Regina Jonas

Der zähe Weg einer jüdischen Pionierin

Die Erste: Regina Jonas wurde zwar ordiniert, doch als Rabbinerin amtieren durfte sie nie. Foto: Centrum Judaicum

Sie ist für viele Jüdinnen und Juden ein Vorbild: Regina Jonas, die erste Rabbinerin der Welt. Vor 120 Jahren, am 3. August 1902, kam sie in Berlin zur Welt. Sie wirkte noch in der Nazi-Zeit in der Stadt - bevor sie 1944 im Konzentrationslager Auschwitz ermordet wurde. Regina Jonas wurde nur 42 Jahre alt.

Wie bei Pionierinnen und Pionieren üblich, verlief ihr Weg zur Ordination keineswegs leicht. Dass sie sich zu einem Wirken als Rabbinerin hingezogen fühlte, spürte sie unterschiedlichen Quellen zufolge wohl schon recht früh.

Jonas wuchs auf im jüdischen Scheunenviertel, einem Quartier, das damals von bescheidenem Leben bis hin zu Armut geprägt war. Nach ihrem Abitur belegte sie ein Lehrerseminar, um jüdische Religion an Mädchenschulen unterrichten zu dürfen. 1924 schrieb sie sich an der liberalen Hochschule für die Wissenschaft des Judentums ein – mit dem Ziel, Rabbinerin zu werden.

Die von Abraham Geiger gegründete Hochschule war die erste akademische Einrichtung des liberalen Judentums weltweit – in diesem Frühjahr wurde ihre Eröffnung vor 150 Jahren gefeiert. Sie bestand bis 1942, als die Nationalsozialisten sie schlossen.

Dort war Jonas zwar nicht die einzige Studentin - aber die einzige Frau, die als Rabbinerin ordiniert werden wollte, wie Rabbinerin Elisa Klapheck auf dem Portal Jewish Women’s Archive schreibt. Alle anderen Studentinnen hätten einen akademischen Grad als Lehrerinnen angestrebt.

Nach den Worten Klaphecks wollte Jonas ein weibliches Rabbinat als eine Kontinuität von Tradition verstanden wissen. Jonas sei mit ihren Positionen unabhängig sowohl von der Orthodoxie als auch von dem Reformjudentum gewesen: Die Orthodoxie habe Gleichberechtigung für unvereinbar mit der Halacha, dem jüdischen Religionsgesetz, gehalten. Die Reformer wiederum hätten sich selbst als einzige Befürworter weiblicher emanzipatorischer Interessen gesehen.

Jonas sei zu dem Schluss gekommen, dass fast nichts Halachisches, sondern Vorurteile und fehlende Kenntnisse gegen weibliche Rabbiner stünden - und dass Frauen mit ihren Qualitäten wie Mitgefühl und anderen sozialen Fähigkeiten besonders als Rabbinerinnen geeignet seien, so Klapheck.

Elf Jahre nach ihrer Immatrikulation und der zähen Überwindung von Widerständen war es soweit: Rabbiner Max Dienemann vom Liberalen Rabbinerverband willigte 1935 in die Ordination von Jonas ein. Sie arbeitete fortan in Berlin in der Pastoral und kümmerte sich um Kranke.

Und: Als in den 1930er-Jahren die Nationalsozialisten immer mehr Rabbiner verhafteten oder zur Flucht zwangen, predigte Jonas zunehmend in Synagogen der Stadt - und darüber hinaus.

1942 wurde Jonas mit ihrer Mutter nach Theresienstadt deportiert. Auch dort, mitten in Not und Leid, wirkte sie rabbinisch. Im Herbst 1944 wurden beide Frauen nach Auschwitz deportiert – und wurden wohl kurz nach ihrer Ankunft ermordet.

Lange Jahre war Jonas vergessen. Es war die Theologin Katharina von Kellenbach, die sie ab den 1990er-Jahren wieder bekannt machte, wie es einmal in der »Jüdischen Allgemeinen« hieß. Mittlerweile gibt es zahlreiche Publikationen über sie, und 2021 trug ein Buch über Rabbinerinnen in Deutschland den schönen Titel »Reginas Erbinnen«.

Für Alina Treiger ist Jonas ein Vorbild. Sie selbst steht in einer Nachfolgelinie zu Jonas: 2010 wurde Treiger als erste Frau in Deutschland nach der Schoa zur Rabbinerin ordiniert.

»Regina Jonas und andere Rabbinerinnen haben für mich den Weg geebnet«, sagt sie dazu auf Anfrage. »Sie war eine unglaublich starke Persönlichkeit.« Sie habe großen Respekt davor, dass Jonas geradlinig diesen schwierigen Weg gegangen sei.

Rabbinerin Natalia Verzhbovska aus Bielefeld erklärt zu Jonas‹ 120. Geburtstag, dass sie den Frauen in diesem Amt weltweit Mut gebe, »um weiter für die religiöse Gleichberechtigung aller Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht oder ihrem sozialen Status zu kämpfen, und um die Werte der Tora, die Gerechtigkeit und die Nächstenliebe, zu stärken«.

Nach Angaben der Union progressiver Juden in Deutschland gibt es inzwischen weit über 1000 Rabbinerinnen weltweit. Unter den Mitgliedern der Allgemeinen Rabbinerkonferenz Deutschland sind den Angaben zufolge heute elf Frauen.

Debatte

Für die Freiheit des Glaubens

Moskaus früherer Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt sprach in Berlin über die Folgen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine für das jüdische Leben in Europa

von Gernot Wolfram  23.03.2023

Kleidung

Wann ist ein Jude religiös?

Äußerlichkeiten können in die Irre führen – auch die Befolgung der zwischenmenschlichen Gesetze ist von zentraler Bedeutung

von Daniel Neumann  17.03.2023

Talmudisches

Korpulente Rabbiner

Was unsere Weisen über Leibesfülle und körperliche Gesundheit lehrten

von Vyacheslav Dobrovych  17.03.2023

Wajakhel–Pekude

Herausforderungen angehen

Die Tora lehrt: Der Mensch muss den ersten Schritt tun, dann wird G’tt ihm helfen

von Shlomo Rottman  17.03.2023

English Berlin

Central Council of Jews: Israeli Government Increasingly Divides Society

In talks with Prime Minister Benjamin Netanyahu, Josef Schuster expresses concern about Jerusalem’s course

 16.03.2023

Berlin

»Der Westen muss die russische Opposition unterstützen«

Moskaus Ex-Oberrabbiner Goldschmidt diskutierte mit Norbert Lammert über die Konsequenzen des russischen Angriffskrieges für Juden in Europa

von Gernot Wolfram  15.03.2023

Todesstrafe

Tiefere Wahrheiten

Was die Tora und rabbinische Gelehrte zu staatlich sanktioniertem Töten sagen

von Vyacheslav Dobrovych  14.03.2023

Ki Tissa

Freude und Genuss

Der Schabbat ist ein g’ttliches Geschenk – aber es liegt an uns, ihn vorzubereiten und zu gestalten

von Rabbiner Elischa Portnoy  10.03.2023

Hotline

Wenn der Rabbi Hilfe braucht

Die Europäische Rabbinerkonferenz hat eine »Einsatztruppe« zusammengestellt, die halachische Auskünfte gibt

von Rabbiner Mendel Itkin  10.03.2023