Rechtsextremismus

Eine offene Wunde

Der schlimmste Terroranschlag in der Geschichte der Bundesrepub­lik, das Oktoberfest-Attentat, jährte sich am vergangenen Wochenende zum 40. Mal. Für die jüdische Gemeinschaft, nicht nur in Bayern, ist der 26. September 1980 zu einem beklemmenden Tag der Erinnerung geworden.

Die wesentlichen Gründe dafür nannte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann erst vor wenigen Tagen im Verfassungsausschuss des Landtags: Fehler der Ermittler, Fehler der Politik, Fehler der Ikone Franz Josef Strauß, des damaligen Ministerpräsidenten. Er habe, so äußerte sich Herrmann, die rechtsextreme »Wehrsportgruppe Hoffmann« völlig unterschätzt.

Die Folgen dieser Fehleinschätzung erlebte Joachim Herrmann, zur Zeit des Attentats Student in Erlangen und am Beginn seiner politischen Karriere, aus nächster Nähe mit – ohne es auch nur zu ahnen. Nur drei Monate nach dem Bombenanschlag in München wurden sein Nachbar Shlomo Lewin und dessen Lebensgefährtin in ihrem Haus erschossen.

entsetzen Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, kann sich noch gut an das Entsetzen erinnern, das diese Bluttat damals unter den Juden auslöste. Shlomo Lewin war Rabbiner, Vorsitzender der Israelitischen Kultusgemeinde in Nürnberg und ein Mann, der kein Blatt vor den Mund nahm.

Mit Karl-Heinz Hoffmann war Shlomo Lewin mehrfach aneinandergeraten.

Das galt besonders gegenüber dem nicht weit von Erlangen entfernt residierenden Karl-Heinz Hoffmann, der mit der paramilitärischen und rechtsextremistischen »Wehrsportgruppe Hoffmann« für Unruhe sorgte. Mit ihm war Shlomo Lewin mehrfach aneinandergeraten.

Zum Zeitpunkt seiner Ermordung hatten die Ermittler des Oktoberfest-Attentats unter Regie der Generalbundesanwaltschaft das Feld bereits weitgehend abgesteckt. Gundolf Köhler, ein 23-jähriger Student aus Donaueschingen, der selbst zu den Todesopfern zählte, galt als Bombenleger, als Alleintäter, angetrieben von Liebeskummer.

etikett Das Etikett eines allein handelnden Täters bekam auch Uwe Behrendt von den Ermittlern angehängt, der die tödlichen Schüsse auf Shlomo Lewin und Frida Poeschke abgegeben haben soll. Eine auffallende Parallele in beiden Fällen spielte bei der Klassifizierung der Anschläge keine Rolle: Sowohl Gundolf Köhler als auch Uwe Behrendt gehörten der »Wehrsportgruppe Hoffmann« an.

Zu Gesicht bekamen die Ermittler den mutmaßlichen Mörder von Shlomo Lewin nicht mehr. Karl-Heinz Hoffmann hatte ihm nach dem Doppelmord bei der Flucht in den Libanon geholfen. Dort hatte der Anführer der rechtsextremistischen Truppe – mit Unterstützung der PLO – seine »Wehrsportgruppe« angesiedelt, nachdem sie Anfang 1980 von Bundesinnenminister Gerhart Baum verboten worden war. Er selbst pendelte zwischen Deutschland und dem Libanon.

Franz Josef Strauß unterschätzte die »Wehrsportgruppe Hoffmann«.

Verschiedene Indizien, wie etwa eine Sonnenbrille, die der Freundin Hoffmanns gehörte und neben der Leiche von Shlomo Lewin gefunden wurde, führten nach langen Ermittlungen dazu, dass Hoffmann und seine Freundin wegen einer Beteiligung an dem Doppelmord angeklagt wurden.

Für eine Verurteilung wegen Mordes reichten dem Nürnberger Schwurgericht die Beweise allerdings nicht aus. Das lag auch daran, dass Uwe Behrendt, der mutmaßliche Todesschütze, für die Justiz nicht mehr greifbar war. Er war unter ungeklärten Umständen im Libanon ums Leben gekommen.

ermittlungen Auch die Frage, wie eng der Kontakt von Gundolf Köhler zur »Wehrsportgruppe Hoffmann« war, ist bis heute nicht lückenlos beantwortet. Allerdings mehren sich inzwischen Zweifel an seiner angeblichen Alleintäterschaft.

