Porträt der Woche

Der lange Weg zu mir selbst

Alisa Poplavskaya ist Kunsttherapeutin und arbeitete ehrenamtlich im Himalaya

von Gerhard Haase-Hindenberg  13.03.2021 19:40 Uhr

»Ich trennte mich nicht leicht von den Eltern, fühlte aber, dass dies ein wichtiger Schritt ins Leben war«: Alisa Poplavskaya (35) lebt in Berlin. Foto: Rolf Walter/xpress.berlin

Alisa Poplavskaya ist Kunsttherapeutin und arbeitete ehrenamtlich im Himalaya

von Gerhard Haase-Hindenberg  13.03.2021 19:40 Uhr

Als ich sieben Jahre alt war, kam ich zum ersten Mal mit den Geschichten der Tora in Berührung. Kindgerecht aufgearbeitet an der jüdischen Sonntagsschule in der ukrainischen Stadt Mykolajiw. Im Jahr darauf verbrachte ich die Ferien gemeinsam mit anderen jüdischen Kindern aus Georgien, Russland und Weißrussland in einem Sommercamp am Schwarzen Meer.

Als Teenager besuchte ich dann in meiner Heimatstadt den jüdischen Jugendklub, um Hebräisch zu lernen. Dort hörte ich zum ersten Mal von Na’ale, und was ich hörte, klang vielversprechend: Jüdische Jugendliche können in Israel die Schule bis zum Abitur besuchen, man lebe dort zusammen in einem Kibbuz. Organisiert würde das Ganze eben von jener Organisation, die Na’ale heißt. Vor allem wären Aufenthalt und Schulbesuch kostenlos.

NA’ALE Als ich zu Hause davon erzählte, fand meine Mutter, das wäre sicher eine gute Chance für eine erstklassige schulische Bildung. In den Tagen darauf kam dann der Wermutstropfen: Von den Na’ale-Koordinatoren erfuhren wir, dass sich auf jeden Platz vier junge Leute bewarben. Ich hoffte natürlich, rechnete mir aber keine realen Chancen aus. So konnte ich nicht enttäuscht werden.

Nach einiger Zeit aber wurde meine Hoffnung erfüllt: Ich durfte die Koffer packen, um die nächsten Jahre an einer israelischen Highschool zu verbringen. Meinem Vater fiel der Abschied sehr schwer, und auch ich trennte mich nicht leicht von den Eltern. Intuitiv aber fühlte ich, dass dies ein wichtiger Schritt ins Leben war.

Dass ich Vaterjüdin bin, war kein Hinderungsgrund für ein Highschool-Jahr in Israel.

In Israel hatte ich schnell Freunde gefunden, die wie ich aus ehemaligen Sowjetrepubliken kamen. Wir wohnten in einem Kibbuz, lernten zusammen und hatten eine Menge Spaß. Ab der zehnten Klasse bereiteten wir uns dann gemeinsam mit israelischen Schülern auf das Bagrut vor, das israelische Abitur.

ENTSCHEIDUNG Am Ende der Highschool mussten wir eine Entscheidung treffen. Für alle anderen stand fest, dass sie in Israel bleiben und nach der Armeezeit studieren würden. Sie hatten vor, sich dort ein neues Leben aufzubauen. Ich aber haderte und bedauerte, dass es die ukrainischen Gesetze nicht erlaubten, beide Staatsbürgerschaften zu haben. Das hätte die Entscheidung enorm vereinfacht.

Schließlich entschied ich, dem Heimweh nach meiner Familie nachzugeben – nicht zuletzt deshalb, weil in Mykolajiw inzwischen noch ein kleiner Bruder zur Welt gekommen war. Ein Geschwisterchen hatte ich mir immer gewünscht, auch wenn der Altersunterschied nun beträchtlich war. Ich packte also wieder die Koffer und reiste ab – diesmal in umgekehrte Richtung als drei Jahre zuvor.

An der Internationalen Solomon-Universität in Kiew wurde die israelische Hochschulreife anerkannt, und ich studierte Soziologie und Sozialpsychologie. Danach fand ich bei einem großen ukrainischen TV-Kanal einen Job als Fernsehjournalistin. Beruflich lief alles prima.

Und doch hatte ich das Gefühl, dass das auf Dauer nicht mein Weg sein würde. Als ich zum ersten Mal von Paideia in Stockholm hörte, dem Europäischen Institut für Jüdische Studien in Schweden, verspürte ich noch keinen Drang, dort hinzugehen. Ein Jahr später aber war das Gefühl, einen anderen Weg einzuschlagen, plötzlich sehr stark, obgleich es hierfür keinen rationalen Grund gab.

Schon am ersten Tag in Stockholm lernte ich Martin kennen, einen deutschen Juden aus Berlin.

Schon am ersten Tag in Stockholm lernte ich Martin kennen, einen deutschen Juden aus Berlin. Bald waren wir Banknachbarn im Institut, und als er mich bei einem gemeinsamen Ausflug in den Skansen-Park in den Arm nahm, wusste ich, weshalb mich meine Intuition nach Stockholm geschickt hatte. Sehr schnell war uns klar, dass es für uns auch nach der Zeit in Paideia eine gemeinsame Zukunft geben würde.

