Solingen

»Allen Stürmen zum Trotz«

Zentralratsvizepräsident Abraham Lehrer Foto: Simon Vilk

Mit Appellen zum Einsatz für Toleranz und gegen Hass und Hetze ist am Samstag in Solingen an die Eröffnung der örtlichen Synagoge vor 150 Jahren erinnert worden.

»150 Jahre jüdische Geschichte in Solingen stehen für hoffnungsvollen Aufbruch, für tiefste Abgründe der Menschheitsgeschichte ebenso wie für einen zaghaften Neubeginn jüdischen Lebens nach der Schoa«, sagte der Vizepräsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Abraham Lehrer, in einem Festakt. »Sie stehen aber auch symbolisch für eine heutige, selbstbewusste jüdische Gemeinschaft in ganz Deutschland, die allen Stürmen zum Trotz wieder blüht und gedeiht.«

pogromnacht Die Solinger Synagoge war am 8. März 1872 eingeweiht worden. In der Pogromnacht vom 9. November 1938 wurde sie geplündert und niedergebrannt. Anschließend ließ die Stadt die Ruine des neoromanischen Kuppelbaus auf Kosten der jüdischen Gemeinde abreißen und auf dem Grundstück einen Hochbunker errichten.

An diesem Bunker wurde mit einer festlichen Lichtinstallation eine große Fensterrose aus unvergänglichem Cortenstahl eingeweiht. Das von dem Solinger Stahlkünstler Michael Bauer-Brandes entworfene Kunstwerk greift die Gestalt der Original-Fensterrose der Synagoge auf und zeigt sechs Davidsterne in Kreisen, in der Mitte ist ein leerer Kreis.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Jüdisches Leben mit all seiner Lebenslust, Kreativität und Vielfalt finde »erfreulicherweise wieder hier in Deutschland mitten unter uns statt«, es gehöre »in die Mitte der Gesellschaft: sichtbar, erlebbar, respektiert«. Der Vorstand der Synagogen-Gemeinde Köln rief dazu auf, die Vielfalt und den Reichtum jüdischer Philosophie, Ethik, Religion, Kunst und Kultur zu erkunden. An Schülerinnen und Schüler appellierte er: »Bleibt neugierig! Bleibt wachsam und kritisch! Vergesst nicht!«

Ukraine-krieg Mit Blick auf den Krieg in der Ukraine sagte der Vizepräsident des Zentralrats: »Viele von uns haben Angehörige in der Ukraine, um die wir uns sorgen. Dieser Krieg zeigt, wie leicht entflammbar der anscheinend nie völlig verlöschende Funkenflug des Hasses ist und wie schnell er zum Flächenbrand wird.«

»Dieser Krieg zeigt, wie leicht entflammbar der anscheinend nie völlig verlöschende Funkenflug des Hasses ist und wie schnell er zum Flächenbrand wird.«

Zentralratsvizepräsident Abraham Lehrer

Der Krieg Russlands gegen die Ukraine mahne, »nichts für selbstverständlich zu nehmen und Angriffen gegen Demokratie und Menschenrechte, aus welcher Ecke sie auch immer kommen mögen, frühzeitig und entschlossen entgegenzutreten«. Lehrer kritisierte Versuche, »uns einzureden, es gebe Auseinandersetzungen zwischen russischen und ukrainischen Gemeindemitgliedern aufgrund des Krieges«.

Der Krieg zeige auch, wie die Lüge zur vermeintlichen Wahrheit gemacht werde und »ganze Völker einer wohl orchestrierten Propagandaschlacht aus Lügen, Fake News und geradezu irrwitzigen Behauptungen anheimfallen«, sagte Lehrer. »Wir sehen, wohin es führt, wenn Geschichtsschreibung und Berichterstattung ideologischen Vorgaben untergeordnet werden.« Deshalb müsse es heute darum gehen, dass Fakten und nicht Fiktion die Oberhand behalten: »Wir müssen historisch gesichertes Wissen in der Öffentlichkeit wachhalten – ohne in Floskeln und in Sprechblasen abzugleiten.«

antisemitismus Besorgt äußerte sich Lehrer auch über wachsenden Antisemitismus in vielen europäischen Ländern, der Einfluss von Rechtspopulisten und Nationalisten nehme zu. »Die Namen Kassel, Halle und Hanau sind der traurige Beweis, dass die Bekämpfung von Antisemitismus, Rechtsextremismus und Rassismus auch künftig ganz oben auf der Agenda stehen muss«, mahnte der Zentralratsvizepräsident.

