Talmudisches

Vom Umgang mit Zitaten

Wer möchte nicht etwas zur Erlösung der Welt beitragen? Im Talmud (Megilla 15a) findet sich ein Tipp, wie dieses hehre Ziel ohne viel Mühe zu bewerkstelligen ist.

»Rabbi Elazar sagte im Namen Rabbi Chaninas: Wer etwas im Namen des Urhebers sagt, bringt der Welt Erlösung (Ge’ula), denn es heißt: ›Und Esther erzählte es dem König im Namen Mordechais‹ (Esther 2,22).«

Dieser Lehrsatz steht bereits in den Sprüchen der Väter: »Größer ist die Tora als Priestertum und Königtum. Das Königtum wird mit 30 Vorrechten, das Priestertum mit 24, die Tora aber durch 48 Dinge erworben« (6,6).

Jene 48 Dinge zählt dann die Barajta auf. Der letzte Punkt lautet: »Er sagt, was er von einem anderen gehört hat, im Namen dessen, von dem er es hörte. Du hast ja gelernt: Wer ein Wort im Namen dessen sagt, der es gesagt hat, bringt der Welt Erlösung, denn es heißt: ›Und Esther erzählte es dem König im Namen Mordechais‹.«

PLAGIAT Will uns diese Barajta einschärfen, es sei verboten, sich mit fremden Federn zu schmücken? Das Unerlaubte eines Plagiats ist doch selbstverständlich und gehört sicher nicht in eine Liste der 48 Dinge, durch die man die Tora erwirbt. Gegen welche Verhaltensweise wendet sich der paradoxerweise ungenannte Verfasser der Barajta?

Der Me’iri, Rabbi Menachem Ben Schlomo (1249−1315), erklärt, ein Redner solle sich nicht mit der Feststellung »Ich habe gehört, dass …« begnügen, sondern er solle die Quelle beim Namen nennen.

In der Praxis kommt es manchmal vor, dass man eine talmudische Sentenz anführen möchte, doch man erinnert sich nicht mehr, wer sie gesagt hat. Was soll man tun?

Rabbiner Jakob Breisch (1895−1976) schreibt in einem Responsum (Chelkat Jakow, Orach Chajim Nr. 46), dass man in einem solchen Fall sagen soll: »Chasal (unsere Weisen) sagen …«. Ist der Redner jedoch sicher, dass der Ausspruch zum Beispiel von Rabbi Akiva stammt, dann verlangt die Korrektheit, diesen Tannaiten zu nennen.

DIebstahl Der Talmud berichtet an mehreren Stellen, dass sich bestimmte Rabbinen ärgerten, als sie merkten, jemand trage ihre Lehrmeinung vor, ohne ihren Namen zu erwähnen. In unseren Tagen wurden immer wieder Fälle von Diebstahl geistigen Eigentums bekannt. So beklagte sich Rabbiner Menasche Klein (1924−2011) einmal über einen Plagiator: »Sogar einen Druckfehler hat dieser Autor abgeschrieben.«

Kehren wir zum oben zitierten Vers aus dem Buch Esther zurück. Wieso bringt derjenige der Welt Erlösung, der etwas im Namen des Urhebers sagt?

Vom Chatam Sofer, Rabbiner Mosche Sofer (1762−1839), stammt folgende Erklärung: Mordechai sei gar nicht daran interessiert gewesen, dass König Achaschwerosch von ihm wissen soll. Warum hat Esther trotzdem die Geschichte vom geplanten Mordanschlag in seinem Namen erzählt? Weil man eben immer ein Wort im Namen dessen sagen soll, der es gesagt hat. Durch ihre von Mordechai unerwünschte Erwähnung seines Namens hat sie an der Ge’ula mitgewirkt, von der das nach ihr genannte Buch berichtet.

Zu klären bleibt noch der verblüffende Zusammenhang zwischen einer Nennung des Urhebers und der Erlösung. Der Maharal von Prag, Rabbi Jehuda Löw (1520−1609), hat Tiefsinniges über dieses Thema geschrieben.

Er führt aus, dass, wenn Gott eine Erlösung herbeiführt, dann wolle Er, dass Sein Wirken anerkannt wird. So heißt es bei der Ge’ula aus Ägypten: »Und Ägypten soll erfahren, dass Ich der Ewige bin … und die Kinder Israel hinweg führe aus ihrer Mitte« (2. Buch Mose 7,5). Daher lässt Gott nur diejenigen an der Erlösung mitwirken, die stets auf den Urheber hinweisen, wie Esther.

Der Maharal von Prag behandelt auch die naheliegende Frage: Wie kommt es, dass viele Menschen, die korrekt zitierten, doch nicht die Erlösung gebracht haben?

Der Ausspruch von Rabbi Chanina bedeute keineswegs, dass jede Person, die etwas im Namen einer anderen Person sagt, garantiert die Erlösung bringt. Behauptet werde lediglich, dass dann, wenn der Welt Ge’ula gebracht werden soll, solche Personen bei der Verwirklichung mitwirken dürfen, die den wahren Urheber des Geschehens nicht verschweigen werden. Von Königin Esther lernen wir, wie man sich für die Mitarbeit an der Erlösung qualifizieren kann.

Die in Genf geborene Schweizer Schriftstellerin und Philosophin Jeanne Hersch aufgenommen im März 1999

Philosophie

Der Moment des Staunens

Am 13. Juli jährt sich der Geburtstag von Jeanne Hersch zum 115. Mal. Lange wurde die Existentialistin ausgerechnet von der akademischen Forschung marginalisiert – und kaum als jüdische Philosophin wahrgenommen

von Richard Blättel  11.07.2025

Balak

Stärke in Zeiten der Entscheidung

Wie eine uralte Prophezeiung Israels Wesen prägt

von Yonatan Amrani  11.07.2025

17. Tamus

Das ist erst der Anfang

Nun beginnt die jährliche Trauerzeit. Sie soll auf Größeres vorbereiten

von Rabbiner Raphael Evers  11.07.2025

Meinung

Die Kirche schafft sich ab

Jetzt soll ausgerechnet der Antizionismus helfen, den gesellschaftlichen Niedergang der Kirche zu stoppen

von Josias Terschüren  10.07.2025

Nachruf

Er bleibt eine Inspiration für uns alle

Der langjährige Zürcher Gemeinderabbiner Marcel Ebel ist verstorben. Eine Würdigung von seinem Nachfolger

von Rabbiner Noam Hertig  10.07.2025

Talmudisches

Eifersucht: Das bittere Wasser

Unsere Weisen und ein altes Ritual

von Chajm Guski  10.07.2025

Nahost

»Öl ins Feuer des anwachsenden Antisemitismus«

Oberrabbiner Pinchas Goldschmidt wirft der evangelischen Kirche moralisches Versagen vor und kritisiert eine Erklärung des Weltkirchenrats, in der Israel »dämonisiert« werde

 05.07.2025

Chukat

Ein Tier, das Reinheit schafft

Wir können die Mizwa der Roten Kuh nicht verstehen – aber ihre Bedeutung erahnen

von Rabbiner Salomon Almekias-Siegl  04.07.2025

Talmudisches

Die weibliche Idee hinter König David

Was Kabbalisten über Eschet Chajil, die tüchtige Frau, lehren

von Vyacheslav Dobrovych  04.07.2025