Rotenburg

Ein Museum an der Wümme

Historisch gesehen hat die Immobilie eine große Bedeutung für die 20.000-Einwohner-Kleinstadt Rotenburg an der Wümme. Das Scheunengebäude stand ursprünglich dort, wo sich heute der Ortskern samt Fußgängerzone befindet. Der Bau des typischen Wirtschaftsgebäudes jener Zeit ist 1833 entstanden und häufig umgebaut worden. Bis 1934 diente er als Werkstatt und Lager für die Textilhandlung der jüdischen Familie Cohn.

Wegen der judenfeindlichen Politik der Nationalsozialisten ging Hermann Cohn 1934 in Konkurs. Sein Wohn- und Geschäftshaus wurde zwangsversteigert. Er musste ausziehen und wohnte bis 1939 in einer Unterkunft in der Werkstraße. Als auch das Wandergewerbe für Juden verboten wurde, verließen Gertrud und Hermann Cohn Anfang 1939 Rotenburg in Richtung Berlin. Sie wurden zur Zwangsarbeit verpflichtet und 1943 nach Auschwitz deportiert. Über ihr weiteres Schicksal ist nichts bekannt. Die beiden Töchter von Hermann und Gertrud Cohn überlebten den Holocaust.

Förderverein Die Rettung des historischen Gebäudes in Rotenburg wiederum konnte durch die Interessengemeinschaft Bauernhaus (IGB) realisiert werden. Als sich 2004 herausstellte, dass mit dem Verkauf des Grundstücks der Abriss der Scheune drohte, wurde sie durch die neu gegründete Interessengemeinschaft Cohn-Scheune fachgerecht abgebaut und eingelagert. Der damals entstandene Förderverein bemühte sich um den Wiederaufbau, der dank vieler Spender und Förderer gelang. Rund 370.000 Euro kamen zusammen.

Mehr als 100 Mitglieder hat der Förderverein heute und schafft es, die Kosten für das Gebäude zu decken, berichtet Schatzmeister Manfred Göx. Eintrittsgelder und Spenden tragen einen großen Teil dazu bei. Kritische, teils antisemitische Stimmen, die den Wiederaufbau verhindern wollten, sind längst verstummt. Stattdessen wird die Cohn-Scheune gut angenommen, mittlerweile seit fünf Jahren. »In diesem Jahr hatten wir bereits mehr als 440 Schüler bei uns«, freut sich Göx über die vielen jungen Besucher. Anfragen von Schulen für das kommende Jahr gebe es bereits.

Um Schüler noch direkter zu erreichen, gibt es eine Neuerung. 13 Filme befassen sich leicht verständlich mit verschiedenen Begriffen wie Jiddisch oder Kippa, zudem gibt es einen lokalen Bezug zum jüdischen Friedhof und zu den Stolpersteinen, die in Rotenburg verlegt wurden. Auch ein kurzes Wissensspiel ist auf den Geräten zu finden und bringt anschaulich Informationen näher. Knapp 40.000 Euro wurden in die Umsetzung des neuen Konzepts gesteckt. Eine Investition, die sich lohnt, ist Göx überzeugt.

Multimedial
Die Besucher des Museums kommen nicht nur aus der näheren Umgebung. Einträge im Gästebuch dokumentieren, dass sogar ausländische Interessierte vorbeischauen, die dank eines englischen Readers in die Dauerausstellung »Jüdisches Leben in Rotenburg« eintauchen können. Jene führt Besucher teils multimedial in die Geschichte der jüdischen Einwohner in der Region im Allgemeinen und in das Leben und das Schicksal der Familie Cohn im Besonderen ein. Dazu gehören auch Verfolgung, Vertreibung und schließlich Ermordung der Rotenburger Juden, aber auch die Erinnerung an geleisteten Widerstand.

Im oberen Geschoss befindet sich eine kleine Ausstellung von Alltags- und Ritualgegenständen, die der Verein gesammelt hat: Challot, Kidduschbecher, Hawdala-Sets, Tallitot oder ein Torarolle. Was hinter den Begriffen steckt, wie die Utensilien aussehen und wozu sie benutzt werden, wird erklärt. In diesem Zusammenhang erinnert Göx auch an die Geschichte der Rotenburger Torarolle, deren verschlungener Weg sie von der Wümmestadt aus nach Südamerika führte – dort befindet sie sich noch heute. Warum, erfahren Besucher der Cohn-Scheune beim Rundgang durch die Ausstellung.

Judenhass

Charlotte Knobloch warnt: Zukunft jüdischen Lebens ungewiss

Die Hintergründe

 16.11.2025

Porträt der Woche

Bühne und Heimweh

Emiliia Kivelevich inszeniert Theater zwischen Kunst, Glaube und Migration

von Christine Schmitt  16.11.2025

Ehrung

Göttinger Friedenspreis für Leon Weintraub und Schulnetzwerk

Zwei Auszeichnungen, ein Ziel: Der Göttinger Friedenspreis geht 2026 an Leon Weintraub und ein Schulprojekt. Beide setzen sich gegen Rassismus und für Verständigung ein

von Michael Althaus  13.11.2025

Israel

Voigt will den Jugendaustausch mit Israel stärken

Es gebe großes Interesse, junge Menschen zusammenzubringen und Freundschaften zu schließen, sagt der thüringische Regierungschef zum Abschluss einer Israel-Reise

von Willi Wild  13.11.2025

Karneval

»Ov krüzz oder quer«

Wie in der NRW-Landesvertretung in Berlin die närrische Jahreszeit eingeleitet wurde

von Sören Kittel  13.11.2025

Jüdische Kulturtage Berlin

Broadway am Prenzlauer Berg

Vom Eröffnungskonzert bis zum Dancefloor werden Besucherrekorde erwartet

von Helmut Kuhn  13.11.2025

Justiz

Anklage wegen Hausverbots für Juden in Flensburg erhoben

Ein Ladeninhaber in Flensburg soll mit einem Aushang zum Hass gegen jüdische Menschen aufgestachelt haben. Ein Schild in seinem Schaufenster enthielt den Satz »Juden haben hier Hausverbot«

 12.11.2025

Interview

»Niemand hat Jason Stanley von der Bühne gejagt«

Benjamin Graumann, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Frankfurt, weist die Vorwürfe des amerikanischen Philosophen zurück und beschuldigt ihn, Unwahrheiten über den Abend in der Synagoge zu verbreiten

von Michael Thaidigsmann  12.11.2025

Hessen

Margot Friedländer erhält posthum die Wilhelm-Leuschner-Medaille

Die Zeitzeugin Margot Friedländer erhält posthum die höchste Auszeichnung des Landes Hessen. Sie war eine der wichtigsten Stimme in der deutschen Erinnerungskultur

 12.11.2025