Der Solinger Oberbürgermeister Tim Kurzbach (SPD) erinnerte daran, dass die Synagoge 60 Jahre lang lebendiger Mittelpunkt der Solinger Gemeinde gewesen sei, die in ihrer Blütezeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts 324 Mitglieder zählte. Bevor die Nationalsozialisten an die Macht kamen, hätten sich die jüdischen Familien in Kultur- und Sportvereinen, Chören und Parteien für ihre Stadt engagiert. Heute habe die Kultusgemeinde Wuppertal 2.150 Mitglieder aus dem Bergischen Land, darunter etwa 300 aus Solingen.

Kurzbach forderte einen Perspektivwechsel im Umgang mit Jüdinnen
und Juden, die seit 1700 Jahren hier lebten: Das Judentum sei »konstitutiv für Deutschland«, und es gelte daher, »die Schönheit und die Zukunft jüdischen Lebens zu feiern«, sagte er. Mit der nun installierten Fensterrose leuchte in Solingen wieder der Davidstern als Signal, dass die Schande der Pogromnacht und das nachfolgende Grauen nicht vergessen werden. »Und als Hoffnungsstrahl, dass jüdisches Leben in Deutschland, im Bergischen Land, in unserer Klingenstadt Solingen eine Zukunft hat.« epd

Auszeichnung

Die Frau mit den Blumen

Zwei Jahre lang ging Karoline Preisler auf anti-israelische Demonstrationen, um auf das Schicksal der Geiseln aufmerksam zu machen. Jetzt erhält sie den Paul-Spiegel-Preis des Zentralrats der Juden

von Michael Thaidigsmann  30.10.2025

Nachruf

Gestalter mit Weitblick

Für Jacques Marx war die Gemeindearbeit eine Lebensaufgabe. Eine persönliche Erinnerung an den langjährigen ehemaligen Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Duisburg-Mülheim/Ruhr-Oberhausen

von Michael Rubinstein  30.10.2025

Ehrung

Demokratiepreis für Graphic Novel über Schoa-Überlebende

Die Schoa-Überlebenden Emmie Arbel gewährte Zeichnerin Barbara Yelin vier Jahre lang Einblicke in ihr Leben

 30.10.2025

Interview

»Wir hatten keine Verwandten«

Erst seit einigen Jahren spricht sie über ihre jüdischen Wurzeln: Bildungsministerin Karin Prien erzählt, warum ihre Mutter davon abriet und wann sie ihre eigene Familiengeschichte erst begriff

von Julia Kilian  30.10.2025

Wittenberg

Judaistin kuratiert Bildungsort zur Schmähplastik

Die Darstellung der sogenannten »Judensau« an der Wittenberger Stadtkirche, der früheren Predigtkirche des Reformators Martin Luther (1483-1546), gehört in Deutschland zu den bekanntesten antisemitischen Darstellungen des Mittelalters

 29.10.2025

Schwielowsee

Shlomo Afanasev ist erster orthodoxer Militärrabbiner für Berlin und Brandenburg

Militärrabbiner gibt es bereits in Deutschland. Nun steigt der erste orthodoxe Rabbiner bei der Bundeswehr in Brandenburg ein

 29.10.2025

Essay

Vorsichtig nach vorn blicken?

Zwei Jahre lang fühlte sich unsere Autorin, als lebte sie in einem Vakuum. Nun fragt sie sich, wie eine Annäherung an Menschen gelingen kann, die ihr fremd geworden sind

von Shelly Meyer  26.10.2025

Stuttgart

Whisky, Workshop, Wirklichkeit

In wenigen Tagen beginnen in der baden-württembergischen Landeshauptstadt die Jüdischen Kulturwochen. Das Programm soll vor allem junge Menschen ansprechen

von Anja Bochtler  26.10.2025

Porträt

Doppeltes Zuhause

Sören Simonsohn hat Alija gemacht – ist aber nach wie vor Basketballtrainer in Berlin

von Matthias Messmer  26.10.2025