Augsburg

Das Mädchen aus Fischach

Ausstellung in der ehemaligen Synagoge Kriegshaber zum Thema »Kinder auf der Flucht« Foto: JKMAS

Augsburg

Das Mädchen aus Fischach

Die Synagoge Kriegshaber zeigt eine Ausstellung zu den Kindertransporten

von Katrin Diehl  25.07.2019 10:00 Uhr

Kim Fellner war noch nie in Fischach. Der kleine Ort im bayrisch-schwäbischen Landkreis Augsburg hat heute knapp 5000 Einwohner. Dort wurde 1925 Kim Fellners Mutter Anita Heufeld geboren.

1939 wurde Anita mit einem sogenannten Kindertransport außer Landes gebracht, weg aus Deutschland, nach Großbritannien. Da war sie 14 Jahre alt, gehörte damit zu den Älteren, was zur Folge hatte, dass sie in den Kinderheimen, in die sie in Nordengland kam, von Anfang an Verantwortung für die Jüngeren übernehmen musste.

Auf einem Bild mit einer Gruppe von für die Kamera posierenden Mädchen steht sie ganz rechts, wo man auf Klassenfotos die Lehrerin erwarten würde. Sie blickt traurig-ernst und hält mit ihrem linken, ausgestreckten Arm sehr erwachsen ein schelmisch grinsendes Mädchen vor sich fest.

Dieses Foto kann der Besucher auf dem Touchscreen der kleinen, wichtigen Ausstellung Über die Grenzen. Kinder auf der Flucht 1939/2015 in der Ehemaligen Synagoge Kriegshaber, dem zweiten Standort des Jüdischen Museums Augsburg Schwaben, anschauen. Jedes Kindergesicht darauf, jede Körperhaltung erzählt eine eigene Geschichte.

entwurzelung 1938/39 wurden mithilfe der Kindertransporte mehr als 10.000 jüdische Kinder aus Deutschland und den von den Nationalsozialisten bedrohten Nachbarländern gerettet. »Darunter mindestens 15 Kinder aus Augsburg und Bayrisch-Schwaben, die weggekommen sind von den Eltern, der ihnen bekannten Sprache, ihrem Zuhause«, erklärt Barbara Staudinger, Leiterin des Jüdischen Museums Augsburg Schwaben. Ihrer gedenkt die Ausstellung.

Zusammen mit Souzana Hazan und Monika Müller ist Barbara Staudinger auch Kuratorin der Ausstellung, bei der man versucht hat, den Schwerpunkt etwas zu verschieben. »Ich bin ein Fan davon, dass man Geschichten fertig erzählt«, sagt Staudinger, »und mit dem Kind, das am Bahnsteig steht, in der einen Hand den Koffer, in der anderen einen Teddybären, ist es eben weitergegangen, da kam dann noch ganz viel.«

Der Verlust der Eltern ist für Flüchtlingskinder ein traumatisches Erlebnis.

Diese Geschichten leiteten die Kuratorinnen auch bei dem Teil der Ausstellung an, der sich den heute in Deutschland und ganz speziell in Augsburg gestrandeten geflüchteten Kindern und Jugendlichen heutiger Kriege widmet. »Was sie vor allem alle verbindet, ist der Verlust der Eltern, ein traumatisches Erlebnis für jedes Kind, das an die Grenzen dessen geht, was es ertragen kann.« Und dabei beugt Staudinger Kritik und Missverständnissen vor, stellt klar, dass »historische Vergleiche eben nicht Gleichsetzung« bedeuten, »die Singularität der Schoa nie infrage gestellt« werden kann.

Die Ausstellung präsentiert, was den Teil der Kindertransporte anbelangt, rein virtuelle Eindrücke. »Wir haben mit Selbstzeugnissen gearbeitet, wollten aber keines der Dokumente zurückbringen nach Deutschland. Die Kinder sind ja auch nicht zurückgekehrt«, sagt Souzana Hazan.

Unsicherheit Auf Spanplatten, die den provisorischen Charakter des unsicheren Lebens zwischen Vergangenheit und Zukunft symbolisieren, sind Texte und Bilder zu den jüdischen Kinderschicksalen zu sehen. Darunter auch die Geschichte von Liese und Siegbert Einstein, die 1925 und 1924 in Kriegshaber geboren wurden. Liese überlebte als Einzige ihrer Familie die Schoa. Bruder Siegbert starb 1940 in England an den Folgen einer zu spät behandelten Infektion.

Auf Spanplatten, die den provisorischen Charakter des unsicheren Lebens zwischen Vergangenheit und Zukunft symbolisieren, sind Texte und Bilder zu den jüdischen Kinderschicksalen zu sehen.

Kim Fellner betrachtet das Mädchen auf dem Foto, das ihr direkt in die Augen zu blicken scheint. Bevor ihre Großmutter Anita dem Kindertransport nach Großbritannien anvertraute, habe sie ihr vorausblickend das Nähen beigebracht. So wurde Anita in den Heimen schnell für Änderungsschneidereien zuständig. »Das Leben war erträglich, aber lieblos«, wird sie sich später nüchtern erinnern. »Solange wir klein waren«, erzählt Kim Fellner, »gingen meine Eltern nicht in Details, aber so in etwa wussten wir Bescheid.«

verantwortung Die Mutter ihres Vaters wohnte bei ihnen, »und sie war die Einzige meiner Großeltern, die überlebt hat. Auch der Großvater, der in der jüdischen Gemeinde Fischach sehr aktiv gewesen war und darum bemüht, die Menschen aus Deutschland herauszuschleusen, überlebte nicht. Seine Geschichte kennt man – andere hingegen nicht.

Als sie älter und politisch interessiert war, haben die Eltern den Geschwistern vor allem eines mitgegeben, sagt Kim Fellner, nämlich, dass »wir Verantwortung für unsere Taten übernehmen sollten, und dass einem Befehl zu folgen, niemals eine Entschuldigung für etwas Schreckliches, das man getan hat, sein kann«.

Ende 1941 zog Anita Heufeld zu ihrem Bruder nach Cardiff, wo sie im Frühling 1944 als Krankenschwester des Roten Kreuzes bei einer Pessachfeier den amerikanischen Soldaten Rudolf Fellner, der 1938 aus Wien geflohen war, kennenlernte. Die beiden heirateten, gingen 1946 in die USA und gründeten eine Familie. Anita Fellner wurde Schneiderin. Da ihr die Möglichkeit, eine Ausbildung zu machen, genommen wurde – sie wollte gerne Modezeichnerin werden –, hat ihr der deutsche Staat eine Wiedergutmachung in Höhe von 5000 Euro zukommen lassen.

Nur sehr wenige Kinder der Kindertransporte sind später wieder mit ihren Eltern zusammengekommen. Es blieb die große Ausnahme. Auch Kim Fellners Großeltern, Samuel und Erna Heufeld aus Fischach, sind von den Nationalsozialisten ermordet worden. »Als meine Mutter das nach dem Krieg erfahren hat, wollte sie nicht weiterforschen. Ihr hat das zu wehgetan«, sagt Kim Fellner. Jetzt fährt sie nach Fischach – zum ersten Mal in ihrem Leben.

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