Interview

»Das ist meine Mission«

Möchte ihr Lebenswerk fortgeführt wissen: Berlins Ehrenbürgerin Margot Friedländer (102) Foto: picture alliance/dpa

Frau Friedländer, was hat Sie motiviert, die Margot Friedländer Stiftung zu gründen?
Seit 13 Jahren gehe ich in Schulen und spreche zu Menschen. Das ist meine Mission. Jetzt, wo ich fast 102 Jahre alt bin, ist es wichtig, dass diese Mission nicht aufhört. Was ich zu sagen habe, soll weiter gehört werden. Ich spüre, dass ich immer schwächer werde. Meine Gesundheit ist nicht mehr die beste. Ich spreche für die, die es nicht mehr können. Für die sechs Millionen Menschen, die man umgebracht hat, nur weil sie Juden waren. Dazu Millionen weiterer Menschen, die das Regime nicht als Menschen betrachtet hat. So etwas darf nie wieder geschehen.

Was wollen Sie mit der Stiftung erreichen?
Dass mein Lebenswerk fortgesetzt wird. Ich möchte den jungen Menschen sagen, was während der Schoa passierte. Wir können es nicht mehr ändern. Aber es darf nie wieder geschehen. Es ist für euch, sage ich ihnen immer, wenn ich als Zeitzeugin zu ihnen spreche. Ich predige nicht. Ich rede zu ihnen. Ich sage ihnen, was ich von ihnen erwarte. Dass sie Menschen sind. Nur wünschte ich, dass ich etwas jünger wäre.

Welche Inhalte will die Stiftung aufgreifen?
Sie soll dafür sorgen, dass diese Erinnerungsarbeit auch noch in einer Zeit ohne Zeitzeugen möglich ist. Das ist meine Hoffnung, das ist mein Wunsch.

Warum jetzt?
Wir vergeben seit neun Jahren den Margot-Friedländer-Preis, allerdings im Rahmen der Schwarzkopf-Stiftung, da ich bisher keine eigene Stiftung hatte. Nun fand ich aber, dass es wesentlich ist, eine Stiftung mit meinem Namen zu gründen, weil sehr viele wollen, dass es weitergeht. Neben der Fortführung der Zeitzeugenarbeit und der Verleihung des Margot-Friedländer-Preises soll sich die Stiftung generell für Freiheit und Demokratie einsetzen. Denn wie lange werde ich wohl noch leben? Außerdem soll meine Zeitzeugenarbeit multimedial aufbereitet und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden – auch für die Zeit nach meinem Tod.

Hochrangige Politiker und Künstler gehören dem Vorstand an, darunter Alt-Bundespräsident Joachim Gauck und Monika Grütters, die ehemalige Kulturstaatsministerin. Wie sind Sie auf sie gekommen?
Wir sind seit Langem befreundet, und dann hat sich das ergeben. Da ich keinerlei Verwandtschaft habe, sind Freunde wichtig. Gute Freunde, mit denen ich auch Privates besprechen kann, mit denen ich nicht nur über den hübschen Tag rede oder darüber, was wir vorhaben. Ich habe hier einen wunderbaren Freundeskreis, der mich liebt und trägt.

Sie finanzieren die Stiftung mit Ihrem Privatvermögen?
Es ist zwar mein Vermögen, was ich hineingegeben habe, aber natürlich wollen wir Unterstützung haben. Selbstverständlich. Ich habe keine Kinder, niemanden. Die Erinnerungsarbeit ist für mich das Wesentliche.

Die Stiftung wird in der Mendelssohn-Remise ihren Sitz haben. Wer wird dort arbeiten?
Wir haben fünf Mitarbeiter und einige Ehrenamtliche.

Sie sind vor 13 Jahren aus den Vereinigten Staaten nach Deutschland zurückgekehrt. Damals kannten Sie keinen Menschen hier.
Nicht einen einzigen. 2003 bin ich das erste Mal nach 57 Jahren in Berlin gewesen. Und wie ich die erste Stunde hier war, habe ich gesagt, dass ich so froh bin, in einer so schönen Stadt geboren zu sein. Ich fühlte mich zu Hause.

Es war ein mutiger Entschluss umzuziehen. Sie haben ja wahrscheinlich in Amerika Freunde zurückgelassen.
Es ist kaum noch jemand da. Mein Mann, ebenfalls Berliner, ist 1997 gestorben. Er ist leider in New York beerdigt, und ich kann nicht zu seinem Grab gehen. Er wollte nie zurück. Aber für mich war es das Richtige. Meine Erinnerungsarbeit wird hier sehr anerkannt. Nicht nur von der Regierung, auch von den Menschen. Man ist mir dankbar für das, was ich tue. Warum habe ich die Anerkennung bekommen? Doch nicht für mich, sondern für meine Aufgabe!

Sie haben bereits im Jahr 2008 über die Zeit Ihres Untertauchens in Berlin, Ihr Überleben in Theresienstadt und Ihre Deportation eine Autobiografie geschrieben. Warum?
Nach dem Tod meines Mannes habe ich in einem Seniorenklub in New York angefangen, meine Lebensgeschichte aufzuzeichnen. Ich habe mir abends Papier mit ins Bett genommen und einfach angefangen. Irgendwann konnte ich dann nicht mehr aufhören. Ich habe gedacht: Die Menschen wissen so wenig, ich muss weiterschreiben, um ihnen klarzumachen, was damals passiert ist. Als dann 2008 mein Buch »Versuche, dein Leben zu machen« erschienen war, dachte ich: Was machst du in New York? Du kannst in Deutschland viel mehr tun. So bin ich 2009 zunächst probeweise hierher gezogen und dann ein Jahr später für immer zurückgekommen.

Verfolgen Sie, was in den USA passiert?
Ich lese die »New York Times« im Computer. Jeden Tag die Überschriften. Aber ich meine, ich habe Amerika nicht anerkannt als meine Heimat. Ich habe dort gelebt, es war zwar ein Zuhause, aber keine Heimat. In Amerika konnte ich nichts machen, da war man an meiner Lebensgeschichte nicht so interessiert wie hier.

Beunruhigt Sie noch etwas?
Ich habe keine Angst. Das Leben hat mich geprägt.

Worauf freuen Sie sich?
Am 9. November strahlt das ZDF eine Dokumentation über mich aus – und ich freue mich auf viele Jahre erfolgreiche Zusammenarbeit mit meiner Stiftung.

Mit der Schoa-Überlebenden und Zeitzeugin sprach Christine Schmitt.

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