Neuerscheinung

59-mal Leben

Felix Lipski wird ein Bild in seinem Leben wahrscheinlich nie vergessen. An jenem Tag gab es im Ghetto von Minsk ein Pogrom, es regnete, und als der kleine Felix auf den Hof trat, blickte er auf Leichen, deren Blut das Regenwasser rot färbte. Felix Lipski war damals gerade mal vier Jahre alt. Heute, 71 Jahre später, erzählt er mit aufgeregter Stimme von den Erlebnissen, die ihn geprägt haben, und von einer schrecklichen Kindheit im Ghetto Minsk.

Lipski hat überlebt, kam vor 14 Jahren mit seiner Frau Sophia nach Deutschland und lernte noch mit 61 Jahren Deutsch. Er ist ein Zeitzeuge, der selbst berichten kann. Die Studentinnen Anja Reuss und Kristin Schneider haben ein Buch über die Lebensgeschichten von deportierten Berliner Jüdinnen und Juden herausgegeben, die nicht erzählen können.

In Berlin–Minsk. Unvergessene Lebensgeschichten haben sie gemeinsam mit 20 anderen Studenten der Berliner Humboldt-Universität 59 biografische Texte von 127 Menschen recherchiert. Am Montagabend ist das Buch im Centrum Judaicum vorgestellt worden. »Es ist ein bedeutendes Werk«, sagte Hermann Simon, Direktor des Centrums, zur Einführung. Bedeutend deswegen, weil es vergessene Lebensgeschichten unvergessen mache.

Kindertransport Wie die der Familie Flanter/Waldo aus Berlin-Charlottenburg, die seit vielen Jahren im Buchhandel tätig war. Sie waren finanziell abgesichert und wollten Deutschland verlassen. Doch allein der 13-jährigen Tochter Susanne Miriam gelang es, mit einem Kindertransport – für den sie sich ohne das Wissen ihrere Mutter freiwillig gemeldet hatte – nach England zu fliehen. Ihre Eltern Wilhelm und Erna Flanter wurden am 14. November 1941 nach Minsk deportiert. Sie waren zwei von rund 1000 Berliner Juden. Ende Juni 1942 wurden weitere 200 Menschen deportiert und vermutlich in Maly Trostines, einem Vernichtungslager nahe Minsk, ermordet.

»Wir wollten diesen Menschen ihre Lebensgeschichte zurückgeben«, sagt Kristina Schneider über ihr Projekt, das eigentlich 2010 mit einer Ausstellung schon abgeschlossen schien. Doch die 30-jährige Politikstudentin wollte noch mehr daraus machen und fing an, mit ihrer Kommilitonin Anja Reuss, das Projekt Berlin–Minsk zu bearbeiten. »Manchmal hatten wir wenige Anhaltspunkte über die Personen, deren Leben wir aufschreiben wollten«, sagt Schneider, die für ihre Biografie über Else Kalischer bis nach England gereist ist.

»Ich habe mich mit dem Sohn von Else Kalischer getroffen und habe mit ihm über seine Mutter gesprochen.« Eine berührende Reise. Auch im Nachhinein, denn im Dezember 2011 starb Thomas im Alter von 88 Jahren. Er hat die wenigen Erinnerungen an seine Mutter wiederum an seine Kinder weitergegeben.

Berlin–Minsk wird durch das gleichnamige Online-Projekt ergänzt. Dort können neben den Biografien auch geschichtliche Fakten nachgelesen werden. Auf einem interaktiven Stadtplan sind zudem die genauen Wohnorte der Berliner Jüdinnen und Juden eingetragen. Zwei Hörbeispiele erzählen über die Deportationen.

Anja Reuss und Kristin Schneider (Hrsg.): Berlin–Minsk. Unvergessene Lebensgeschichten. Ein Gedenkbuch für die nach Minsk deportierten Berliner Jüdinnen und Juden, 496 S., 24 €

www.berlin-minsk.de

KZ-Befreiungen

Schüler schreibt über einzige Überlebende einer jüdischen Familie

Der 18-jährige Luke Schaaf schreibt ein Buch über das Schicksal einer Jüdin aus seiner Heimatregion unter dem NS-Terrorregime. Der Schüler will zeigen, »was Hass und Hetze anrichten können«

von Stefanie Walter  29.04.2025

Schweiz

Junger Mann wegen geplanten Anschlags auf Synagoge Halle verhaftet

Die Anschlagspläne soll er laut Staatsanwaltschaft zwischen Juli 2024 und Februar 2025 wiederholt in einer Telegram-Chatgruppe angekündigt haben

 29.04.2025

Berlin

Bebelplatz wird wieder zum »Platz der Hamas-Geiseln«

Das Gedenkprojekt »Platz der Hamas-Geiseln« soll laut DIG die Erinnerung an die 40 in Geiselhaft getöteten Israelis und an die 59 noch verschleppten Geiseln wachhalten

 28.04.2025

Berlin

Jüdische Gemeinde erinnert an Warschauer Ghetto-Aufstand

Zum Abschluss der Namenslesung vor dem Jüdischen Gemeindehaus in der Berliner Fasanenstraße ist für den Abend ein Gedenken mit Totengebet und Kranzniederlegung geplant

 28.04.2025

Düsseldorf

Erinnerungen auf der Theaterbühne

»Blindekuh mit dem Tod« am Schauspielhaus stellt auch das Schicksal des Zeitzeugen Herbert Rubinstein vor

von Annette Kanis  27.04.2025

Hanau

Jüdische Gemeinde feiert Jubiläum

»Im Grunde genommen ist es mit das Größte und Schönste, was eine Gemeinde machen kann: eine neue Torarolle nach Hause zu bringen«, sagt Gemeinde-Geschäftsführer Oliver Dainow

 25.04.2025

Begegnung

Raum für das Unvergessene

Jede Woche treffen sich Schoa-Überlebende im Münchner »Café Zelig«, um Gemeinschaft zu finden im Schatten der Geschichte. Ein Ortsbesuch

von Katrin Diehl  23.04.2025

Interview

»Das Gedenken für Jugendliche greifbar machen«

Kurator Pascal Johanssen zur neuen Ausstellung im ehemaligen Jüdischen Waisenhaus in Pankow

von Gerhard Haase-Hindenberg  21.04.2025

Porträt der Woche

Austausch mit Gleichen

Maria Schubert ist Gemeindesekretärin in Magdeburg und tanzt gern

von Alicia Rust  18.04.2025