Es sollte doch nur ein fast ganz normaler Schabbat sein. Ein Freitagabend mit Essen, Getränken, Segen, ach, und den katholischen Eltern von Davids Freundin Meg, die zum ersten Mal zu Schabbat kommen. Also alles ganz entspannt, oder? Von wegen. Das junge Paar ist nervös, David zappelt, und außerdem stellt jeder um sie herum, ob im Deli oder im Foyer, die gleiche Frage: »Are you ready for tonight?«
Und was das für ein Tonight ist: Die zukünftige Schwiegermutter Ellen (Kyra Sedgwick) mag den Kater mehr als die Verlobte des Freundes, die dabei ist, zum Judentum zu konvertieren, der zukünftige Schwiegervater Richard (David Paymer) ist das Herz des Hauses und hörbar praktizierender Anhänger gewaltfreier Kommunikation, Davids Bruder Adam ist der härteste IDF-Anwärter im Körper eines Nesthäkchens, und Abby, die Schwester, will sich eigentlich von ihrem Freund Benjamin trennen. Und dann wäre da noch Jordan, der Portier und Best Buddy von Richard, der sich eine Kippa aufsetzt und den ganzen Schabbat schmeißt. Doch warum nur liegen eineinhalb Challot auf dem Schabbattisch?
Der Film »Bad Shabbos« ist eine Wucht
Der Film Bad Shabbos, der in diesem Jahr das Jüdische Filmfestival Berlin Brandenburg (JFBB) eröffnen wird, ist eine Wucht. Lustig, tragisch, absurd, cool, ein bisschen Wes Anderson, ein wenig Quentin Tarantino und viel Daniel Robbins, der den Film gemacht hat.
Bad Shabbos ist nur einer von insgesamt 57 Filmen des 31. JFBB, die in diesem Jahr die Bandbreite des zeitgenössischen jüdischen Films abbilden. Und jeder, der Film liebt, sollte sich mindestens einmal in eines der elf teilnehmenden Kinos setzen, denn die Auswahl ist absolut gelungen. »Wir feiern das Kino und die Filmkunst und eröffnen einen Raum für Begegnung, Diskussion und Austausch. Wir hoffen auch, dass wir das Publikum noch zahlreicher in die Kinos locken können und dort viele interessante, berührende und inspirierende Begegnungen mit den Filmen und den Filmschaffenden, aber auch unter unseren Besucherinnen und Besuchern stattfinden«, sagte Programmdirektorin Lea Wohl von Haselberg kürzlich in einem Interview mit der Jüdischen Allgemeinen.
Der Portier setzt sich eine Kippa auf und schmeißt den Schabbat.
Und die Besucher können auf Spielfilme wie Pink Lady von Regisseur Nir Bergman und der Drehbuchautorin Mindi Ehrlich gespannt sein. Das junge Paar Bati und Lazer hat drei Kinder, auf den Familienfotos wird gelacht, doch Lazer, der an einer Jeschiwa studiert, wird mit Fotos erpresst. Um ihrem Mann zu helfen, den Skandal vor der ultraorthodoxen Gemeinschaft, in der die beiden leben, geheim zu halten, bringt Bati einige Kraftanstrengung auf und entdeckt dabei eine ganz neue Seite an sich. Der Film ist eine sanfte und respektvolle Ode an die Liebe und die Freiheit mit beeindruckenden Schauspielern.
Für Dokufilm-Liebhaber ist Art Spiegelman: Disaster Is My Muse ein Muss bei diesem JFBB. Die fast zweistündige Doku von Molly Bernstein und Philip Dolin aus dem Jahr 2024 porträtiert die Comic-Zeichner-Ikone Art Spiegelman und zeigt anhand von Interviews, Gesprächen beim Abendessen und alten Fotos, wie der heute 77-Jährige zu dem wurde, was er ist: einer der wichtigsten Zeichner der jüngsten Geschichte.
