstandskämpferin Maria Winiarska. Ksenia Tsenilova (19) aus Russland ist erschüttert über die Traurigkeit und Angst, die ihr aus Tagebuchaufzeichnungen russischsprachiger Häftlinge entgegenschlägt: »Ständig hatten die Frauen den Tod vor Augen. Kleinste Veränderungen konnten immer auch das Ende eines Lebens bedeuten.« Bisweilen wird das Studium der Dokumente und Quellen auch für junge, optimistische und belastbare Menschen zur Qual.

Belastung Gedenkstättenleiterin Insa Eschebach weiß, was sich die Teilnehmer mit ihren Recherche- und Übersetzungsarbeiten abverlangen, und sie spricht ihnen umso größeren Dank aus: »Ihre Arbeit ist für unsere Einrichtung äußerst hilfreich, gerade wegen der unterschiedlichen sprachlichen Überlieferungen.«

Vergangene Woche kam die Brandenburgische Bildungsministerin Martina Münch zu Besuch und erkundigte sich nach den Motiven und Erfahrungen der Teilnehmer. Ganz unterschiedliche Beweggründe haben sie in Ravensbrück zusammengebracht: historisches Interesse und Neugier auf »Volunteering« die einen, Fremdsprachen-Training und Lust auf internationale Begegnungen die anderen.

»Es hat ein paar Tage gedauert, bis alle bereit waren«, erinnert sich Projekt-Koordinatorin Claudia Kuhn. »Doch von der ersten Minute an haben wir eine sehr aufgeschlossene Atmosphäre erlebt. Jeder in dieser Gruppe wird geachtet.«

Unterkunft Ungewohnte Situationen lassen die jungen Leute stärker zusammenrücken. Dazu gehört auch, dass sie in Gebäuden der ehemaligen KZ-Wachmannschaften untergebracht sind. »Natürlich entstehen ambivalente Gefühle, wenn du für ein paar Wochen in Häusern der Aufseher schläfst«, bekennt Magdalena Gasionowicz, ihre Kollegen nicken. »Aber es gibt Situationen, die dich noch viel unvorbereiteter treffen. Als wir beispielsweise erfuhren, dass im Schwedtsee einst die Asche von KZ-Opfern verstreut wurde, wollte hier niemand mehr schwimmen gehen.«

Trotz solcher Schocks wünschen sich manche Teilnehmer eine längere Dauer für das Sommercamp. Der Student der Wirtschaftswissenschaften Gi Eop Jeong (24) aus Korea möchte mehr über die historische Aufarbeitung von Genoziden erfahren. Außerdem wolle er wie auch Lilit Danielyan und Chen Yen Ya die Kontakte zu jungen Deutschen ausbauen und noch einmal nach Ravensbrück kommen.

Insa Eschebach erinnert an den Wunsch osteuropäischer Überlebender, nach Kriegsende in Ravensbrück eine Art Friedensschule aufzubauen. »Vielleicht gelingt es irgendwann ja tatsächlich, den Ort in diesem Sinne zu gestalten«, sagt die Historikerin. »Natürlich würden wir uns auch freuen, Sie für ein paar Studiensemester an Brandenburgischen Universitäten begrüßen zu können«, fügt Münch aufmunternd hinzu.

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