Holocaust-Überlebende im Porträt

»Ich werde noch 116, wirst sehen«

Anni Schkolnik ist 104 Jahre alt und kam aus Leipzig über Italien nach Israel. Foto: Luigi Toscano

Herr Toscano, wie geht es Anni Schkolnik?
Ihr geht es total prima. Wenn man nicht wüsste, dass sie 104 Jahre alt ist, würde man das gar nicht glauben. Sie ist so fit, so agil – und so frech vor allem. Als wir uns beide voneinander verabschiedeten, sagte sie: »Ich werde noch 116, wirst sehen.«

Am 27. Januar wird im Leipziger Hauptbahnhof Ihre Ausstellung »Gegen das Vergessen« eröffnet. Auf einer der Fotografien wird Anni Schkolnik zu sehen sein. Wie haben Sie die gebürtige Leipzigerin entdeckt?
Teil meines Konzeptes ist es ja zu versuchen, lokale Überlebende zu finden. Dabei waren mir das Leipziger Ariowitsch-Haus und die Stadt Leipzig eine große Hilfe. Und so habe ich auch Frau Schkolnik kennengelernt.

Wie war die Begegnung mit ihr?
Sehr herzlich. Ich war in Kontakt mit ihrer Tochter Sabina. Mich erinnern diese Treffen immer an die bei Oma und Opa. Diese Herzlichkeit, die Fragen, ob alles gut geklappt hat, ob man Hunger oder Durst habe.

Wie ist Anni Schkolnik von Leipzig nach Israel gekommen?
Die Eltern besaßen ein Rauchwarengeschäft in Leipzig. Aufgrund der Repressalien der Nazis ging es pleite. Der Vater hatte dann ein Angebot bekommen, nach Italien zu gehen, nach Mailand. Daraufhin ist die Familie ausgewandert. In Italien hat Frau Schkolnik ihren späteren Mann kennengelernt, hat geheiratet, und das Paar hat Kinder bekommen. Erst vor acht Jahren ist sie mit ihrer Tochter nach Israel gegangen. Das Schöne war: Wir haben bei unserem Treffen Deutsch, Italienisch und Englisch miteinander gesprochen.

Wie wichtig ist Ihnen Sachsen als Ausstellungsort?
Ich habe mir zur Aufgabe gemacht, jedem Menschen den Zugang zu dieser Ausstellung zu ermöglichen. Natürlich ist mir bewusst, dass Sachsen in den Umfragen, was die AfD betrifft, gerade ziemlich weit vorn liegt. Wir dürfen aber nicht den Fehler machen, alle Sachsen mit der AfD zu verbinden. Es gibt in Sachsen eine demokratische Bewegung, die sehr aktiv ist. Wir haben in den vergangenen Tagen gesehen, dass viele Menschen bereit sind, die Demokratie zu verteidigen und gegen die AfD zu demonstrieren.

Sie sind mit Ihrem Dokumentarfilm »Schwarzer Zucker – Rotes Blut« bei zahlreichen Filmfestivals vertreten und wurden auch schon mehrmals dafür ausgezeichnet. Worum geht es in dem Film?
Es ist die Geschichte von Anna, deren Identität verloren gegangen ist. Anna kam mit anderthalb Jahren nach Auschwitz und hat dort alle und alles verloren: Mutter, Vater und ihre Heimat. Über all die Jahrzehnte hat sie immer versucht, etwas über ihre Identität herauszufinden – ohne Erfolg. Ich habe Anna im Herbst 2021 besucht, bevor der Krieg in der Ukraine begann, und wollte ihr helfen. Daraus ist dieser Film entstanden.

Wie hat sie reagiert?
Erst hat sie sich ein wenig geziert, aber dann hat ihre Tochter Olga ein Wort für mich eingelegt, und Anna gab mir ihren Segen, über ihre Suche einen Film zu machen. Letztendlich ist es uns gelungen, herauszufinden, wer Anna ist. Durch viele Zufälle mit vielen Emotionen und mit all den Umständen: Anna hatte sich ja geweigert, die Ukraine zu verlassen. Sie sagte: »Luigi, ich habe Hitler überlebt, dann werde ich auch den Putin überleben. Also mach dir keine Sorgen.« Natürlich habe ich mir aber immer Sorgen gemacht.

Mit dem Fotografen sprach Katrin Richter.
Die Ausstellung wird am 27. Januar um 14 Uhr im Leipziger Hauptbahnhof, Querbahnsteig (Ostseite), eröffnet und ist bis zum 17. Februar zu sehen.

Berlin-Charlottenburg

Verborgene Schätze im Innenhof

Gemeindemitglied Joachim Jacobs führt durch den wohl jüdischsten Bezirk der Hauptstadt

von Sören Kittel  01.12.2025

Haifa

Nach abgesagter Auktion: Holocaust-Zeugnisse jetzt in Israel

Die geplante Versteigerung von Holocaust-Zeugnissen in Deutschland hatte für große Empörung gesorgt. Nun wurden viele der Objekte nach Israel gebracht und sollen dort in einem Museum gezeigt werden

von Sara Lemel  01.12.2025

Dokumentation

»Sie sind nicht alleine!«

Kulturstaatsminister Wolfram Weimer hielt bei der Ratsversammlung des Zentralrats der Juden die traditionelle Gastrede

von Wolfram Weimer  30.11.2025

Meinung

Wir Jungen müssen die Gemeinden stärker mitgestalten

Jüdische Studierende sind vom wachsenden Antisemitismus besonders betroffen. Gleichzeitig sind junge Juden kaum in den Gemeindevertretungen repräsentiert. Das muss sich ändern

von Ron Dekel  30.11.2025

Gemeinden

Ratsversammlung des Zentralrats der Juden tagt in Frankfurt

Das oberste Entscheidungsgremium des jüdischen Dachverbands kommt einmal im Jahr zusammen

 01.12.2025 Aktualisiert

Porträt der Woche

Familie, Glaube, Neubeginn

Edouard Joukov stammt aus Russland und fand seinen Platz in der Ulmer Gemeinde

von Brigitte Jähnigen  28.11.2025

Doppel-Interview

»Wir teilen einen gemeinsamen Wertekanon«

Vor 60 Jahren brachte das Konzilsdokument »Nostra aetate« eine positive Wende im christlich-jüdischen Dialog. Bischof Neymeyr und Rabbiner Soussan blicken auf erreichte Meilensteine, Symbolpolitik und Unüberwindbares

von Karin Wollschläger  28.11.2025

Debatte

Neue Leitlinie zum Umgang mit NS-Raubgut für Museen und Bibliotheken

In Ausstellungshäusern, Archiven und Bibliotheken, aber auch in deutschen Haushalten finden sich unzählige im Nationalsozialismus entzogene Kulturgüter. Eine neue Handreichung soll beim Umgang damit helfen

von Anne Mertens  27.11.2025

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 27. November bis zum 3. Dezember

 27.11.2025