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Dienst mit Kippa

Rabbiner Daniel Fabian (l.) bei seiner Amtseinführung mit Tamara Zieschang und Max Privorozki, dem Vorsitzenden der Gemeinde in Halle Foto: picture alliance/dpa

An diesen Anruf erinnert sich Max Privorozki, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Halle, gerne. Am anderen Ende war das Büro von Christiane Bergmann, Abteilungsleiterin Öffentliche Ordnung und Sicherheit im Ministerium für Inneres und Sport des Landes Sachsen-Anhalt. Sie stellte ihm die Idee vor, das Amt eines Polizeirabbiners einzuführen. »Das habe ich natürlich begrüßt«, sagt Max Privorozki. Und nun steht das vierköpfige Team, dessen Chef der Landesrabbiner Daniel Fabian sein wird und das sich aus drei Rabbinern und einer Rebbetzin zusammensetzt, fest und wird an diesem Donnerstag die Arbeit aufnehmen.

Fachhochschule »Ich freue mich sehr, dass Sachsen-Anhalt nun das Amt eines Polizeirabbiners ebenfalls eingeführt hat«, sagt Moshe Flomenmann, Landesrabbiner der IRG Baden und Polizeirabbiner des Landes Baden-Württemberg mit Zuständigkeit für den badischen Landesteil. Er selbst war als damaliger Landesrabbiner von der Polizeifachschule Aschersleben (Sachsen-Anhalt) eingeladen worden, dort einen Vortrag zu halten. Schon zu der Zeit habe es Interesse am Judentum gegeben.

Seine Bilanz zu seiner nun 18-monatigen Tätigkeit als Polizeirabbiner: »Überpositiv.« Er sei Ansprechpartner, Vertrauensperson und zuständig für die Auszubildenden. »Die Polizisten müssen erfahren, was Judentum bedeutet, denn sie übernehmen ja auch den Objektschutz unserer Gebäude.« Er besucht regelmäßig die Fachhochschulen der Polizei, die angehenden und die ausgebildeten Polizisten kommen außerdem in die Synagogen in Karlsruhe, Mannheim und Freiburg. Auch in Lörrach bei Freiburg werden sie durch die Gotteshäuser geführt, und oft stoßen noch Aktive von dem Zentralratsprogramm »Meet a Jew« hinzu, die sich ihren Fragen stellen. »Wir möchten ein breites Spektrum abbilden, die Religion natürlich, aber auch die jüdische Identität«, sagt Flomenmann.

»Es geht ums Heute und Jetzt. Manche verbinden mit dem Judentum nur Schwarz-Weiß-Bilder vom Holocaust.«

Moshe Flomenmann, Landesrabbiner der IRG Baden und Polizeirabbiner des Landes Baden-Württemberg

Die Fragen der Besucher seien sehr unterschiedlich. Viele wollen mehr über Strukturen der Gemeinden erfahren, über den jüdischen Alltag und das Miteinander. Zu Pandemie-Zeiten habe er ein Zoom- Meeting geleitet, das 90 Minuten dauern sollte. Die Polizisten waren so interessiert und begeistert, dass es schlussendlich viel länger ging, bis alle Themen geklärt werden konnten. Eine Ansprechperson möchte der Rabbiner für alle sein. »Es geht nicht um jüdische Polizisten, sondern jeder kann zu mir kommen.« Ein Ziel sei für ihn, große Gruppen zu sensibilisieren. »Es geht ums Heute und Jetzt. Manche verbinden mit dem Judentum nur Schwarz-Weiß-Bilder vom Holocaust.«

Zeichen Rabbiner Shneur Trebnik, IRGW-Ortsrabbiner für Ulm und Polizeirabbiner des Landes Baden-Württemberg mit Zuständigkeit für den württembergischen Landesteil, und Landesrabbiner Moshe Flomenmann würden mit ihrer Arbeit ein weiteres Zeichen gegen Hass und Hetze beziehungsweise für mehr Toleranz und Pluralismus in der Polizei und der Gesellschaft setzen, sagt Renato Gigliotti vom Ministeriums des Inneren, für Digitalisierung und Kommunen Baden-Württemberg.

Die Polizeirabbiner vermitteln angehenden und bereits erfahrenen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten notwendiges Wissen über das gegenwärtige jüdische Leben in Deutschland als selbstverständlichen Bestandteil der heutigen deutschen Gesellschaft, betont der Pressesprecher. Darüber hinaus stünden sie allen Beschäftigten der Polizei Baden-Württemberg und deren Angehörigen als Vertrauens- und Ansprechpersonen zur Verfügung. Weiterhin stehen diese in direktem Austausch mit den Führungsebenen der Polizeidienststellen und Einrichtungen der Polizei Baden-Württemberg und wohnen verschiedenen Fortbildungsveranstaltungen bei. Rabbiner Shneur Trebnik freut sich immer auf die Tage, wenn die Polizeischüler zu ihm in die Ulmer Synagoge kommen.