Zeugen wollen den Attentäter unmittelbar vor dem Terroranschlag in Begleitung anderer Personen gesehen haben. Waren es Mitglieder der »Wehrsportgruppe Hoffmann«? Auch die 2017 wiederaufgenommenen Ermittlungen des Generalbundesanwalts, die im Sommer des vergangenen Jahres ergebnislos eingestellt wurden, konnten darauf keine Antwort geben.

Auch die Hintergründe des Brandanschlags auf das Seniorenheim der IKG in der Reichenbachstraße konnten nie geklärt werden.

Mit einer weiteren offenen Wunde muss die Israelitische Kultusgemeinde schon seit 50 Jahren leben. Die Hintergründe des Brandanschlags auf das Seniorenheim der IKG in der Reichenbachstraße, bei dem im Februar 1970 sieben Bewohner starben, konnten nie geklärt werden.

erinnerungskultur Bei der Gedenkstunde zum 50. Jahrestag der Brandkatastrophe sprach IKG-Präsidentin Charlotte Knobloch die Notwendigkeit einer intensiven Erinnerungskultur an: »Wir erinnern, damit wir wissen, welche Fehler sich nicht wiederholen dürfen.« Das sei heute angesichts des wiederaufflammenden Antisemitismus, Extremismus, Judenhasses und der zunehmenden Israelfeindlichkeit nötiger denn je.

»Es braucht dazu die richtigen Worte, vor allem aber richtiges Handeln«, mahnte Charlotte Knobloch auch mit Blick auf die rechtsextremistischen Anschläge in Kassel, Halle und Hanau im vergangenen Jahr.

Ehrung

Göttinger Friedenspreis für Leon Weintraub und Schulnetzwerk

Zwei Auszeichnungen, ein Ziel: Der Göttinger Friedenspreis geht 2026 an Leon Weintraub und ein Schulprojekt. Beide setzen sich gegen Rassismus und für Verständigung ein

von Michael Althaus  13.11.2025

Israel

Voigt will den Jugendaustausch mit Israel stärken

Es gebe großes Interesse, junge Menschen zusammenzubringen und Freundschaften zu schließen, sagt der thüringische Regierungschef zum Abschluss einer Israel-Reise

von Willi Wild  13.11.2025

Karneval

»Ov krüzz oder quer«

Wie in der NRW-Landesvertretung in Berlin die närrische Jahreszeit eingeleitet wurde

von Sören Kittel  13.11.2025

Jüdische Kulturtage Berlin

Broadway am Prenzlauer Berg

Vom Eröffnungskonzert bis zum Dancefloor werden Besucherrekorde erwartet

von Helmut Kuhn  13.11.2025

Justiz

Anklage wegen Hausverbots für Juden in Flensburg erhoben

Ein Ladeninhaber in Flensburg soll mit einem Aushang zum Hass gegen jüdische Menschen aufgestachelt haben. Ein Schild in seinem Schaufenster enthielt den Satz »Juden haben hier Hausverbot«

 12.11.2025

Interview

»Niemand hat Jason Stanley von der Bühne gejagt«

Benjamin Graumann, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, weist die Vorwürfe des amerikanischen Philosophen zurück und beschuldigt ihn, Unwahrheiten über den Abend in der Synagoge zu verbreiten

von Michael Thaidigsmann  12.11.2025

Hessen

Margot Friedländer erhält posthum die Wilhelm-Leuschner-Medaille

Die Zeitzeugin Margot Friedländer erhält posthum die höchste Auszeichnung des Landes Hessen. Sie war eine der wichtigsten Stimme in der deutschen Erinnerungskultur

 12.11.2025

Berlin

Touro University vergibt erstmals »Seid Menschen«-Stipendium

Die Touro University Berlin erinnert mit einem neu geschaffenen Stipendium an die Schoa-Überlebende Margot Friedländer

 12.11.2025

Jubiläum

»Eine Zierde der Stadt«: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum in Berlin eröffnet

Es ist einer der wichtigsten Orte jüdischen Lebens in Deutschland: Vor 30 Jahren wurde das Centrum Judaicum in der Neuen Synagoge in der Oranienburger Straße in Berlin eingeweiht. Am Dienstag würdigt dies ein Festakt

von Gregor Krumpholz, Nina Schmedding  11.11.2025