Max Mannheimer

Eine Stadt erinnert sich

Dunkle Wolken am Himmel, Wind, Regen und unangenehm frische Temperaturen für einen Tag im Hochsommer: Zu der Veranstaltung vor dem Schulzentrum in Bad Aibling, noch kurz vor den Ferien, passte das Wetter. Auch die »Geburt« der Max-
Mannheimer-Straße, die in Anwesenheit des Bürgermeisters und anderer Honoratioren feierlich in das Straßenverzeichnis der oberbayerischen Gemeinde aufgenommen wurde, war von Widrigkeiten geprägt.

Öffentlich geführte Diskussionen, die gerade in Zusammenhang mit dem Versöhner und Brückenbauer Max Mannheimer (1920–2016) eine beschämende Dimension erreichten, hatte im Dezember letzten Jahres der Bauausschuss der Stadt mit der Namensempfehlung ausgelöst. Zu dem Repertoire von Argumenten, die danach von einer Würdigung des Schoa-Überlebenden abrieten, gehört zum Beispiel die vorgetragene Befürchtung, der Name des prominenten Juden könnte rechtsradikale Schmierereien zur Folge haben.

Debatte Bürgermeister Felix Schwaller war bei der Feierstunde darum bemüht, die unerfreuliche Debatte zu beenden, und wies in seiner Rede ganz besonders auf die Versöhnungsbereitschaft Mannheimers hin – und auf die Aktualität von dessen Grundeinstellung und Botschaft. »Ich träume von einer Welt, in der Humanität an erster Stelle steht, in der Antisemitismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit keinen Platz haben«, zitierte das Stadtoberhaupt den im letzten Jahr verstorbenen Namensgeber der Straße.

Die bisher namenlose Straße, die in einem Neubaugebiet liegt und zum Schulzentrum führt, ist von überschaubarer Größe, die Hausnummernvergabe entsprechend exklusiv. Die Hausnummer 1 hat die Realschule, 2 das Gymnasium, 6 die Wirtschaftsschule, und die Wohnung des Hausmeisters trägt die Nummer 4. Den Schulstandort mit dem Straßennamen Max Mannheimer zu verbinden, hält der Bürgermeister, wie er erklärte, für geradezu ideal. Das hört sich anders an als Beiträge in der unseligen Diskussion, die ins Feld führten, dass in Bad Aibling schon genügend Straßen nach Personen benannt seien, die sich als gewaltlose Widerstandskämpfer gegen das Dritte Reich und das Vergessen eingesetzt hätten oder zum Opfer des NS-Regimes wurden.

Nicht nur das Stadtoberhaupt, sondern alle Repräsentanten, die sich bei der Feierstunde zu Wort meldeten, machten in ihren Reden deutlich, dass es an diesem Tag um mehr als nur eine Straßenbenennung ging. Dokumentiert wurde dies auch durch die Anwesenheit der Vertreter des Stadtrats über Parteigrenzen hinweg und einer EU-Abgeordneten der SPD. Den Geist und die Botschaft von Max Mannheimer weiterzugeben, wurde von allen als Auftrag verstanden.

Schulzentrum Den Weg nach Bad Aibling hatte Max Mannheimer oft gefunden. Noch im Herbst letzten Jahres sollte er dort an einer Kulturveranstaltung teilnehmen, aber daraus wurde nichts mehr. Mannheimer starb am 23. September im Alter von 96 Jahren. Aber zuvor hatte er auch oft das Schulzentrum besucht, vor dem jetzt das Straßenschild mit seinem Namen steht.

Immer wieder sei er hierhergekommen, betonte das Stadtoberhaupt, um seine Botschaft der Offenheit an künftige Generationen weiterzugeben. Auf seinem Weg der Aufklärung und Verständigung durch die Schulen prägte Mannheimer einen Satz, den auch die Schüler in Bad Aibling zu hören bekamen: »Ihr seid nicht verantwortlich für das, was geschah. Aber was in Zukunft geschieht, dafür schon.«

Schulleiter und Geschichtslehrer Michael Beer hob in seiner Rede die positive Grundhaltung Mannheimers hervor, der nie als Ankläger aufgetreten sei und immer nach vorne geblickt habe. Wie menschenfreundlich der Schoa-Überlebende trotz seiner traumatischen Lebenserfahrung in jungen Jahren geblieben war, machten die beiden Schulleiterinnen Ursula Endler-Hoehne, verantwortlich für die Realschule, und Bärbel Marx von der Wirtschaftsschule deutlich, indem sie ihn postum in Bild und mit Zitaten zu Wort kommen ließen. Barbara Distel, die als Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau Mannheimer als Zeitzeugen und Freund schätzen gelernt hat, zeigte sich erleichtert, dass in Bad Aibling doch noch eine Lösung gefunden wurde.