WIEN Die nächste Station war zunächst einmal die Lauder Business School in Wien, die von der Ronald S. Lauder Foun­dation gegründet und zu einem erheblichen Teil finanziert wird. Sie trägt den Namen des US-Unternehmers und Stifters, der auch damals schon der Präsident des Jüdischen Weltkongresses war. 1987 hatte er die Stiftung mit dem Ziel ins Leben gerufen, die durch die Schoa zerstörten Strukturen jüdischer Bildungseinrichtungen in Mittel- und Osteuropa neu zu beleben.

Martin schrieb sich für International Business Administration ein und ich mich für Intercultural Leadership and Management. Das Studium an diesem Institut ist nicht auf jüdische Studenten beschränkt, wohl aber das Wohnen auf dem Campus, und das wurde peinlich genau kontrolliert. Genau da begann für mich das Problem.

Es wurde großen Wert darauf gelegt, dass die Schlafplätze nur an Studierende vergeben werden, die halachisch auch tatsächlich jüdisch sind. Bei mir aber ist nur der Vater jüdisch. Das hatte Na’ale nicht daran gehindert, mich zum Schulbesuch nach Israel einzuladen, und den jüdischen Staat nicht, mir die Staatsbürgerschaft anzubieten. Ich durfte bei Paideia jüdische Studien betreiben, nicht aber auf dem
Lauder-Chabad-Campus in Wien mein Haupt zur Nachtruhe betten. Schließlich verzichtete auch Martin darauf, und wir bezogen eine gemeinsame Wohnung. Während eines Konzerts von Leonhard Cohen machte er mir zur Melodie von »I’m your man« einen Heiratsantrag.

NGO Wir heirateten, hatten aber nicht vor, uns auf einen klassischen »Honeymoon« zu begeben. Vielmehr beschlossen wir, Tikkun Olam zu machen, also etwas zur Verbesserung der Welt beizutragen. Wir hatten schon von Tevel b’Tzedek gehört, einer israelischen Nichtregierungs­organisation, die in Nepal aktiv ist. Sie stellt sich den globalen Herausforderungen von Armut und Umweltschäden auf der Basis jüdischer Werte. Wir fanden den Gedanken toll, daran mitzuwirken.

In einem nepalesischen Dorf habe ich mit Frauen und Kindern gearbeitet und an drei lokalen Schulen unterrichtet. Auch Martin war dort als Englischlehrer tätig. An den Nachmittagen arbeiteten wir gemeinsam mit anderen jüdischen Freiwilligen auf dem Feld.

Die Menschen in dieser Gegend, etwa 120 Kilometer südlich des Mount Everest, bekennen sich zum tibetischen Buddhismus. Dabei entdeckten Martin und ich Ähnlichkeiten zum Judentum. So etwa die Idee der fünf Elemente Erde, Wasser, Luft, Feuer und Äther, die im religiös-mystischen Judentum den fünf Ebenen der Seele entsprechen.

MALEN Schon in Stockholm hatte ich wieder mit dem Malen begonnen, eine Leidenschaft, die seit dem Kunstunterricht in der Kindheit bei mir phasenweise immer mal wieder aufgeflammt war. Hier, in diesem kleinen Dorf im Himalaya, lernte ich nun eine ganz andere Art zu malen kennen, die sich von dem unterschied, was ich bisher kannte.

Zurück in Berlin, habe ich meine Bilder in der jüdischen Galerie Omanut ausgestellt und einige davon auf dem Chanukka-Basar angeboten.

Die Tangka-Malerei ist eine sehr meditative Kunst mit immer wiederkehrenden Motiven. Ich verspürte das starke Bedürfnis, diese meditative Kunst zu erlernen. Der Lehrer verlangte von mir, dass ich zunächst zwei Monate lang meditieren solle. Währenddessen machte ich zum ersten Mal in meinem Leben die Erfahrung, zeitgleich beobachten zu können, was in mir und neben mir geschieht. Ich kam zu einer inneren Ruhe und wurde mir meiner Emotionen sehr bewusst. Obgleich ich schon seit vielen Jahren malte, ist der Anfang sehr schwer gewesen.

Diese sehr detaillierte Bildkunst war etwas komplett anderes als meine bisherige Malerei. Ich habe sehr viel Geduld üben müssen, um nach und nach zu erfahren, wie man durch Kunst zur Meditation kommen kann.

Zurück in Berlin, habe ich meine Bilder in der jüdischen Galerie Omanut ausgestellt und einige davon auf dem Chanukka-Basar im Jüdischen Gemeindehaus zum Kauf angeboten. Dort sprach mich eine fremde Frau an, die mich schließlich dazu angeregt hat, das Tangka-Malen zu unterrichten. Niemand sonst würde das in Berlin machen.

YOGA Schließlich ließ ich mich darauf ein und mietete mich in einem Yoga-Studio ein. Es entstand ein wunderbares Projekt mit einem 60-Stunden-Kurs für jeweils vier Teilnehmerinnen. Seither beginne ich diese Kurse so, wie ich sie selbst in Nepal erfahren hatte, nämlich mit Meditation und Yoga. Und das führt dann langsam zu Kreativitätsübungen und einer Kunsttherapie.

Auch Martin ist Yoga-Lehrer geworden und bietet gelegentlich in der Synagoge Fraenkelufer vor Kabbalat Schabbat ein sogenanntes jüdisches Yoga an. Und manchmal arbeiten wir in Kursen auch zusammen. Wir sind einen langen Weg miteinander gegangen – den Weg zu uns selbst.

Aufgezeichnet von Gerhard Haase-Hindenberg

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