Ratsversammlung

»Die Gemeinden sind das Rückgrat der jüdischen Gemeinschaft«

Umarmungen, Wiedersehen, Händeschütteln – schon lange, bevor die jährliche Sitzung der Ratsversammlung offiziell mit dem Läuten der Handglocke beginnt, sind es diese Momente, die die Tagung des Gremiums fast schon zu einer Art Familientreffen machen. Und wie es zu einem richtigen Familientreffen gehört: Es wird gegessen, erinnert, es gibt hier und dort Unstimmigkeiten, Zwischentöne, und zum Schluss freuen sich alle auf die nächste Versammlung im kommenden Jahr.

90 Delegierte aus den 23 Landesverbänden und Groß-Gemeinden des Zentralrats der Juden kamen am vergangenen Sonntag im Saal des Frankfurter Ignatz Bubis-Gemeindezentrums zusammen, um nicht nur einen Blick auf das vergangene Jahr in den jüdischen Gemeinden zu werfen, sondern auch, um wichtige Eckpunkte zu besprechen – wie die Änderungen der Geschäftsordnung oder die Neuwahl von zwei Richtern für den Gerichtshof beim Zentralrat.

Mehr als 100 jüdische Gemeinden in Deutschland

Die Ratsversammlung ist aber auch eine Gelegenheit, sich ein Bild über die Situation in den mehr als 100 jüdischen Gemeinden in Deutschland zu machen. Denn in vielen Gemeinden ist die Stimmung angespannt, wozu die unsichere Weltlage, die vielen antisemitischen Vorfälle und Straftaten und die Frage, wie man mit rechts- und linksextremen Parteien umgehen soll, ihr Übriges beitragen. Gemeindemitgliedern macht all dies Sorgen. Wenn sie wissen, dass sie sich auf dem Weg zum Gemeindeklub in einigen Städten vielleicht besser nicht als Jüdin oder Jude zu erkennen geben sollten. Wenn sich in Gesprächen mit Familienmitgliedern oder Freunden plötzlich politische Gräben auftun, die nur schwer zu überwinden sind.

»Wir haben gezeigt, was ›Am Israel Chai‹ in der Praxis bedeutet«, sagte Josef Schuster.

Weil es viele dieser alltäglichen Hürden gibt, die die Gemeinden und ihre Mitglieder nehmen müssen und sie sich trotzdem füreinander stark machen, dankte Zentralratspräsident Josef Schuster bei der diesjährigen Ratsversammlung zuallererst den Gemeinden. Sie »sind das Rückgrat der jüdischen Gemeinschaft«, sagte Schuster. Die Gemeinden zu stärken und sie dabei zu unterstützen, ihre Angebote für ihre Mitglieder noch relevanter zu machen, sei daher ein wichtiges Anliegen des Zentralrats.

Programme wie unter anderem »Meet a Jew« seien Schuster deswegen ein besonderes Herzensanliegen. »Mit über 750 Freiwilligen und weit mehr als 100 Begegnungen im Monat« könne eine enorme Reichweite geschaffen werden. »Vor allem aber die identitätsstiftenden Seminare, die die Freiwilligen durchlaufen, sind besonders wertvoll«, betonte Schuster.

Einen Tag hob der Zentralratspräsident besonders hervor, den 13. Oktober 2025. »Der Tag, an dem die 20 überlebenden Geiseln aus den Händen der Hamas-Terroristen befreit wurden. Es war ein Tag der Erleichterung und der Freude für die Familien.« Dieser Tag bildete auch den Abschluss vieler Solidaritätskampagnen des Zentralrats und vieler jüdischer Gemeinden, die dazu beigetragen haben, »das Schicksal der Geiseln – und damit auch den Grund für den andauernden Konflikt in Gaza – im Bewusstsein der Öffentlichkeit wachzuhalten.«

Engagement der vielen Freiwilligen in den Gemeinden

Für das Engagement der vielen Freiwilligen in den Gemeinden dankte ihnen Schuster: »Es gab viel Gegenwind und Hass, den wir in der Zeit erfahren haben. Gemeinsam haben wir gezeigt, was ›Am Israel Chai‹ in der Praxis bedeutet.«

Von einer Rückkehr zur Normalität sei man trotz der Rückkehr der Geiseln und des Waffenstillstands in Gaza weit entfernt. »Der nach dem 7. Oktober 2023 explosionsartig angewachsene Antisemitismus stellt unverändert eine akute Bedrohung für jüdisches Leben in Deutschland dar.«

Ehrengast der Ratsversammlung war der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Staatsminister Wolfram Weimer. Er hob in seinem Beitrag die neue Gedenkstättenkonzeption und den Start der Schiedsgerichtsbarkeit NS-Raubgut am 1. Dezember als zentrale Projekte hervor, in die der Zentralrat eng involviert war. Weimer bezeichnete die Arbeit der Regierung als klares »Stoppschild gegen Relativierung und Verharmlosung«. Darüber hinaus unterstrich er die klare Haltung im Kampf für jüdisches Leben: »Der Bundesregierung und mir persönlich ist es nicht nur Pflicht, sondern tiefstes Bedürfnis, heutiges jüdisches Leben zu stärken und zu schützen.«

»Seien Sie versichert: Sie sind nicht allein!«, betonte Wolfram Weimer.

Wie sehr sich die Delegierten der Ratsversammlung mit den aktuellen Debatten befassen – die kommende documenta in Kassel, die IHRA-Antisemitismus-Definition, das Schiedsgericht um NS-Raubgut und die Diskussion um eine Teilnahme Deutschlands am Gesangswettbewerb Eurovision –, zeigten die präzisen Fragen an Weimer, die er beantwortete.

Enge deutsch-israelische Zusammenarbeit

Bereits zuvor hatte ein weiterer Gastredner, der israelische Botschafter Ron Prosor, in einem Video-Grußwort die enge deutsch-israelische Zusammenarbeit angesprochen. Prosor erinnerte an den Meilenstein von 60 Jahren diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und Israel und mahnte angesichts der aktuellen Herausforderungen: »Schon die So­wjets haben ›Zionisten‹ gesagt und Juden gemeint, heute beobachten wir dasselbe Muster wieder. Wenn wir gegen dieses Muster, den Antisemitismus als Antizionismus zu tarnen, heute nicht vorgehen, werden wir morgen die bitteren Konsequenzen spüren.« Jeder Campus, jede Straße, so der Botschafter, der mit einer Umarmung an alle sein Grußwort schloss, müsse für Juden ein sicherer Ort sein.

Gerade die jüngere Generation findet in ihren Gemeinden und Jugendzentren neben vielen Angeboten eben auch Safe Spaces. Um sie, betonte Schuster, wird es auch am kommenden Wochenende gehen, wenn in Frankfurt Hunderte junger Menschen zusammenkommen, um diesmal keine Fragen zu stellen, sondern sie zu beantworten, nämlich beim »Jewish Quiz«. Und auch dann wird es wieder familiär – mit Umarmungen, Wiedersehen – und statt Händeschütteln vielen Selfies.

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