Geschichte

Wie Regina Jonas die erste Rabbinerin wurde

Regina Jonas war die erste ordinierte Rabbinerin.

Seit 1924 war Regina Jonas als ordentliche Hörerin an der Berliner Hochschule für die Wissenschaft des Judentums eingeschrieben. Sie war nicht die einzige, aber eine der ersten Frauen, die sich hier jüdisches Wissen aneignen und auch in einen Berufsabschluss umsetzen wollten. Ende der 20er-Jahre waren etwa ein Fünftel der Studierenden an der Hochschule Frauen. Damit gehörten sie einerseits zu der emanzipatorischen Alterskohorte, die das erst seit der Weimarer Republik gebotene Recht auf ein Studium an Universitäten ergriff.

Andererseits waren diese Frauen Teil einer Bewegung des jüdischen Lernens, für die beispielhaft die Namen Martin Buber, Franz Rosenzweig und Jüdisches Lehrhaus stehen. An der Hochschule wurden intensive Diskussionen um Ausbildungsprofile und Studienabschlüsse geführt, denn das Examen zielte bislang einzig auf den Beruf eines Rabbiners.

Um dem Wandel dieses Berufsbilds Rechnung zu tragen, wurde zusätzlich zu den klassischen Fächern von Talmud und Halacha auf eine umfassende Ausbildung in Pädagogik, Homiletik, Seelsorge und Sozialarbeit Wert gelegt. Die Abnahme der Rabbinatsprüfung und die Verleihung dieses Titels blieb jedoch das ausschließliche Vorrecht des Professors für Talmudwissenschaft, also von Rabbiner Eduard Baneth, der diesen Lehrstuhl bereits seit 1895 innehatte.

Mit ihrer unbeirrt vorgetragenen Absicht, Rabbinerin werden zu wollen, forderte Regina Jonas ihre Umgebung heraus. Zugleich aber löste diese junge Frau, die sich mit Fleiß und großer Wissbegierde das rabbinische Lernen zu eigen machte, bei ihren Dozenten Freude und Anerkennung aus. Baneth hegte für Regina Jonas, wie er ihr selbst einmal schrieb, »Hochachtung und Wertschätzung«. Er gab ihr den Auftrag, an einer Klärung mitzuwirken, indem er ihr für die halachische Abschlussarbeit, obligatorisch für Rabbinatskandidaten, die Fragestellung »Kann die Frau das rabbinische Amt bekleiden?« aufgab.

Abschlussarbeit an der Berliner Hochschule für die Wissenschaft des Judentums

Am 24. Juni 1930 hatte Regina Jonas ihre Arbeit fertiggestellt, am 22. Juli 1930 bestand sie erfolgreich »die mündliche Schlussprüfung vor dem (…) Lehrerkollegium«: bei Leo Baeck in Religionsgeschichte und Pädagogik, bei Julius Guttmann in Religionsphilosophie, bei Ismar Elbogen in Jüdischer Geschichte und Literatur, und eben bei Eduard Baneth in Talmudischer Wissenschaft. Die Abschlussarbeit war von ihm noch mit »Gut« bewertet worden, aber als er 14 Tage später verstarb, stand das abschließende Rabbinatsexamen noch aus.

Bei der Trauerfeier würdigte sein Nachfolger auf dem Lehrstuhl für Talmudwissenschaft, Rabbiner Chanoch Albeck, dass Baneths Wirken »von selbständigem, an keine Parteischablone gebundenem Denken« geprägt gewesen sei. Albeck selbst jedoch weigerte sich, Regina Jonas zur Rabbinatsprüfung zuzulassen: »Er, der nicht dem liberalen Judentum angehörte, wolle nicht der erste sein, der eine Frau ordiniere«, so sein Sohn später.

Rabbiner Chanoch Albeck weigerte sich, Regina Jonas zur Prüfung zuzulassen: »Er, der nicht dem liberalen Judentum angehörte, wolle nicht der erste sein, der eine Frau ordiniere«, so sein Sohn später.

