Chanukka

Waffen und Wunder

»Judas, der Makkabäer, besiegt die Feinde und reinigt den Tempel«: Holzschnitt, spätere Kolorierung, 1860 Foto: dpa

Was ist (der Grund für) Chanukka?», fragt der Babylonische Talmud (Schabbat 21b). Die Antwort lautet: Nachdem die Juden den durch «die Griechen» entweihten Tempel zurückerobert hatten, war das ganze Öl, das sie für das Anzünden der Menorakerzen brauchten, durch die Heiden verunreinigt. Alles, was die jüdischen Kämpfer fanden, war ein kleiner Krug mit reinem Öl, genug für einen Tag. Doch dann geschah ein Wunder, und das Öl brannte acht Tage lang.

Die talmudische Geschichte stammt aus einer viel späteren Zeit als das Fest, das sie vorgibt zu erklären. Sie fährt dann fort und diskutiert die verschiedenen Anschauungen der Schammai und der Hillel zur Frage der Chanukkaleuchter, was darauf hindeutet, dass die Leuchter als Teil der Feierlichkeiten bereits am Ende dieser Epoche angezündet wurden. Doch keine Quelle aus der Zeit des Zweiten Tempels erwähnt Leuchter – im Johannes-Evangelium heißt das Fest «Tempelweihfest» (10,22). Josephus (Jüdische Altertümer 12,325) nennt es «Fest der Lichter» und erklärt den Namen «aus der Tatsache, dass uns das Recht zum Gottesdienst zu einer Zeit erschien, als wir kaum darauf zu hoffen wagten».

quellen Was also sind die wahren Gründe für Chanukka? Um diese Frage zu beantworten, werden wir zunächst die ältesten historischen Quellen diskutieren, die sich mit dieser Frage befassen; danach den historischen Hintergrund für die dem Fest zugrunde liegenden Ereignisse beleuchten; und am Schluss eine Vermutung äußern, warum sich die Rabbiner die Geschichte vom Ölkrug ausdachten.

Chanukka, «(Wieder-)Einweihung», ist das einzige große jüdische Fest, das nicht in der hebräischen Bibel erwähnt wird. Der Grund ist einfach – alle Bücher des Tanachs waren bereits geschrieben, bevor das Ereignis stattfand. Das jüngste Buch, Daniel, war ein Jahr davor abgeschlossen worden. Die Ereignisse, welche die Einführung von Chanukka begründeten, werden im ersten und zweiten Buch der Makkabäer geschildert, verfasst im zweiten Jahrhundert unserer Zeitrechnung: 1. Makkabäer auf Hebräisch und 2. Makkabäer auf Griechisch, das heißt, in der Sprache der Juden, die in der westlichen Diaspora lebten.

übersetzung Das hebräische Original von 1. Makkabäer ging im ersten Jahrtausend unserer Zeitrechnung verloren, doch eine griechische Übersetzung davon blieb erhalten. Es ist das Werk eines Anhängers der hasmonäischen Dynastie. Das zweite Buch ist die Bearbeitung eines größeren Werks und wurde auf Griechisch verfasst. Der Stil des ersten Buchs der Makkabäer ahmt die Bücher Samuel und Könige nach, da dem Verfasser daran gelegen war, die Großtaten der Hasmonäer als Teil der heiligen Geschichte des auserwählten Volkes darzustellen. Das zweite Makkabäerbuch ist eher hellenistisch. Jedoch sind beide Bücher jüdisch in ihren Anschauungen, in der Theologie und der Interpretation der Geschichte. In seiner endgültigen Fassung ist das zweite Makkabäerbuch ein Pamphlet, das die Juden Ägyptens ermahnt, Chanukka gemeinsam mit den Juden in Judäa zu feiern. Beide Bücher sind also hasmonäische Propaganda.

Warum also musste der Tempel in Jerusalem (wieder-)eingeweiht werden? Nach den Eroberungen Alexanders des Großen fanden griechisch-orientalische Traditionen Eingang in die jüdische Gesellschaft: Es begann ein Prozess der «Hellenisierung». Nach dem Tod Alexanders war Judäa zunächst ein Teil des Ptolemäischen Reiches, das sein Zentrum in Ägypten hatte. Danach gehörte es zum Seleukidenreich, das von Syrien aus regiert wurde. In diesen Reichen, in denen die griechische Sprache und Kultur gepflegt wurde, herrschten die makedonischen Generäle Alexanders und ihre Nachkommen.

hellenisierung Die Historiker sind sich einig darin, dass spätestens mit dem zweiten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung die meisten Juden in Judäa, insbesondere die Eliten, vollständig unter dem Einfluss der hellenistischen Kultur standen. Die Verfasser von 1. Makkabäer und 2. Makkabäer, denen dieses kulturelle Phänomen verhasst war, beschrieben Juden, die nicht mehr in den Tempel gingen und stattdessen nackt (!) griechischen Sport trieben, als schlecht und gesetzlos.

Einige dieser Juden gingen so weit, dass sie ihre Beschneidung rückgängig machen ließen, um «cool» und wie echte Griechen auszusehen. Für den Autor des zweiten Buchs der Makkabäer bedeuten diese Entwicklungen eine Aufgabe des «Judentums» (2. Makkabäer 2,21). Das Wort Judentum ist hier zum ersten Mal belegt; das abstrakte hebräische Wort «jahadut» taucht erst im elften Jahrhundert unserer Zeitrechnung zum ersten Mal auf.

hohepriester In diesem Zusammenhang bot im Jahr 175 v.d.Z. ein gewisser Jason (dessen hebräischer Namen wahrscheinlich Jeschua, das heißt Jesus, lautete), ein Bruder des Hohepriesters in Jerusalem, dem Seleukidenherrscher Antiochos IV. (Epiphanes) eine große Summe Geld an, damit der ihn zum Hohepriester ernannte. Jason versprach, Jerusalem in eine griechische Polis zu verwandeln, samt allen Institutionen griechischer Bildung und Kultur.

