Darmstadt

»Ein kleines Wunder«

Mehr als 80 Besucher fanden sich am Sonntagvormittag zur Synagogenführung ein. Foto: Eugen El

Es war ein Kristallisationspunkt jüdischen Lebens für die Region. Vor knapp 30 Jahren, am 9. November 1988, wurde die neue Darmstädter Synagoge eröffnet. Die Bürger der südhessischen Universitätsstadt hatten durch umfangreiche Benefiz- und Spendenaktionen einen bedeutenden Anteil am Neubau der Synagoge. Jüdisches Leben hatte von diesem Moment an in Darmstadt wieder ein Zentrum.

Aus Anlass des Jahrestags lud die Jüdische Gemeinde nun am Sonntag zum Tag der offenen Tür, der zahlreiche Menschen folgten. »Rund 120 Mitglieder aus Darmstadt und Region fasste die Gemeinde vor 30 Jahren«, sagte Gemeindevorsitzender Daniel Neumann. Kurz nach der Einweihung der von Alfred Jacoby entworfenen Synagoge begann, so Neumann, »ein kleines Wunder«. Damit meinte Neumann die Einwanderung von Juden aus der ehemaligen Sowjetunion.

Nachwuchs Heute hat die Jüdische Gemeinde knapp 630 Mitglieder, von denen deutlich mehr über 60 Jahre sind als unter 30. »Gleichzeitig gibt es in Darmstadt so viel Nachwuchs, dass wir uns vorerst keine Existenzsorgen machen müssen«, sagte Neumann nicht ohne Stolz.

Die neue Synagoge sei »ein wunderschönes Haus«, betonte Neumann vor mehr als 80 Besuchern, die sich am Vormittag zur Synagogenführung einfanden. Ursprünglich sei die Synagoge als offenes Haus konzipiert worden. »Die Realität hat uns einen Strich durch die Rechnung gemacht«, bedauerte der Gemeindechef. Ein Zaun und Überwachungskameras sorgen für Sicherheit.

Die Besucher folgten aufmerksam Neumanns Ausführungen zum jüdischen Alltag. Der Gemeindevorsitzende sprach offen, seine Ironie sorgte für Schmunzeln im Publikum. Fast zwei Stunden dauerte die Synagogenführung, die Besucher waren interessiert, stellten viele Fragen.

alltag Unter den Gästen war auch Philipp Gutbrod, Direktor des Darmstädter Instituts Mathildenhöhe. »Ich interessiere mich sehr für die jüdische Religion«, sagte Gutbrod, der mit Frau und Sohn zum Tag der offenen Tür gekommen war. Er wurde im US-Bundesstaat New York geboren und wuchs im kalifornischen Berkeley auf. Die jüdische Kultur kennt Gutbrod daher aus dem Alltag. Der Kunsthistoriker hat sich auch mit den 1938 zerstörten Darmstädter Synagogen beschäftigt.

Bücher zur Geschichte der Darmstädter Gemeinde, aber auch zu ihrem früheren Vorsitzenden Moritz Neumann, erwarteten die Besucher an einem Verkaufsstand. Dort wurden auch Schmuck, Kippot und Aufnahmen jiddischer Musik angeboten. Auf reges Interesse stieß das Angebot israelischer Speisen und Weine.

Verehrt, verfolgt, vergessen heißt eine Wanderausstellung des FC Bayern München, die zum Tag der offenen Tür gezeigt wurde. Die Schau dokumentiert Lebensgeschichten jüdischer Mitglieder und Funktionäre des renommierten Fußballvereins. Im Jahr 1932 waren sowohl Trainer als auch der Präsident des FC Bayern Juden. »Wir sind die erste jüdische Gemeinde, die die Ausstellung zeigt«, freute sich Kulturreferent Alexander Stoler.

Haltung Dass die Jüdische Gemeinde ein wesentlicher Teil der Darmstädter Stadtgesellschaft ist, demonstrierte dieser Tag eindrücklich. Für die kommenden Jahre sieht Daniel Neumann mehrere Herausforderungen. »Dem zunehmenden Druck von rechts, von links und von muslimischen Antisemiten muss mit einer klaren und eindeutigen jüdischen, gesellschaftlichen und politischen Haltung begegnet werden«, so der Gemeindevorsitzende.

Sorge bereiten Neumann auch die voranschreitende Säkularisierung und die zunehmende Abneigung gegen Religion. Neumann betonte: »Der Assimilation, der Abwendung von den eigenen Traditionen und mitunter auch dem schlichtem Desinteresse müssen wir die Kraft und die Einzigartigkeit des Judentums entgegensetzen.«

Engagement

Süße Toleranz

»move2respect« heißt ein neues Projekt, das jüdische und muslimische Jugendliche zusammenbringt. Eine erste Begegnung gab es beim Pralinenherstellen in Berlin

von Frank Toebs  06.02.2025

Gemeinden

Musik, Theater, Lesungen

Für jeden etwas dabei: Der Zentralrat der Juden stellt sein Kulturprogramm vor

von Christine Schmitt  06.02.2025

Kino

Unerträgliche Wahrheiten

Das Dokudrama »Die Ermittlung« über den ersten Auschwitz-Prozess wurde bei den Jüdischen Filmtagen gezeigt

von Nora Niemann  05.02.2025

Interview

»Wo immer wir gebraucht werden – wir sind da«

Rabbiner David Geballe über Seelsorge in der Bundeswehr und die Vermittlung von Wissen

von Helmut Kuhn  04.02.2025

Porträt der Woche

Frau der ersten Stunde

Avital Toren wurde vor 30 Jahren gebeten, die Gemeinde in Heilbronn aufzubauen

von Gerhard Haase-Hindenberg  02.02.2025

Hamburg

»Wir sind dran!«

Von Klimawandel bis jüdische Identität: Der Jugendkongress 2025 verspricht vier intensive Tage

von Florentine Lippmann  02.02.2025

Leer (Ostfriesland)

Schoa-Überlebender Weinberg will mit Steinmeier sprechen

Nach seiner Ankündigung, das Bundesverdienstkreuz abzugeben, hat der fast 100-jährige Zeitzeuge ein Gesprächsangebot des Bundespräsidenten angenommen

 31.01.2025

Berlin

Jüdische Stimmen zur Asyl-Abstimmung: Ein Überblick

Wie blicken Juden auf den Vorwurf, die CDU reiße die Brandmauer zur AfD ein? Wir haben uns umgehört

von Imanuel Marcus  30.01.2025

Bildung

Das beste Umfeld

Zwar beginnt das neue Schuljahr erst nach dem Sommer, doch schon jetzt fragen sich Eltern: Welche Schule ist die richtige? Gespräche mit Schulleitern über Wartelisten, Sprachniveau und Traditionen

von Christine Schmitt  30.01.2025