Talmudisches

Wenn sich Träume verwirklichen

Rabba bar Josef bar Chama träumte von zwei Rübenköpfen. Foto: Getty Images/iStockphoto

Ob Sigmund Freud wohl den Talmud studiert hat? Der große Psychoanalytiker meinte einmal, er behandle und erforsche den Traum wie einen »heiligen Text«. Daraus können wir schließen, dass das rabbinisch-talmudische Judentum auf Freud wahrscheinlich einen gewissen Einfluss hatte.

Visionen Die jüdischen Gelehrten brachten Träumen ein großes Interesse entgegen. Der Talmud beschreibt ganz unterschiedliche Träume, wie Visionen von Orten, Tätigkeiten, Tieren oder Früchten, und offenbart uns ihre Bedeutung (Berachot 55b–58a).

Im Judentum gibt es eine beträchtliche Menge an Literatur über Träume. Im jüdischen Denken können Träume nicht nur eine bestimmte Bedeutung haben, sondern sogar wichtige Nachrichten an die Träumenden enthalten.

Im Talmud Berachot 56b lesen wir von Rabbi Jischmael ben Josse. Er lebte Anfang des dritten Jahrhunderts und war für sein großes Wissen berühmt. Man sagte über ihn, dass er die gesamte Bibel allein aus der Erinnerung aufschreiben könnte.

Eines Tages kam ein Mann zu ihm und erzählte: »Heute morgen bin ich aufgewacht und war ganz durcheinander von einem Traum, den ich hatte. Ich habe gehört, dass du ein großer Traumdeuter bist, und so habe ich mich auf den langen Weg zu dir gemacht.«

»Erzähl mir deinen Traum«, sagte Rabbi Jischmael, und der Mann begann zu erzählen: »Mir wurde im Traum gesagt, dass mir mein Vater in Kappadokien Schätze hinterlassen hat.« Der weise Mann fragte sofort: »Besitzt du Güter in Kappadokien?« Der Fremde erwiderte: »Nein!« Der Rabbi fragte weiter: »Ist denn dein Vater jemals in Kappadokien gewesen?« Der Mann dachte kurz nach und sagte: «Nein, das wüsste ich.« Jischmael ben Josse sinnierte einen Augenblick und sprach dann: »Wenn dem so ist, dass weder du noch dein Vater jemals dort waren, dann muss der Traum so gedeutet werden: Das Wort ›Kappa‹ bedeutet im Griechischen ›Balken‹, und ›Deka‹ heißt ›zehn‹.«

In diesem Zusammenhang muss man erwähnen, dass griechische und lateinische Wörter in lautgetreuer Umschrift oder auch abgewandelt im talmudischen Sprachschatz häufig zu finden sind.

Der Rabbi setzte fort: »Untersuche also den vordersten der zehn Balken deines Hauses, und du wirst Münzen finden.«

Neugierig geworden, hastete der Mann voller Erwartung den langen Weg nach Hause und tat, wie ihm der Weise gesagt hatte. Er untersuchte den Balken – und Goldmünzen fielen ihm entgegen. So erwies es sich, dass der Balken tatsächlich mit Gold gefüllt war, genau wie es der Rabbi gedeutet hatte.

Rübenköpfe Eine andere bekannte Traumgeschichte aus dem Talmud (Berachot 56b) erzählt von Rabba bar Josef bar Chama, einem der bedeutendsten Gelehrten seiner Zeit. Er lebte um das Jahr 270 n.d.Z. in Babylonien. Eines Nachts sah er im Traum zwei Rübenköpfe. Da er den Traum nicht deuten konnte, suchte er einen Traumdeuter auf.

»Zwei Rübenköpfe, das bedeutet, dass du zwei Schläge mit einem Knüppel erhältst.« Rabba war ganz verwirrt und beschloss, ins Lehrhaus zu gehen und auf andere Gedanken zu kommen. Als er eintrat, stieß er auf zwei blinde Männer, die miteinander rauften. Er versuchte, sie zu trennen, und da sie ihn nicht sehen konnten, versetzten sie ihm zwei Hiebe. Als sie noch weiter auf ihn einschlagen wollten, rief er: »Haltet ein! Ich habe im Traum nicht mehr als zwei Rüben gesehen!«

Unsere Weisen machen im Talmud Berachot 55b eine bemerkenswerte Aussage zu Träumen und ihrer Interpretation, nämlich, dass sich »Träume, je nachdem, wie sie ausgelegt werden, erfüllen können«. Das bedeutet, dass der Traumdeuter eine Schlüsselfunktion bei der Realisierung eines Traums besitzt: Seine Analyse interpretiert den Traum positiv oder negativ und bestimmt den weiteren Verlauf in der Realität.

Bereschit

Die Freiheit der Schöpfung

G’tt hat für uns die Welt erschaffen. Wir haben dadurch die Möglichkeit, sie zu verbessern

von Rabbiner Avichai Apel  17.10.2025

Talmudisches

Von Schuppen und Flossen

Was unsere Weisen über koschere Fische lehren

von Detlef David Kauschke  17.10.2025

Bracha

Ein Spruch für den König

Als der niederländische Monarch kürzlich die Amsterdamer Synagoge besuchte, musste sich unser Autor entscheiden: Sollte er als Rabbiner den uralten Segen auf einen Herrscher sprechen – oder nicht?

von Rabbiner Raphael Evers  17.10.2025

Mussar-Bewegung

Selbstdisziplin aus Litauen

Ein neues Buch veranschaulicht, wie die Lehren von Rabbiner Israel Salanter die Schoa überlebten

von Yizhak Ahren  17.10.2025

Michael Fichmann

Essay

Halt in einer haltlosen Zeit

Wenn die Welt wankt und alte Sicherheiten zerbrechen, sind es unsere Geschichte, unsere Gebete und unsere Gemeinschaft, die uns Halt geben

von Michael Fichmann  16.10.2025

Sukka

Gleich gʼttlich, gleich würdig

Warum nach dem Talmud Frauen in der Laubhütte sitzen und Segen sprechen dürfen, es aber nicht müssen

von Yizhak Ahren  06.10.2025

Chol Hamo’ed Sukkot

Dankbarkeit ohne Illusionen

Wir wissen, dass nichts von Dauer ist. Genau darin liegt die Kraft, alles zu feiern

von Rabbiner Joel Berger  06.10.2025

Tradition

Geborgen unter den Sternen

Mit dem Bau einer Sukka machen wir uns als Juden sichtbar. Umso wichtiger ist es, dass wir unseren Nachbarn erklären können, was uns die Laubhütte bedeutet

von Chajm Guski  06.10.2025

Sukkot

Fest des Vertrauens

Die Geschichte des Laubhüttenfestes zeigt, dass wir auf unserem ungewissen Weg Zuversicht brauchen

von Rabbinerin Yael Deusel  06.10.2025