Osnabrück

Das Gebot der Stunde

Die Preisträger Alon Meyer (l.) und Peter Fischer mit Laudatorin Esther Schapira Foto: Niederrheinische IHK/Jacqueline Wardeski

Seite an Seite, aufrecht, den Arm umeinander gelegt, gehen sie auf die Bühne: Gemeinsam erhielten Peter Fischer, der Eintracht-Frankfurt-Präsident als Mensch mit »klarer Kante« gegen rechts, und Makkabi-Deutschland-Präsident Alon Meyer als Kopf eines jüdischen Sportvereins von großer integrativer Kraft am vergangenen Sonntag in Osnabrück die Buber-Rosenzweig-Medaille.

Im Rahmen der Eröffnungsveranstaltung zur »Woche der Brüderlichkeit« wurde ihr Einsatz für die Verständigung zwischen Menschen unterschiedlichen Glaubens, verschiedener Herkunft und Nationalität gewürdigt.

motto Meyer und Fischer stünden beispielhaft für das Motto der »Woche der Brüderlichkeit« 2022, »Fair Play – Jeder Mensch zählt«, das wurde in der OsnabrückHalle mehr als deutlich. Dass das vom Deutschen Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit (DKR) gewählte Motto gegenwärtig durch den Krieg in der Ukraine regelrecht pervertiert wird, machte betroffen.

Die Fassungslosigkeit, das Entsetzen manifestierten sich in sämtlichen Redebeiträgen. Sie wirkten wie eine kräftige Unterstreichung des Gesagten, getragen von der Hoffnung, »dass es uns gemeinsam gelingen möge, Frieden zu schaffen«. So formulierte es Rabbiner Andreas Nachama, der jüdische Präsident des Koordinierungsrates. Eindringlich beschwor er den vom Ewigen geschenkten Frieden, der Grenzen überwinden kann.

In Osnabrück, wo die Buber-Rosenzweig-Medaille nach 1992 (damals an die Politikerinnen Hildegard Hamm-Brücher und Annemarie Renger) zum zweiten Mal verliehen wurde, gelang ein Friedensschluss 1648 – nach 30 Jahren Krieg. »Es gibt keinen besseren Ort für diese Feier«, betont Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) in seinem Grußwort.

friedensstadt Denn als »Friedensstadt« fühlt sich Osnabrück besonders verpflichtet, für ein tolerantes und friedliches Miteinander einzustehen. Auch und gerade jetzt, wie Oberbürgermeisterin Katharina Pötter (CDU) und Landrätin Anna Kebschull (Bündnis 90/Die Grünen) einhellig beteuern.

Rathaus und Landratsamt signalisieren der Gemeinde Unterstützung bei der Ukraine-Hilfe.

Und so kann auch die Jüdische Gemeinde auf die Unterstützung von Politik und Verwaltung zählen, wenn es um Evakuierungs- und Hilfsmaßnahmen nicht nur, aber vor allem für die jüdischen Opfer des Kriegs in der Ukraine geht. »Wir stehen bereit«, sei die Botschaft aus Rathaus und Landratsamt gewesen, sagt Michael Grünberg der Jüdischen Allgemeinen.

Der Vorstandsvorsitzende der Jüdischen Gemeinde Osnabrück fügt an: »Wir sind direkt involviert, denn 50 Prozent der Mitglieder unserer Gemeinde haben ihre Wurzeln in der Ukraine und damit dort auch Angehörige.«

Solidarität Grünberg hofft darauf, dass die geflüchteten Juden möglichst gemeinsam untergebracht werden können. »Viele essen koscher. Wir können diese Menschen gut versorgen.« Er sei dankbar für die breite Solidarität, die sich im Kleinen, aber auch im Großen zeige. So habe eine Firma 600 Paar Schuhe gespendet.

Gefordert, die Menschen im und aus dem Kriegsgebiet zu unterstützen, sieht sich auch Makkabi Deutschland. »Schon vier Stunden nach dem Ausbruch des Krieges gab es eine erste Hilfsaktion«, berichtete Alon Meyer in Osnabrück im Interview mit Moderatorin Gundula Gause. Im Verbund mit der weltweiten Makkabi-Bewegung sei sein Verein dabei, Menschen die Flucht zu ermöglichen und Hilfstransporte zusammenzustellen.

Im helfenden Handeln wird die »Masse der Anständigen« sichtbar, die Alon Meyer sonst viel zu leise ist. »Demokratie ist kein Automatismus«, so der Makkabi-Präsident. »Wir müssen Multiplikatoren schaffen für das Gute.«

»Aufstehen, reden, sich einmischen – mehr können wir nicht tun; weniger dürfen wir nicht tun.«

Esther Schapira

Es komme auf jede Stimme an und auf jede Gelegenheit, das war auch das Fazit der Journalistin Esther Schapira in ihrer Laudatio auf die Preisträger der Buber-Rosenzweig-Medaille 2022. »Aufstehen, reden, sich einmischen – mehr können wir nicht tun; weniger dürfen wir nicht tun.« Mit diesem Appell schloss sie ihre Rede, die ohne Umschweife benannte, was in der Welt und damit auch in der Sportwelt schiefläuft.