Obwohl Jonas in Baeck und Elbogen starke Fürsprecher auf ihrer Seite hatte, war gegen das Votum des Talmudprofessors nichts auszurichten. Über die Absolventen des Jahres 1930 hieß es im Jahresbericht der Hochschule: »Fräulein Dr. Ellen Littmann und Regina Jonas bestanden die Prüfung als akademische Religionslehrerinnen; beide sind bei der Jüdischen Gemeinde in Berlin angestellt.«

Das war zwar nicht der von Regina Jonas erhoffte Abschluss, aber auch hier waren Ellen Littmann und sie Pionierinnen. Erst kurz zuvor, ebenfalls im Jahr 1930, hatte das Preußische Bildungsministerium der Hochschule die Befugnis erteilt, wissenschaftliche Prüfungen in jüdischer Religion für das Lehramt an Höheren Schulen vorzunehmen.

Momentan schien die Chance auf den Rabbinertitel der Hochschule vertan, doch offenbar wollten auch nicht alle Professoren sich damit abfinden. Insbesondere Baeck und Elbogen unterstützten Regina Jonas und hielten Ausschau nach anderen Wegen, ihr Berufsziel zu verwirklichen.

Zunächst ging es darum, nachzuweisen, dass Regina Jonas zusätzlich zu ihrem Abschluss als akademische Religionslehrerin sämtliche Studieninhalte des Rabbinatsstudiums absolviert hatte. Im Dezember 1930 nahm ihr Professor Harry Torcyner noch die Prüfung in Hebräischer Sprache und Bibelwissenschaft ab. Theorie und Praxis des Predigens standen jedoch noch aus, und so nahm sie im Wintersemester 1930/31 am Homiletik-Seminar Leo Baecks teil. Am 12. Mai 1931 attestiert er ihr:

»Es wird noch besonders bescheinigt, dass Fräulein Regina Jonas an den homiletischen Übungen mit bestem Erfolge teilgenommen und in einer Reihe von Übungspredigten, die einen stetigen Fortschritt zeigten, sich als denkende und gewandte Predigerin erwiesen hat«.

Zeitfenster für die Rabbinatsprüfung

Ein Zeitfenster für eine Rabbinatsprüfung öffnete sich viereinhalb Jahre später, als Chanoch Albeck einen Ruf an die Hebräische Universität Jerusalem erhielt. Im Sommer 1935 wurde er von der Hochschule beurlaubt, erst ein Jahr später wurde Rabbiner Alexander Guttmann als sein Nachfolger auf den Lehrstuhl für Talmud berufen. Die Vakanz des Talmudprofessors an der Hochschule erlaubte es zwar nicht, dass andere Mitglieder des Lehrerkollegiums Rabbinatsautorisationen erteilen. Aber Baeck und Elbogen wandten sich kurz nach Albecks Abreise an den Offenbacher Rabbiner Max Dienemann (1875–1939), der sowohl im Vorstand des Allgemeinen Rabbinerverbandes als auch als Sekretär der Vereinigung der liberalen Rabbiner Deutschlands tätig war.

Es ist anzunehmen, dass innerhalb des Rabbinerverbandes intensiv darüber nachgedacht wurde, wie der »Fall Jonas« zu lösen sei. Es ging dabei nicht allein um ihre Person, sondern auch um die grundsätzliche Frage, ob die traditionelle Formel der Autorisation: »Joreh joreh, jadin jadin« für einen religionsgesetzlichen Gelehrten und Richter noch das moderne Berufsbild eines Rabbiners widerspiegele.

Um diese Diskussion voranzutreiben, hatte Dienemann 1933 in der Zweimonatsschrift »Der Morgen« den Artikel »Der Rabbiner« veröffentlicht. Darin beschrieb er die veränderten Anforderungen an das Berufsbild: Wenn auch die Rechtsprechung zu einem geringen Teil noch zum Profil eines Rabbiners gehöre, seien doch inzwischen andere Tätigkeitsfelder in den Vordergrund getreten. Die Aufgaben als Prediger, Seelsorger, Lehrer und Forscher, die zwar schon immer zum Berufsbild eines Rabbiners gehörten, hätten unter gewandelten gesellschaftlichen Umständen eine viel größere Bedeutung erlangt.

Seit dem Spätsommer 1935 stimmte sich Dienemann mit Regina Jonas brieflich über Ablauf, Ort und Termin der mündlichen Prüfung ab. Wie sie später in einem Brief an Martin Buber mitteilte, hatte sie sich »aus Liebe zu Talmud, Halacha und meinem Beruf auf alle 110 Simanim« vorbereitet. Das Pensum von 110 Paragrafen aus dem »Schulchan Aruch« einschließlich der entsprechenden Talmudstellen und Kommentare bildete den Umfang der mündlichen Talmud-Prüfung für das Rabbinatsexamen an der Hochschule.