Hoffnung »Das Umfeld Schulzentrum trägt seinem Anliegen, in erster Linie die junge Generation über die NS-Verbrechen aufzuklären, um zukünftig Ähnliches zu verhindern, Rechnung. Auch seiner Hoffnung, dass die Erinnerung an Auschwitz nicht mit dem Aussterben der Überlebenden dem Vergessen anheimfällt«, erklärte Distel. Sie wies auch darauf hin, dass an vielen Orten die Idee entstanden sei, eine Straße, einen Platz oder ein Gebäude nach Mannheimer, einer »moralischen Instanz der Republik«, zu benennen.

Auch in München sind die Weichen gestellt. Auf Anregung des Münchner Oberbürgermeisters Dieter Reiter soll der Platz vor dem NS-Dokumentationszentrum an der Brienner Straße nach Mannheimer benannt werden, den das Leben von seinem Geburtsort im tschechischen Neutitschein über die Lager Theresienstadt, Auschwitz, Warschau, Dachau und Mühldorf schließlich nach München geführt hatte.

Berlin

Für mehr Sichtbarkeit

Wenzel Michalski wird Geschäftsführer des Freundeskreises Yad Vashem. Eine Begegnung

von Christine Schmitt  30.04.2025

Hanau

Das zarte Bäumchen, fest verwurzelt

Vor 20 Jahren gründete sich die jüdische Gemeinde – zum Jubiläum wurde eine neue Torarolle eingebracht

von Emil Kermann  30.04.2025

20 Jahre Holocaust-Mahnmal

Tausende Stelen zur Erinnerung - mitten in Berlin

Selfies auf Stelen, Toben in den Gängen, Risse im Beton - aber auch andächtige Stille beim Betreten des Denkmals. Regelmäßig sorgt das Holocaust-Mahnmal für Diskussionen. Das war schon so, bevor es überhaupt stand

von Niklas Hesselmann  30.04.2025

KZ-Befreiungen

Schüler schreibt über einzige Überlebende einer jüdischen Familie

Der 18-jährige Luke Schaaf schreibt ein Buch über das Schicksal einer Jüdin aus seiner Heimatregion unter dem NS-Terrorregime. Der Schüler will zeigen, »was Hass und Hetze anrichten können«

von Stefanie Walter  29.04.2025

Schweiz

Junger Mann wegen geplanten Anschlags auf Synagoge Halle verhaftet

Die Anschlagspläne soll er laut Staatsanwaltschaft zwischen Juli 2024 und Februar 2025 wiederholt in einer Telegram-Chatgruppe angekündigt haben

 29.04.2025

Berlin

Bebelplatz wird wieder zum »Platz der Hamas-Geiseln«

Das Gedenkprojekt »Platz der Hamas-Geiseln« soll laut DIG die Erinnerung an die 40 in Geiselhaft getöteten Israelis und an die 59 noch verschleppten Geiseln wachhalten

 28.04.2025

Berlin

Jüdische Gemeinde erinnert an Warschauer Ghetto-Aufstand

Zum Abschluss der Namenslesung vor dem Jüdischen Gemeindehaus in der Berliner Fasanenstraße ist für den Abend ein Gedenken mit Totengebet und Kranzniederlegung geplant

 28.04.2025

Düsseldorf

Erinnerungen auf der Theaterbühne

»Blindekuh mit dem Tod« am Schauspielhaus stellt auch das Schicksal des Zeitzeugen Herbert Rubinstein vor

von Annette Kanis  27.04.2025

Hanau

Jüdische Gemeinde feiert Jubiläum

»Im Grunde genommen ist es mit das Größte und Schönste, was eine Gemeinde machen kann: eine neue Torarolle nach Hause zu bringen«, sagt Gemeinde-Geschäftsführer Oliver Dainow

 25.04.2025