Die Doku geht insbesondere auf die Entstehung des Maus-Comics ein und zeigt den durchschlagenden Erfolg des Buches, dessen Erzählform und Darstellung auch Künstlerinnen wie Marjane Satrapi (Persepolis) beeinflusst haben. Ohne Spiegelmans Graphic Novel vom Überleben des Vaters wäre ihr Band nie zustande gekommen, sagt Satrapi in einem Interview.
Spiegelmans Kunst begann in einem Drugstore
Dass Spiegelmans Kunst einmal in einem Drugstore begann, als er mit seiner Mutter als Fünfjähriger an der Kasse wartete, darüber muss der Autor von so wichtigen Büchern wie In The Shadow of the Two Towers selbst lachen.
JFBB, das bedeutet auch, ein Bildungs- und Begleitprogramm zu haben. Wie eben zu Art Spiegelman. Denn anlässlich des 80. Jahrestags der Befreiung sind ausdrücklich Schülerinnen und Schüler eingeladen, sich das Porträt anzusehen. Außerdem gibt es ein Angebot für Schulklassen in Brandenburg und Berlin, die Filme zu günstigen Konditionen zu sehen, inklusive eines Gesprächs mit Filmschaffenden.
Spiegelman wusste, dass er zeichnen wollte, als er mit seiner Mutter an einer Kasse wartete.
Das Filmfestival ist auch ein Wettbewerb. Mit der Verleihung des Gershon-Klein-Spielfilmpreises und des Gershon-Klein-Dokumentarfilmpreises, des Preises für den interkulturellen Dialog und des Preises zur Förderung des filmischen Nachwuchses werden Künstlerinnen und Künstler am 9. Mai für ihre Wettbewerbsbeiträge ausgezeichnet. Preispatin ist in diesem Jahr die Schauspielerin Andrea Sawatzki, die in einem Interview sagte: »Ich bin immer gespannt auf innovative Erzählweisen, die das Publikum zum Nachdenken anregen und neue Diskussionen eröffnen. Ich freue mich darauf, in die Sichtweisen junger Filmschaffender einzutauchen.«
In diesem Jahr sind 20 Filme im Wettbewerb, darunter Eid von Yousef Abo Madegem. Der erste in Israel produzierte Spielfilm eines beduinischen Regisseurs erzählt von einem jungen Mann zwischen familiärer Pflicht und individueller Freiheit. Auch Tom Shovals Film A Letter to David ist im Wettbewerb für Dokumentarfilme zu sehen. Shoval erzählt von David Cunio, der seit dem 7. Oktober 2023 Geisel der Hamas ist – und von dessen Bruder Eitan, der in Israel auf ihn wartet.
Tom Shovals Film »A Letter to David« ist im Wettbewerb für Dokumentarfilme zu sehen
Shoval und die Cunios verbindet eine lange Freundschaft, die beim Casting zu Shovals Film HaNoar – Youth begann. Der Film, der bei der Berlinale viel Beachtung fand, wird begleitet vom Kurzfilmprogramm »Assembling the Pieces«, das die »Bruchstücke einer erschütterten Wirklichkeit neu zusammensetzt«. Es werden Filme gezeigt, die vom 7. Oktober und dessen Nachwirken in ganz individuellen Kunstformen erzählen, »von Verlust, Überleben und Hoffnung – und davon, wie Menschen versuchen, das Unfassbare zu begreifen, Fragment für Fragment«.
Das JFBB ist 2025 nah am Publikum und den Diskursen der Zeit, wie mit einem »Talk« mit Anetta Kahane, die über Rassismus und Antisemitismus im Ostdeutschland der »Wende«-Jahre spricht, und einer Matinee anlässlich des 80. Jahrestags des Kriegsendes.
Egal aber, ob im Kinosessel oder auf dem Panel – ein kritischer Blick des Publikums, ein überraschter, ein Lächeln, auch Tränen, Hände vor den Augen oder zartes Gekicher, ungefähr so, wie es der Schauspieler Aaron Altaras im Trailer zum Festival zeigt, sind garantiert.