Dokumentation

400 Jahre Geschichte

Lesenswertes Nachschlagewerk Foto: böhlau

Die Witwe des Schutzjuden Meyer Zaudy aus Xanten sieht ihre Existenzgrundlage gefährdet: 1779 schreibt sie einen Brief an den preußischen König Friedrich II. mit der Bitte, ihr die Abnahme des sogenannten Judenporzellans zu erlassen. Jüdische Untertanen wurden zu dieser Zeit gezwungen, Porzellan aus der Königlichen Manufaktur zu erwerben und ins Ausland zu verkaufen.

Genau zehn Jahre später bricht die Französische Revolution aus und verändert auch das Leben der Juden im Deutschen Reich grundlegend: Der Aufstieg zu gleichgestellten Bürgern beginnt. So berichten zwei Abgesandte des Kölner Magistrats 1797 von der Niederlegung der Tore des jüdischen Ghettos in Bonn, wodurch »den Juden zu erkennen gegeben worden, daß sie von nun an in die allen anderen Menschen zukommenden Rechte wieder eingesetzt wären«.

Rund 150 Jahre später schreibt die 16-jährige Jüdin Selma Krieger aus Essen einen Brief an ihre Freundinnen, denen die Auswanderung nach England geglückt war. Sie erzählt von der bedrohlichen Lage, von Perspektivlosigkeit und wachsender Einsamkeit.

handelnde personen Mit der Lektüre des Quellenbandes Jüdische Lebenswelten im Rheinland durchmisst man rund 400 Jahre deutsch-jüdische Geschichte. Der Bogen spannt sich von der »Kurkölnischen Judenordnung« von 1599 bis zu einem Interview aus dem Jahre 2009 mit einem jungen Zuwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion.

Die sorgfältig ausgewählten und kommentierten Quellen lassen die rheinischen Juden der großen Städte ebenso wie der kleinen Landgemeinden selbst zu Wort kommen. Sie treten vor allem als handelnde Subjekte, nicht als Objekte von Herrschafts- und Behördenhandeln in Erscheinung, wie die Herausgeberin Elfie Pracht-Jörns betont. Neben Dokumenten aus der Sphäre von Herrschaft und Verwaltung beleuchten die Texte schlaglichtartig den Alltag, das Gemeindeleben, aber auch das christlich-jüdische Miteinander.

Die Quellen zur NS-Herrschaft zeichnen die zunehmende Entrechtung, Verfolgung und Vernichtung nach. Doch weder hier noch in dem Kapitel zur Nachkriegszeit sehen wir die Juden im Rheinland nur als Verfolgte und Opfer, sondern immer auch als Menschen, die sich zu behaupten suchten.

Der 85 Quellen umfassende Band ist als »Lesebuch« konzipiert. Er richtet sich vor allem an interessierte Laien, an Schüler und Lehrer. Jeder Quelle geht eine gut lesbare kurze Einleitung voraus, die den historischen Zusammenhang erläutert. Knappe Sachkommentare in den Fußnoten erklären einzelne Begriffe und Namen. Eine Karte, die rheinische jüdische Gemeinden vom frühen 19. bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts aufführt, rundet das Buch ab.

Elfie Pracht-Jörns (Hrsg.): Jüdische Lebenswelten im Rheinland. Kommentierte Quellen von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart. Landschaftsverband Rheinland, Böhlau-Verlag, 404 S., 29,90 €

Berlin

Unter die Haut

Der Künstler Gabriel Wolff malt, formt und tätowiert »jüdische Identität

von Alicia Rust  15.06.2025

Porträt der Woche

Zwischen den Welten

Ruth Peiser aus Berlin war Goldschmiedin, arbeitete bei einer Airline und jobbt nun in einer Boutique

von Gerhard Haase-Hindenberg  15.06.2025

Berlin

»Drastisch und unverhältnismäßig«

Die Jüdische Gemeinde erhöht die Gebühren ab September deutlich. Betroffene Eltern wehren sich mit einer Petition

von Christine Schmitt  12.06.2025

Hamburg

Kafka trifft auf die Realität in Tel Aviv

Ob Krimi, Drama oder Doku – die fünften Jüdischen Filmtage beleuchten hochaktuelle Themen

von Helmut Kuhn  12.06.2025

Weimar

Yiddish Summer blickt auf 25 Jahre Kulturvermittlung zurück

Zwischen dem 12. Juli und 17. August biete die internationale Sommerschule für jiddische Musik, Sprache und Kultur in Weimar diesmal insgesamt über 100 Programmbausteine an

von Matthias Thüsing  11.06.2025

Sachsen

Verdienstorden für Leipziger Küf Kaufmann

Seit vielen Jahren setze er sich für den interreligiösen Dialog und den interkulturellen Austausch von Menschen unterschiedlicher Herkunft ein

 11.06.2025

Oldenburg

Brandanschlag auf Synagoge: Beschuldigter bittet um Entschuldigung

Am 5. April 2024 war ein Brandsatz gegen die massive Tür des jüdischen Gebetshauses in der Leo-Trepp-Straße geworfen worden

 11.06.2025

Erinnerung

731 Schulen erinnern an Anne Frank

Der Aktionstag findet seit 2017 jährlich am 12. Juni, dem Geburtstag des Holocaust-Opfers Anne Frank (1929-1945), statt

 11.06.2025

Grand Schabbaton

Eine 260-köpfige Familie

In Potsdam brachte der»Bund traditioneller Juden« mehrere Generationen zusammen

von Mascha Malburg  11.06.2025