Der Polizeirabbiner, der ebenfalls seit eineinhalb Jahren im Amt ist, schätzt die Begegnungen, ist gespannt auf die Fragen und Ansichten. Es gibt Wochen, da treffen vier bis fünf Gruppen Polizisten ein, aber während der Ferien oder wenn gerade jüdische Feiertage sind, dann kann es vorkommen, dass es nur zwei bis drei im Monat sind. Übrigens lädt er auch gestandene Polizisten ein. »Es ist ein Kennlerngespräch«, so der 46-jährige Rabbiner. Er möchte das lebendige Judentum vermitteln. »Es gibt kein Thema, über das nicht gesprochen wird.« Natürlich gehe es auch um Sicherheit, Politik und Glaubensfragen. Für alle Fragen hat er ein offenes Ohr. Mit einer Ausnahme: »Ich möchte nicht in einem Satz jüdische Menschen, jüdische Gemeinden, Holocaust und Antisemitismus hören.«

Beispielsweise habe er sich mal mit einem Beamten unterhalten, der berichtete, dass er fast immer zu den Gedenkveranstaltungen gehe und auch Auschwitz besucht habe. »Ich habe ihn gefragt, ob er mal in einer Synagoge war, was er verneinte.« Gerade durch einen Synagogenbesuch bekämen auch Nichtjuden einen anderen Blick. »Es geht um mehr als um den Holocaust, nämlich um das heutige lebendige Judentum.« Auch wenn die Polizisten, unabhängig von ihrer Konfession, Sorgen oder Probleme haben, hört er zu. »Da kann es auch mal um Probleme am Arbeitsplatz gehen, oder etwas Privates drückt, oder es gab eine unangenehme Situation.«

Rat Es ist auch schon vorgekommen, dass sich Polizisten bei ihm meldeten und um Hilfe baten. Beispielsweise bei einem Suizid. Der Rabbiner wurde informiert und erklärte, er werde den Leichnam schnell freigeben, damit dieser rasch beerdigt werden könne. Jüngst geriet eine eigentlich harmlose Verkehrskontrolle leicht außer Kontrolle. Der Polizist wurde beleidigt. Daraufhin schrieb der Fahrer einen ungewöhnlichen Entschuldigungsbrief, in dem er betonte, dass diese bestimmte Formulierung eine talmudische Form der Entschuldigung sei. Irritiert fragte der Polizist den Rabbiner. Der riet ihm, nachzufragen, an welcher Stelle dieser Passus steht.

Zu Corona-Hochzeiten wandte sich ein Gemeindemitglied an ihn. Die Stadt hatte ein Straßenfest organisiert, das am Samstag stattfinden sollte. Nur Geimpfte oder Genesene durften die Straßen passieren, aber das Gemeindemitglied wollte zum Gottesdienst in die Synagoge, die in diesem Bereich liegt, und es war ihm aus religiösen Gründen nicht möglich, sein Handy am Schabbat zu nutzen. Der Rabbiner empfahl, einen Tag vorher seinen Impfnachweis bei der Polizeistelle vorzulegen. So geschah es.

Kontakt Auf zwei Jahre ist das Amt angelegt. Beide Rabbiner hoffen, dass es eine Verlängerung gibt. Und sie möchten schnell mit Rabbiner Fabian, dem Polizeirabbiner von Sachsen-Anhalt, in Kontakt kommen. Max Privorozki würde sich wünschen, dass auch Lehrer so eine Ausbildung erfahren und für jüdisches Leben sensibilisiert werden.

Er erinnert sich auch noch, wie einst Polizisten zu einer Bücherverbrennung gerufen wurden. Das Tagebuch von Anne Frank war angezündet worden. Da die Polizisten mit diesem Namen nichts anfangen konnten, seien sie im Sommer 2006 im sachsen-anhaltinischen Dorf Pretzien nicht eingeschritten, berichtet Max Privorozki. Dieser Vorfall ging durch die Presse. »Es war keine Sachbeschädigung, sondern die Täter wurden später wegen Volksverhetzung verurteilt.« Deshalb sei es wichtig, dass Polizisten über eine Grundausbildung im Judentum verfügen.

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