Propagandakulisse Der russische Angriffskrieg auf den demokratischen Nachbarn Ukraine zwinge selbst den Weltfußballverband FIFA und das Internationale Olympische Komitee (IOC) »anzuerkennen, was sie sonst stets leugnen: Der Sport ist immer auch Politik«, sagt Schapira, die 2007 gemeinsam mit dem Journalistenkollegen Georg M. Hafner selbst die Buber-Rosenzweig-Medaille erhielt.

Mit Verweis auf den deutschen IOC-Präsidenten Dirk Bach und die Olympischen Spiele in Peking mahnt sie: »Wer Diktatoren als bunte Propagandakulisse dient, macht sich mitschuldig. Und wer eine Stimme hat, die gehört wird, und schweigt, ebenfalls.«

Dass Peter Fischer, der heutige Präsident der einstigen »Juddebubbe« vom Main, seine Stimme »undiplomatisch und unüberhörbar erhoben hat gegen Rassismus, gegen Homophobie und gegen Antisemitismus und für Weltoffenheit und Toleranz«, habe ihm – neben Drohungen und Hassbotschaften – viel Zuspruch gebracht. Und rund 17.000 neue Vereinsmitglieder. Schapira formuliert es so: »Peter Fischer hat aus der Mitgliedschaft bei seinem Verein ein politisches Statement gemacht.«

Mitgliederzunahme Gleiches gelte für die Mitglieder von Makkabi Deutschland. Aus dem einst kleinen jüdischen Sportverein sei unter Leitung seines Präsidenten Alon Meyer sehr viel mehr geworden. »Rund 2500 Mitglieder hat Makkabi inzwischen, und jede und jeder Einzelne von ihnen weiß, dass es gefährlich werden kann, sich mit dem T-Shirt ihres Vereins zu zeigen, weil darauf der Davidstern und hebräische Schriftzeichen zu lesen sind. Und trotzdem bekennen sie sich zu Makkabi. Und sehr viele nicht nur trotzdem, sondern deswegen!« Das sei auch deshalb bemerkenswert, da drei Viertel der Mitglieder nicht jüdisch seien, sondern vielfach Christen und Muslime.

Sport könne verbinden, so Esther Schapira. Auf der Ebene der Sportfunktionäre bleibe dieses Statement aber immer noch viel zu oft eine Phrase. So seien die Olympischen Spiele in China und die Fußball-WM in Katar »zwei beschämende Beispiele allein in diesem Jahr für die korrupte Kumpanei zwischen Sport und Politik«.

Auch dass der iranische Aufruf an alle Länder, nicht gegen israelische Sportler und Sportlerinnen anzutreten, öffentlich weder besonders wahrgenommen noch kommentiert worden sei, halte sie für einen Skandal, der »skandalös folgenlos« geblieben sei.

Demokratie Im Sport nutzten Makkabi Deutschland und Peter Fischer die Möglichkeiten, vor allem bei jungen Menschen auf ein Fair Play hinzuwirken. Und das über den Sport hinaus, in die Gesellschaft hinein. »Beide wissen, dass Demokratie keine Selbstverständlichkeit ist, sondern täglich neu erkämpft werden muss und dass es dabei auf jede Stimme ankommt und jede Gelegenheit«, betont Schapira.

In Osnabrück soll es am 25. April ein ausdrucksstarkes Signal des Miteinanders geben: ein gemeinsames Fastenbrechen als Fest der Religionen im jüdischen Gemeindezentrum. »Das ist ein Novum«, sagt Gemeindevorsitzender Michael Grünberg. Eigentlich schon für 2021 geplant, aber dann wegen Corona abgesagt, sei diese vom Landkreis verantwortete Veranstaltung ein »Zeichen, das wir setzen können«.

Im Rahmen der Woche der Brüderlichkeit gibt es in Osnabrück etliche weitere Angebote: Bis zum 3. April ist auf dem Domvorplatz noch die Open-Air-Ausstellung Zwischen Erfolg und Verfolgung – Jüdische Stars im deutschen Sport bis 1933 und danach zu sehen. Außerdem gibt es die Aufführung von Thomas Beveridges Yizkor Requiem (24./26. März, Lutherkirche), einen Vortrag über die Geschichte der Makkabäer (5. Mai, Forum am Dom), einen Theaterabend zu Rose Ausländer (11. Mai, Jüdische Gemeinde) oder den »Langen Abend der Religionen« (12. Juni, ebenfalls in der Jüdischen Gemeinde).

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