Am Donnerstag, den 26. Dezember 1935 / 30. Kislev 5696, inmitten des Chanukkafestes, war es dann so weit: Dienemann unterzog Regina Jonas in Offenbach einer »fast vierstündigen Prüfung«. Am Folgetag stellte er ihr das Rabbinatsdiplom in hebräischer Sprache aus.  In der von Regina Jonas 1941 angefertigten Übersetzung der Urkunde heißt es:  

»Da ich erkannt habe, dass ihr Herz mit G’tt und Israel ist, und dass sie ihre Seele für das Ziel, das sie sich gesetzt hat, hingibt, und dass sie gottesfürchtig ist, und da sie die Prüfung bestanden hat, die ich ihr in religionsgesetzlichen Gegenständen abgenommen habe, bezeuge ich ihr, dass sie fähig ist, Fragen des Religionsgesetzes (der Halacha) zu beantworten, und dass sie dazu geeignet ist, das rabbinische Amt zu bekleiden.«  

Am Schabbat des 17./18. Januar 1936 amtierte Regina Jonas erstmals als Rabbinerin im Altersheim der Berliner Gemeinde in der Iranischen Straße.

Schon drei Wochen später, am Schabbat des 17./18. Januar 1936, amtierte Regina Jonas erstmals als Rabbinerin im Altersheim der Berliner Gemeinde in der Iranischen Straße. Einwände wurden laut: Dies sei lediglich eine private Aktion Dienemanns gewesen; nach einem Beschluss des Allgemeinen Rabbiner-Verbandes in Deutschland müsse die Rabbiner-Prüfung vor einem Kollegium von drei Rabbinern abgelegt werden. Dienemann entgegnete, das gelte nur, »wenn der Kandidat nicht auf einer der Anstalten seine Abschlussprüfung macht«. Jonas aber hätte alle notwendigen Prüfungen bereits an der Hochschule abgelegt; es fehlte nur noch die talmudische Prüfung, und die habe er nun nachgeholt.

In der Tat hatte Leo Baeck diesen Ausweg für Regina Jonas’ Rabbinatsautorisation genau so angelegt: Das an der Berliner Hochschule absolvierte Studium war nachgewiesen. Lediglich beim Problem der einzig fehlenden talmudischen Prüfung sollte Dienemann an Stelle der vakanten Talmudprofessur aushelfen. Dienemann versuchte, Jonas zu beruhigen: »Eine erteilte התרה («Hattarah» = Rabbinatsautorisation) kann niemand für ungültig erklären, sie bleibt in Kraft.« Während sie auf eine Anerkennung ihres Diploms drängte, mahnte er zur Geduld:  

»Gehen Sie ruhig Ihren Weg, der Vorstand der Gemeinde wird Sie schrittweise fördern; eine Eiche fällt nicht auf den ersten Hieb. Das ist alles, was ich Ihnen sagen kann, nur Klugheit und Geduld hilft.«  

So war es dann auch: Zunehmend erschlossen sich ihr weitere Wirkungsfelder: in den Altersheimen, im Jüdischen Krankenhaus, später als »Wanderrabbinerin« im Auftrag der Reichsvereinigung und bis zum Oktober 1942, parallel zur Zwangsarbeit in einer Fabrik, in Gottesdiensten in ganz Berlin.

Im Februar 1942 beglaubigte Baeck nochmals alle im Rahmen der Hochschule erlangten Abschlüsse: Das Religionslehrerexamen, das Homiletische Seminar und das Rabbinerdiplom. So sehr Regina Jonas’ Rabbinatsautorisation Ergebnis ihres persönlichen Kampfes und ihrer Kompetenz war, ist sie zugleich ein Ausdruck der Reformkraft des liberalen Judentums in Deutschland vor der Schoa.

Die Autorin ist Rabbinerin, Historikerin und Wissenschaftliche
Mitarbeiterin des Regina Jonas Seminars für liberale (Reform-) Rabbinerausbildung.

Rabbinerin Ulrike Offenberg und der Theologe Martin Heimbucher sprechen am 3. Dezember in der Nathan Peter Levinson Stiftung in der Universität Potsdam. Das Gespräch moderiert Rabbinerin Elisa Klapheck, Vorsitzende der Allgemeinen Rabbinerkonferenz (ARK).

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