Romanbiografie

Der bayerische Bierkönig

Historische Siegelmarke Foto: Archiv d. Kulturzentrums der IKG München & Obb.

Romanbiografie

Der bayerische Bierkönig

Mit seinen Brauereien und Gaststätten prägte Josef Schülein über Jahrzehnte Münchens Ruf

von Ellen Presser  16.09.2022 11:24 Uhr

Kaum jemand, der auf dem Oktoberfest den überlebensgroßen Löwen am Festzelt bestaunt, weiß, dass das »Löwenbräu«-Bier in der NS-Zeit als »Judenbier« verunglimpft wurde. Und dies nur aus einem einzigen Grund: weil die Familie Schülein diese Brauerei auf Erfolgskurs gebracht hatte.

Von alledem hatte der junge Josef Schülein, Sohn des Tuchhändlers Joel und seiner Frau Nette, noch keine Ahnung, als er nach dem Tod des Vaters mit der verwitweten Mutter und drei Geschwistern dem ältesten Bruder Jakob aus dem fränkischen Thalmässing nach München folgte.

tradition Mutter Nette, eine gläubige Jüdin, die zeitlebens auf einen koscheren Haushalt achtete und ihre Kinder in der jüdischen Tradition erzog, setzte darauf, mit dem Ersparten Kleinkredite zu vergeben. Dank der seriös geführten Bankgeschäfte erwarb die Familie bescheidenen Wohlstand.

Josef Schülein, Jahrgang 1854, seit 1873 in München ansässig, genügte die mit seinen Brüdern Jakob und Gustav geführte Banker-Tätigkeit nicht. Bereits zwölf Jahre später erwarb er die pleite gegangene Fügerbräu-Brauerei im Münchner Stadtteil Haidhausen. Daraus machte er die Unionsbrauerei Schülein und Companie, die 1903 in eine Aktiengesellschaft umgebaut wurde. Josef Schülein war Geschäftsmann, fürs Bierbrauen beschäftigte er Fachleute. 1905 erwarb er die Münchner-Kindl-Brauerei und zum Ende des Ersten Weltkriegs Schloss Kaltenberg, mit dazugehöriger Brauerei und landwirtschaftlichem Gut. Diesen Firmenzuwachs verwaltete er gemeinsam mit seinem jüngsten Sohn Fritz Schülein.

Sein privates Glück hatte Josef Schülein mit Ida Baer aus Oberdorf und den gemeinsamen sechs Kindern gefunden. 1921 fusionierte Unionsbräu rückwirkend zum 1. Oktober 1919 mit Löwenbräu und wurde unter diesem Namen fortgeführt. Den Coup hatte der Sohn Hermann Schülein maßgeblich betreut; er wurde Direktor und Vorstandsvorsitzender von Löwenbräu. Hinzu kam bald das Bürgerliche Brauhaus München.

engagement Das soziale Engagement der Schüleins führte durch Grundstücksstiftungen zum Bau einer Siedlung von Sozialwohnungen in Berg am Laim. Schon zu Lebzeiten des »alten« Schülein waren dort 1920 eine Straße und ein Platz nach ihm benannt worden, was im Dezember 1933 rückgängig gemacht wurde.

Josef Schülein, den man den »Bierkönig von Haidhausen« nannte, war ein Original, gut erkennbar an seinem gewaltigen Schnauzer und breitkrempigen Hut. Auf dem Weg zur Arbeit schenkte er den Kindern des Viertels Münzen für Süßigkeiten, kleidete alljährlich bis zu 40 Firmlinge neu ein und stiftete Geld für die Ausbildung besonders Begabter. Während andernorts Freikorps-Anhänger rechtsradikal schäumten und mordeten, eröffnete Ida Schülein nach dem Ersten Weltkrieg im Münchner-Kindl-Keller und im Bürgerbräu-Keller eine Armenspeisung für bis zu 1000 Hungrige täglich.

Gut vergolten hat man es der Familie und ihrem Patriarchen nicht. Nach seinem von den Nationalsozialisten bereits im Mai 1933 erzwungenen Rücktritt aus dem Aufsichtsrat von Löwenbräu zog Josef Schülein sich auf sein Gut Kaltenberg bei Geltendorf zurück, wo er am 9. September 1938 starb. Er ruht auf dem Neuen Israelitischen Friedhof neben seiner bereits 1929 verstorbenen Frau Ida.

Elisabeth Schinagl: »Der Bierkönig von München«. Allitera, München 2022, 276 S., 14,90 €

Architektur

Wundervolles Mosaik

In seinem neuen Buch porträtiert Alex Jacobowitz 100 Synagogen in Deutschland. Ein Auszug

von Alex Jacobowitz  17.10.2025

Nova Exhibition

Re’im, 6 Uhr 29

Am 7. Oktober 2023 feierten junge Menschen das Leben. Dann überfielen Hamas-Terroristen das Festival im Süden Israels. Eine Ausstellung in Berlin-Tempelhof zeigt den Horror

von Sören Kittel  17.10.2025

Meinung

Entfremdete Heimat

Die antisemitischen Zwischenfälle auf deutschen Straßen sind alarmierend. Das hat auch mit der oftmals dämonisierenden Berichterstattung über Israels Krieg gegen die palästinensische Terrororganisation Hamas zu tun

von Philipp Peyman Engel  16.10.2025

Erinnerung

Gedenken an erste Deportationen aus Berlin am »Gleis 17«

Deborah Hartmann, Direktorin der Gedenk- und Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz, warnte mit Blick auf das Erstarken der AfD und wachsenden Antisemitismus vor einer brüchigen Erinnerungskultur

 16.10.2025

Bonn

Hunderte Menschen besuchen Laubhüttenfest

Der Vorsitzende der Synagogen-Gemeinde in Bonn, Jakov Barasch, forderte mehr Solidarität. Seit dem Überfall der Terrororganisation Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 hätten sich hierzulande immer mehr Jüdinnen und Juden aus Angst vor Übergriffen ins Private zurückgezogen

 13.10.2025

Hamburg

Stark und sichtbar

Der Siegerentwurf für den Wiederaufbau der Bornplatzsynagoge steht fest

von Heike Linde-Lembke  09.10.2025

München

Mut in schwieriger Zeit

Der Schriftsteller und Historiker Rafael Seligmann stellte im Gespräch mit Christian Ude sein neues Buch im Jüdischen Gemeindezentrum vor

von Nora Niemann  09.10.2025

Halle

Erinnerung an Synagogen-Anschlag vor sechs Jahren

Am 9. Oktober 2019 hatte ein Rechtsterrorist versucht, in die Synagoge einzudringen, scheiterte aber an der Tür. Bei seiner anschließenden Flucht tötete er zwei Menschen

 09.10.2025

Daniel Donskoy

»Ich liebe das Feuer«

Der Schauspieler hat mit »Brennen« einen Roman über die Suche nach Freiheit und Freundschaft geschrieben. Ein Interview

von Katrin Richter  09.10.2025