Jüdischkeit

Alle Jahre wieder: Bin ich jüdisch genug?

Foto: picture alliance / Zoonar

Die hohen jüdischen Feiertage rücken immer näher: Rosch Hashanah, Yom Kippur, Sukkot und Simchat Torah. Aber bin ich überhaupt jüdisch genug, um die Feiertage zu feiern? Für einige Juden und Jüdinnen, die ohne jüdische Religion oder Tradition aufgewachsen sind, stellt sich diese Frage jedes Jahr aufs Neue.

Laut Zentralrat der Juden sind Stand 2023 genau 90.478 Juden und Jüdinnen in deutschen Gemeinden registriert. Davon stammen ungefähr 90 Prozent aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Im dortigen Kommunismus sollte eine Gleichstellung aller Bürger stattfinden, sodass religiöse Inhalte verboten und Reliquien zerstört wurden. So wurde das Judentum in vielen Familien verheimlicht und nicht weiter ausgelebt.

Auch abseits der post-sowjetischen, jüdischen Geschichte sind viele Juden und Jüdinnen ohne Wissen über die jüdische Religion und Tradition aufgewachsen. Irgendwie ist dies auch verständlich, da vergangene sowie gegenwärtige Zeiten von Antisemitismus geprägt sind und waren. Nun sind sie aber hier, die Nachkommen derjenigen, die dazu gezwungen wurden, ihre jüdische Tradition zu verstecken oder abzulegen.

Allererstes Schabbat-Dinner

Dank der zahlreichen Jugendprogramme der ZWST und des Zentralrats, hatten viele von ihnen erste Berührungspunkte mit dem Judentum in jüdischen Ferienlagern und Jugendzentren. Nostalgisch erzählen sie von Bad Sobernheim, einem legendären Ort, der mit so vielen Erinnerungen für sie verbunden ist.

Es gibt aber auch Juden und Jüdinnen, die nie auf jüdischen Ferienlagern oder in Bad Sobernheim waren. Denn manche entdeckten ihre jüdischen Wurzeln erst viel später und hatten gar keine Ahnung von den Jugendprogrammen. Bei jüdischen Events, in denen religiöse Rituale durchgeführt werden, kann es vorkommen, dass sich diese Juden und Jüdinnen wie Hochstapler fühlen, die überhaupt nicht dazugehören.

Wie wäscht man sich korrekt die Hände mit dem Waschbecher? Warum hat der Waschbecher zwei Henkel? Warum ist das Lied nach dem Essen so lang, und warum können alle das scheinbar auswendig, mit lustiger Choreografie dazu? Vielleicht bewege ich einfach meine Lippen, und es merkt niemand, dass ich überhaupt keine Ahnung habe, was hier gerade vor sich geht. Das waren nur einige meiner Gedanken bei meinem allerersten Schabbat-Dinner.

Angst vor Fettnäpfchen

Da ich fern von jüdischer Religion aufwuchs, gab es viele Dinge, die ich nicht verstand. Getraut zu fragen, habe ich mich aber auch nicht. Wegen meines ständigen »Impostersyndroms« war es mir unangenehm, Fragen zu stellen. Denn ich hatte das Gefühl, einen Teil meiner Wurzeln nicht für mich beanspruchen zu dürfen. Aber ich erinnere mich noch genau daran, wie ungebildet ich mich gefühlt habe.

Aus Angst, ins Fettnäpfchen zu treten, bleiben Fragen unbeantwortet, aber vor allem ungefragt. Und die Frage, ob man überhaupt jüdisch genug ist, um die Feiertage zu feiern oder jüdische Events zu besuchen, bleibt. Seit einigen Jahren lebe ich bewusst jüdisch, mit allen Feiertagen und Traditionen. Sie bereichern mein Leben, denn für mich bedeutet Judentum, niemals aufzuhören zu lernen.

Auf die Gelegenheit, einmal nach Bad Sobernheim zu fahren, um an einem jüdischen Event teilzunehmen, warte ich zwar immer noch, aber was ich in dieser Zeit besonders für mich gelernt habe: Feiertage und Schabbat bedeuten Gemeinschaft.

Festliche Stimmung

Hinter jedem Feiertag steckt eine Geschichte, und natürlich gibt es auch immer einen Anlass für gutes Essen und festliche Stimmung. Und dann heißt es: »Le’Chaim!« – Auf das Leben! Und bis zum nächsten Festtag,
denn der kommt spätestens in einer Woche.

Abschließend bleibt nur zu sagen: Jüdisches Leben feiern und Jahrtausende alte Traditionen neu aufleben lassen ist für alle!
Auch für diejenigen, die nicht von klein auf damit vertraut sind.

Dieser Text ist zuerst bei »Eda« erschienen, dem Magazin der Jüdischen Studierendenunion Deutschland. Mehr Informationen finden Sie auf der Website oder dem Instagram-Kanal von »Eda«.

Sachsen-Anhalt

Judenfeindliche Skulptur in Calbe künstlerisch eingefriedet

Die Kunstinstallation überdeckt die Schmähfigur nicht komplett. Damit soll die Einfriedung auch symbolisch dafür stehen, die Geschichte und den immer wieder aufbrechenden Antisemitismus nicht zu leugnen

 19.11.2025

Berlin

450 Einsatzkräfte schützen jüdische Einrichtungen

Zudem seien im laufenden Jahr zwei Millionen Euro in bauliche Sicherheitsleistungen für jüdische Einrichtungen investiert worden sowie 1,5 Millionen Euro in mobile Sicherheitsleistungen für jüdische Gemeindeeinrichtungen

 19.11.2025

Ehrung

»Gräben aufgerissen«

Der Preis Augsburger Friedensfest ehrt Personen, die sich um ein friedvolles Miteinander der Religionen bemühen. Jetzt ging er an Josef Schuster vom Zentralrat der Juden. Er äußert sich bei der Verleihung kritisch

von Christopher Beschnitt  18.11.2025

Leipzig

Henriette Goldschmidt: Feministin der ersten Stunde

Sie wollte Frauen durch Bildung und Erwerbstätigkeit mehr Unabhängigkeit ermöglichen: Henriette Goldschmidt eröffnete in Leipzig die erste »Hochschule für Frauen«. Vor 200 Jahren wurde sie geboren

von Katharina Rögner  17.11.2025

Judenhass

Charlotte Knobloch warnt: Zukunft jüdischen Lebens ungewiss

Die Hintergründe

 16.11.2025

Porträt der Woche

Bühne und Heimweh

Emiliia Kivelevich inszeniert Theater zwischen Kunst, Glaube und Migration

von Christine Schmitt  16.11.2025

Ehrung

Göttinger Friedenspreis für Leon Weintraub und Schulnetzwerk

Zwei Auszeichnungen, ein Ziel: Der Göttinger Friedenspreis geht 2026 an Leon Weintraub und ein Schulprojekt. Beide setzen sich gegen Rassismus und für Verständigung ein

von Michael Althaus  13.11.2025

Israel

Voigt will den Jugendaustausch mit Israel stärken

Es gebe großes Interesse, junge Menschen zusammenzubringen und Freundschaften zu schließen, sagt der thüringische Regierungschef zum Abschluss einer Israel-Reise

von Willi Wild  13.11.2025

Karneval

»Ov krüzz oder quer«

Wie in der NRW-Landesvertretung in Berlin die närrische Jahreszeit eingeleitet wurde

von Sören Kittel  13.11.2025