Der König, der dringend Geld brauchte, kam der Bitte nach – und Jason machte die jüdische Hauptstadt in kürzester Zeit zu einer griechischen Stadt. 172 v.d.Z. wurde Jasons Angebot von einem anderen Juden-Griechen namens Menelaus überboten, der eigentlich gar kein Priester war, dem König aber eine viel größere Summe Bestechungsgeld als Gegenleistung für das Hohepriesteramt anbieten konnte. Um an Bares zu kommen, raubte Menelaus den Tempel in Jerusalem aus – was zum Aufruhr des nach der Tradition lebenden Teils der Juden führte.

versklavung In der Folge ließ Antiochos Jerusalem plündern und Tausende Juden töten oder versklaven. Zudem erließ er ein Dekret, das das Judentum gesetzlich verbot. Torastudium, Beschneidung und die Befolgung der Schabbatvorschriften wurden zu illegalen Aktivitäten. Der König entweihte den Tempel, errichtete einen heidnischen Altar in ihm, opferte Schweine darauf und zwang Juden, heidnische Götter anzubeten. Angeführt von Mattatias, dem Hasmonäer, rebellierte eine jüdische Priesterfamilie aus dem Dorf Modi’in gegen diese Erlasse.

Die Aufständischen töteten die seleukidische Besatzung, die die dortigen Juden zum Götzendienst zwingen sollte, und flohen in die nahen Berge, um dafür zu kämpfen, als Juden nach den Vorschriften des «Judentums» leben zu können. Nach dem Tod des Mattatias wurde sein Sohn Judas Makkabäus Anführer der Rebellen. In einer Reihe glänzender Erfolge siegte er über die seleukidischen Streitkräfte; gegen Ende des Jahrs 164 v.d.Z. eroberten die jüdischen Aufständischen unter seiner Führung Jerusalem.

feinde Das erste Buch der Makkabäer beschreibt die Szene: «Judas und seine Brüder aber sagten: Unsere Feinde sind nun vernichtend geschlagen. Wir wollen nach Jerusalem hinaufziehen, den Tempel reinigen und ihn neu weihen. Das ganze Heer versammelte sich also und zog zum Berg Zion hinauf. Da sahen sie das Heiligtum verödet daliegen. Der Brandopferaltar war entweiht; die Tore hatte man verbrannt. In den Vorhöfen wuchs Unkraut wie in einem Wald oder auf einem Berg, und die Nebengebäude waren verfallen …» Dann zerstörten Judas und seine Soldaten die heidnischen Einbauten und führten den Tempelkult wieder ein, so wie er vorher gewesen war.

«Am 25. des neunten Monats – das ist der Monat Kislew – im Jahr 148 standen sie früh am Morgen auf und brachten auf dem neuen Brandopferaltar, den sie errichtet hatten, Opfer dar, so wie sie das Gesetz vorschreibt ... Acht Tage lang feierten sie die Altarweihe, brachten mit Freuden Brandopfer dar. … Im Volk herrschte sehr große Freude, denn die Schande, die ihnen die fremden Völker zugefügt hatten, war beseitigt. Judas fasste mit seinen Brüdern und mit der ganzen Gemeinde Israels den Beschluss, Jahr für Jahr zur selben Zeit mit festlichem Jubel die Tage der Altarweihe zu begehen, und zwar acht Tage lang, vom fünfundzwanzigsten Kislew an» (1. Makkabäer 4,36–59).

eroberung Etwa zur gleichen Zeit verabschiedete Antiochos IV. einen Erlass, der mit der Verfolgung des Judentums Schluss machte. Doch der jüdische Aufstand endete damit nicht. Nachdem sie ihre religiöse Freiheit wiedergewonnen hatten, führten die Juden den Kampf fort, bis sie sich 142 n.d.Z. auch ihre politische Unabhängigkeit gesichert hatten. Die späteren Hasmonäer wandten sich dem Eroberungskrieg und der Judaisierung der annektierten Territorien zu, bis sie ein «Groß-Israel» geschaffen hatten, das ganz Judäa, Samaria, Edom, den Nord-Negev, Galiläa, Golan und Teile Transjordaniens umfasste.

Nicht alle Teile der jüdischen Bevölkerung begrüßten diese Eroberungskriege, insbesondere in den Tagen des Hohepriesters und Königs Alexander Jannäus (104–76 v.d.Z.) – der Widerstand vieler seiner jüdischen Untertanen war hartnäckig, und die Pharisäer standen dabei in vorderster Front. Er ließ sie mit größter Härte verfolgen, kreuzigte 800 von ihnen öffentlich und ermordete ihre Frauen und Kinder. Daher überrascht es nicht, dass die Rabbiner, von denen Historiker annehmen, dass sie Nachfolger der Pharisäer waren, die Bedeutung von Chanukka weg von hasmonäischer Kriegslust hin zur vorausschauenden Fürsorge des Allmächtigen verschoben: Die Betonung lag nicht mehr auf dem Gedenken eines jüdischen militärischen Sieges, sondern auf dem bescheidenen Wunder des kleinen Ölkrugs, der acht Tage lang brannte.

Der Autor ist Experte für antikes Judentum und arbeitet derzeit an der ersten wissenschaftlichen Edition der vier Makkabäerbücher in russischer Sprache mit.

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