Frankfurt

Die nächste Generation

Die Gemeinden rollen keinen roten Teppich für sie aus – das jedenfalls ist der Eindruck vieler junger Juden, die sich ehrenamtlich für die Belange ihrer Generation engagieren. »Wir fühlen uns oft nicht ernst genommen«, sagt etwa Daniel aus Mannheim. Andere sprechen auch schon einmal von Misstrauen, das ihnen entgegengebracht wird, wenn sie den Gemeindevorständen gemeinsame Aktionen vorschlagen.

»Die Gemeinden beanspruchen eine Monopolstellung für alles Jüdische«, lautet ein weiterer Vorwurf. Das Engagement junger jüdischer Erwachsener und Arbeit und Alltag in den Gemeinden – anscheinend greift beides nicht immer ineinander, herrscht eher Koexistenz statt Kooperation.

Woran das liegt und wie sich das Verhältnis verbessern lässt – das zu klären, war eines der Ziele des ersten »Netzwerktreffens der Verantwortlichen für die Ar­beit mit jüdischen Studierenden und jungen Erwachsenen«, zu dem der Zentralrat zusammen mit der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD) und dem American Jewish Joint Distribution Committee, der weltweit größten jüdischen Hilfsorganisation, am vergangenen Wochenende nach Frankfurt einlud.

ehrenamt
»Wir haben verstanden, dass es wichtig ist, aufzuwachen und die Gruppe der 18- bis 35-Jährigen nicht länger zu ignorieren«, fasste Marat Schlafstein, Referent für Jugend- und Gemeindearbeit, in seiner Begrüßung die Haltung des Zentralrats zusammen.

Das betrifft schätzungsweise 25.000 junge Menschen in allen Teilen der Bundesrepublik. Deren Idealismus ist groß, hat etwa Ilya Daboosh beobachtet. Er ist bei der ZWST als Sozialarbeiter für das Programm »Achtzehnplus« zuständig. »Aber vielen fehlt die Zeit, neben Studium und Job auch noch ehrenamtlich aktiv zu sein. Sie wollen etwas tun, wissen aber häufig nicht, wie.«

Genau da könnte die Unterstützung der Gemeinden ansetzen. »Ihr müsst um eure Relevanz und um eure Räume kämpfen!«, forderte etwa Susanne Benizri, Vorstandsmitglied der Israelitischen Religionsgemeinschaft Baden, die jungen Netzwerker auf. Allen Beteiligten war klar, dass es nicht einfach sein würde, junge Menschen, die nach Selbstständigkeit streben, stärker ins Gemeindeleben einzubinden.

Aber: »Es untergräbt die Idee einer Ge­meinde, die ja vor allem eine Gemeinschaft ist, wenn ihr darin keinen Platz findet. Ihr seid doch die Führungskräfte von morgen!«, appellierte Schlafstein. Er rief dazu auf, »Tacheles zu reden«, um herauszufinden, was sich ändern muss. Und tatsächlich förderte diese offen und ehrlich geführte Aussprache Erstaunliches zutage. Natürlich erhoffen sich die jungen Aktiven vor allem eine finanzielle Förderung durch die Gemeinden.

Zuschuss Doch damit stoßen sie nicht immer auf offene Ohren (und Türen): »Wieso soll eine Gemeinde 10.000 Euro Zuschuss für ein Projekt geben, dessen Initiatoren niemals ihre Mitglieder sein werden?«, fragte Elisabeth Friedler, in der Hamburger Gemeinde zuständig für junge Erwachsene und Familien, provokant in die Runde. Manche Gemeinden schlagen daher den Deal »Fördergelder gegen Mitgliedschaft« vor, wie ein Student aus Süddeutschland berichtete. Doch in Deutschland werden einem Wechsel der Gemeinde jede Menge administrative Hür­den in den Weg gelegt, weshalb viele Studenten einfach Mitglied an ihrem Heimatort bleiben, auch wenn sie dort schon lange nicht mehr wohnen.

An solchen praktischen Problemen scheitert mancher gute Wille zur Zusammenarbeit. »Wir konnten keine Veranstaltung im Gemeindezentrum stattfinden lassen, weil die Security bereits um 18 Uhr Feierabend macht«, erzählte etwa ein Student aus Norddeutschland.

Doch es gibt auch gravierendere Gründe: Mehr Professionalität bei der Ausarbeitung von Konzepten, eine klarere Struktur und ein überzeugender Plan für die Durchführung und Finanzierung von Veranstaltungen, lautete etwa eine Forderung der Gemeindeverantwortlichen.

Damit die Kommunikation besser funktioniert, sollte man öfters »einen Kaffee zusammen trinken«, so die pragmatische Empfehlung mehrerer Teilnehmer. Doch wünschen sich die Gemeinden auch mehr »politischen Aktivismus« bei den Studierenden und jungen Erwachsenen. JSUD-Präsidentin Dalia Grinfeld griff diesen Ge­danken auf. »Wir müssen uns entscheiden: Feiern wir Sushi-Partys oder gehen wir auf die Straße demonstrieren?«, fragte sie und versprach gleichzeitig allen regionalen Gruppen ihre Unterstützung.

online-seminar Als Beispiel verwies sie auf das Online-Seminar ihrer Organisation, das ­Argumentationshilfe bieten soll, indem es darüber aufklärt, wo in der Debatte über den Nahostkonflikt die Grenze zwischen Israelkritik und Antisemitismus verläuft.

Sie sind also nicht allein, sondern finden an vielen Stellen Unterstützung, sei es im Zentralrat, in der ZWST oder den Studentenverbänden. Und ihr Engagement ist wichtig, denn ohne die jungen Juden »haben die Gemeinden keine Zukunft«, ist Marat Schlafstein überzeugt. »Es gibt einen Mehrwert, wenn wir uns jetzt für diese Generation einsetzen«, sagt auch Ilya Daboosh.

Deshalb liegt für ihn das Rezept im »Empowerment«, der Erkenntnis und Unterstützung der vorhandenen Stärken und Kompetenzen. »Wir können die Jungen nur dazu ermutigen: Kommt zu uns, fragt uns um Rat, aber dann muss es heißen: ›Macht, setzt eure Pläne um!‹«, lautet daher sein eindringlicher Appell.

Weitere Informationen finden Sie unter www.facebook.com/JSUDeutschland

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