Chabad

»Eine neue Offenheit«

»Unser Konzept lebt vom Miteinander einer säkularen und einer jüdischen Erziehung«: Schulleiterin Heike Michalak Foto: Rolf Walter

Frau Michalak, herzlichen Glückwunsch! Sie sind seit 20 Jahren Direktorin der Jüdischen Traditionsschule. Erst wurde die Harry-Schwarzer-Chabad-Grundschule gegründet, Jahre später kam das Gutman-Chabad-Gymnasium hinzu. Wie erinnern Sie sich an die erste Zeit?
Aller Anfang ist schwer, würde ich sagen. Aber eine intensive Einarbeitungszeit bewirkte, dass ich von Beginn an Vertrauen hatte, dass die Schule ein Erfolg werden würde. Eine Fortbildung der Senatsverwaltung, die mich auf die Arbeit einer Schulleiterin vorbereitete, half mir sehr. Bis dahin war ich »nur« Lehrerin an einer Berliner und an einer Brandenburger Schule.

Ihre erste Unterrichtsstunde als Schulleiterin fand in den Räumen einer alten Villa in Spandau statt – in deren Erdgeschoss auch eine Kita war. Wie sah der Schulalltag damals aus?
Es gab 20 Kinder, die vorher die Kita besuchten und nun beschult werden wollten. Wir haben damals gleich jahrgangsübergreifende Klassen eingerichtet, von der ersten bis zur dritten Klasse. Wir waren ein tolles Team, das sich aus drei Lehrerinnen und einer Erzieherin zusammensetzte. Das war die Grundlage für die Zukunft. Heute besuchen über 300 Kinder unsere Schule, und unser Team besteht aus insgesamt 40 Lehrenden zuzüglich Erzieherinnen – und einem Rabbiner.

Haben Sie noch Kontakt mit den Schülerinnen und Schülern der ersten Stunde?
Mit etlichen. Viele sind bereits Eltern geworden, und ich hoffe, dass auch ihre Kinder zu uns kommen.

Damals gab es nur wenige jüdische Schulen in Berlin. Heute können Familien zwischen mehreren Grund- und weiterführenden Schulen wählen. Wodurch entsteht die große Nachfrage?
Ich glaube, dass wir als Schulen ernst genommen werden und Werte vermitteln können. In Berlin ist eine Offenheit dem jüdischen Leben gegenüber entstanden. Das zeigt sich auch an all den Feiern, die jetzt öffentlich stattfinden. Bald wird die Stadt von Chanukkiot erleuchtet sein. Das jüdische Leben ist wieder sichtbar, und so können auch jüdische Schulen wieder sichtbar werden.

Ihre Schule ist eine staatlich anerkannte Ersatzschule, die die gleichen Abschlüsse ermöglicht wie öffentliche Schulen. Wer kommt zu Ihnen als Schüler?
Wir haben Kinder, deren Familien unterschiedlichen jüdischen Strömungen angehören – von liberal bis orthodox. Die Zielrichtung ist bei den Familien unterschiedlich: Manche möchten, dass überhaupt zum ersten Mal jüdische Werte vermittelt werden, andere wünschen eine tiefgreifende jüdische Erziehung innerhalb einer vollständig jüdischen Umgebung. Unser Schulkonzept beruht auf dem Miteinander einer säkularen und einer jüdischen Erziehung. Die Unterrichtsinhalte sind an das jüdische Leben, die Feste und die Gebräuche angepasst. Das Abenteuer Schule soll produktive Neugier wecken und Schule als Lebensort des Lernens begreifbar machen.

Wer kommt als Lehrer?
Die Stellen sind offen ausgeschrieben, und so bewerben sich zumeist Berliner Absolventen der Lehrerausbildung. Aber auch Quer- und Seiteneinsteiger finden sich unter den Bewerberinnen. Selbstverständlich sind wir auch in der Lehrerausbildung tätig und dürfen Referendare für Grundschule, Gymnasium und Integrierte Sekundarschule (ISS) ausbilden.

Bleiben Stellen unbesetzt?
Auch das passiert natürlich, wenn man danach strebt, die besten Lehrer und Lehrerinnen einzustellen. Zu Beginn des Schuljahres haben wir uns in Grundschule und Gymnasium verstärken können, sodass wir alle Fächer abdecken konnten.

Wie ist aktuell die Nachfrage nach freien Schulplätzen?
Für einige Klassen gibt es mittlerweile Wartelisten. Dennoch möchte ich alle jüdischen Familien aufrufen, sich weiter zu bewerben, damit wir sehen können, wie viele Plätze benötigt werden. Dann können wir für jeden, der eine jüdische Erziehung braucht, einen Platz schaffen. Das ist unser Ziel.

Vor zweieinhalb Jahren ist die Schule aus Platzgründen umgezogen. Hat sich die Raumsituation verbessert?
Natürlich! Mit dem Campus verfügen wir über ein Gebäude, das Lernen auf höchstem Niveau ermöglicht. Aber – es wird mit jedem Tag enger. Das jüdische Leben wächst wirklich und damit die Anzahl der Familien, die einen Platz erhalten wollen, das muss man ganz klar sagen. Aber dennoch werden wir alles tun, um jedes Kind aufnehmen zu können.

Haben Sie in diesen 20 Jahren jemals eine Enttäuschung erlebt?
Ganz ehrlich? Nein. Weder vonseiten der Eltern noch vonseiten der Schüler. Niemals vom Träger, niemals von der Schulaufsicht. Das war wirklich über all die Jahre hinweg immer eine sehr wertschätzende und vertrauensvolle Zusammenarbeit.

Was könnten andere Schulen von Ihrer Arbeit lernen?
Ich glaube, dass man eine Schule insgesamt gut führen kann, wenn man sowohl formal als auch inhaltlich ernsthaft arbeitet, wenn man freundlich, aber trotzdem standhaft ist und den Bedürfnissen aller mit Achtsamkeit begegnet.

Sie leiten als Nichtjüdin eine jüdische Schule. Welche Reaktionen erleben Sie, wenn Sie von Ihrer Arbeit erzählen?
Im jüdischen Umfeld erfahre ich volle Begeisterung, in der anderen Umgebung oft Ängste und Unverständnis – gerade angesichts der politischen Situation, in der wir feststecken.

Belastet die aktuelle politische Lage die Kinder?
Ja und nein. Unser Ziel ist es, die Bedürfnisse der Kinder ernst zu nehmen und Lernen zu ermöglichen. Die Kinder haben hier ihren Schonraum. Eine große Unruhe entsteht eher aus den Ängsten der Eltern. Diesen müssen wir begegnen und ihre Sorgen ernst nehmen.

Wie unterstützen Sie Kinder, wenn sie Sorgen zeigen?
Wir merken, wenn ein Kind ruhiger oder auffälliger in seinem Verhalten wird. Dann nehmen wir uns Zeit, um in Ruhe miteinander zu sprechen und gegebenenfalls Psychologen einzuschalten.

Zum Schluss eine persönliche Frage: Haben Sie schon einmal verschlafen?
Ein einziges Mal. Es war nicht schlimm. Auch eine Schulleitung ist vertretbar.

Mit der Leiterin der Jüdischen Traditionsschule sprach Christine Schmitt.

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