Margot Friedländer

Ein Jahrhundert Leben

Margot Friedländer lebt seit 2010 wieder in Berlin. Foto: imago images/Reiner Zensen

»Versuche, dein Leben zu machen« – dieser Satz ist Margot Friedländer von ihrer Mutter geblieben, bevor sie mit ihrem Sohn Ralph, Margots Bruder, deportiert und in Auschwitz ermordet wurde. Der von der Mutter hinterlassene Satz ist auch der Titel von Friedländers Autobiografie, die beschreibt, was es hieß, als Jüdin versteckt in Berlin zu leben – und zu überleben.

Nach dem Krieg ging sie mit ihrem Mann Adolf in die USA und kehrte 2010 wieder dauerhaft in ihre Geburtsstadt zurück. Sie ist eine bekannte Zeitzeugin, die ihre Erlebnisse weiterträgt und über die NS-Verbrechen spricht, vor allem mit Schülern. Nun hat Margot Friedländer ein biblisches Alter erreicht – und feiert ihren 100. Geburtstag.

zwangsarbeit Zur Welt kam sie am 5. November 1921 in Berlin als Margot Bendheim. Nach der Schule arbeitete sie in einer Schneiderei, ab 1940 musste sie Zwangsarbeit leisten. Ihre Familie hatte versucht, vor den Nationalsozialisten in die USA zu fliehen – vergeblich.

Dann kam der 20. Januar 1943: Die 21-jährige Margot wollte sich mit ihrem Bruder und ihrer Mutter treffen, um die Flucht vorzubereiten. Doch ihr Bruder war kurz zuvor abgeholt worden, und auch die Mutter kam nicht zu dem vereinbarten Treffpunkt.

Die Mutter hinterließ bei Nachbarn eine Botschaft für ihre Tochter: »Ich habe mich entschlossen, zur Polizei zu gehen. Ich gehe mit Ralph, wohin auch immer das sein mag. Versuche, dein Leben zu machen.« Was ihr noch von ihrer Mutter blieb: deren Handtasche mit einem Adressbüchlein und einer Bernsteinkette.

versteck Und viele Fragen. »Warum hat meine Mutter nicht gewartet? Sie hat sich für meinen Bruder entschieden«, schreibt sie. Für Margot Friedländer begann das Leben im Untergrund, von Versteck zu Versteck. Sie schreibt: »Der Tag, an dem ich untertauche, nehme ich den Judenstern ab.« Sie ging ohne Ziel durch die Straßen, einfach um zu gehen. Sie bekam Adressen für ganz unterschiedliche Verstecke, von jedem Abschied musste sie annehmen, dass er für immer war.

Friedländer schaffte es, insgesamt 15 Monate lang von Unterschlupf zu Unterschlupf im Untergrund zu bleiben. Doch dann geriet sie im April 1944 in die Hände von »Greifern« – das waren Juden, die für die Gestapo arbeiteten, versteckte Juden aufspürten und auslieferten. Sie wurde nach Theresienstadt gebracht.

»Eine Frage bestimmte unser Leben: Wie viel kann der Mensch aushalten?«

Margot Friedländer

Theresienstadt sei ein »Zwischenreich« gewesen, »nicht Leben, nicht Tod«, erinnerte sich Friedländer. »Eine Frage bestimmte unser Leben: Wie viel kann der Mensch aushalten?« Um sie herum Hunger, Elend, Halbtote und Tote. Sie sei jedoch entschlossen gewesen, zu überleben.

befreiung So ist es dann gekommen, ihre Familienmitglieder jedoch waren tot. Ihrer Mutter habe sie sich immer nahe gefühlt, so Friedländer. In Theresienstadt war sie Adolf begegnet, den sie aus Berlin kannte, und der später ihr Ehemann werden sollte. Nach der Befreiung des Lagers und dem Ende des NS-Terrorregimes wanderte Friedländer mit ihrem Mann 1946 in die USA aus.

Seit 2010 lebt Friedländer wieder in Berlin – und tritt immer wieder als Zeitzeugin auf. Im Rahmen ihres Engagements erhielt sie zum Beispiel 2021 für besondere Verdienste im christlich-jüdischen Dialog die Jeanette-Wolff-Medaille. 2011 bekam sie das Bundesverdienstkreuz am Bande. Damals sagte Bundespräsident Christian Wulff: »Sie sind Zeugin dafür, dass das alles tatsächlich geschehen ist. Sie haben erlebt, wie ein Staat Frauen, Männer und Kinder verfolgte, verschleppte und ermordete, weil sie waren, was sie waren: Juden.«

Friedländer selbst warnt immer wieder vor Antisemitismus. So sagte sie 2021 in einem Interview der »Welt am Sonntag«: Man sollte in den Schulen immer wieder darüber sprechen, »was es bedeutet, sich menschlich zu benehmen«. Zugleich bezeichnete sie die Entscheidung, wieder ganz nach Berlin zurückzukehren, als glücklichsten Moment in ihrem Leben. Sie habe diese Zugehörigkeit gespürt, weil sie sich selbst erlaubt habe, in Deutschland als Deutsche zu leben.

Frankfurt

Jüdische Kulturwochen: »Sheyn laut, sheyn lecker, sheyn lustig«

Der orthodoxe Komiker Modi Rosenfeld ist Stargast des diesjährigen Programms

von Imanuel Marcus  02.10.2023

Berlin

Bundesverdienstkreuz für Hermann Simon

Regierender Bürgermeister Kai Wegner ehrt den Gründungsdirektor der Stiftung Neue Synagoge

 29.09.2023

Porträt der Woche

»Sieh hin und lerne!«

Sofia Sominsky ist Galeristin in München und »glückliche jiddische Mamme«

von Katrin Diehl  29.09.2023

Berlin

Verleihung der »ELNET Awards«

Engagement für die deutsch-israelischen Beziehungen und das jüdische Leben in Deutschland ausgezeichnet

 02.10.2023 Aktualisiert

Leer

Späte Würdigung

Der Schoa-Überlebende Albrecht Weinberg ist nun Ehrenbürger der Stadt

von Christine Schmitt  28.09.2023

Stuttgart

»Wir sind die Mehrheit«

Einsatz für die Demokratie – Anat Feinberg und Anton Maegerle erhalten die Oppenheimer-Medaille

von Brigitte Jähnigen  28.09.2023

Ukraine

Hilfe durch Teilhabe

Als Partner von IsraAID Germany spielen die jüdischen Gemeinden eine zentrale Rolle. Ein Interview

von Imanuel Marcus  28.09.2023

Sukkot

Hör mal, wer da hämmert

Überall werden Laubhütten errichtet – und hinter jeder verbirgt sich eine eigene Geschichte

von Christine Schmitt, Elke Wittich  28.09.2023

Interview

»Ich kenne nichts Vergleichbares«

Ansgar Brinkmann über die Maccabiah, seine neue Aufgabe als Makkabi-Nationaltrainer und alte Legenden

von Helmut Kuhn  27.09.2023