Sufganiot

Vom Wunder zum Hüftgold

Nach den Chanukkatagen auf die Waage steigen? Lieber nicht, das Ergebnis könnte frustrierend sein. Foto: Getty Images/iStockphoto

Sie sind sehr beliebt, haben viele Namen und zwingen im Nachhinein oftmals zur Diät. Ob man sie als Berliner, Doughnuts oder Sufganiot kennt, sie sind zweifellos die erste Assoziation, wenn man an Chanukka denkt. Und nachdem die meisten von uns in den vergangenen Chanukka-Tagen wohl schon ein bis zwei Kilo zugenommen haben, werden wir sicherlich auch in den letzten beiden Tagen noch diverse Sufganiot essen und es hinterher bereuen, wenn wir auf die Waage steigen.

BÄCKEREIKETTE Besonders in Israel werden im Zeitraum vor und während Chanukka riesige Mengen von Sufganiot verkauft. Unbestätigten Gerüchten zufolge produziert Angel, Israels größte Bäckereikette, etwa 25.000 Sufganiot pro Tag. Die Kundschaft stammt aus allen Schichten der israelischen Gesellschaft, ob Charedim (streng orthodoxe Juden), traditionelle Juden oder junge Israelis aus Tel Aviv.

Doch woher stammt dieser Brauch, an Chanukka Sufganiot zu essen, und wie kommt es, dass ausgerechnet diese Tradition alle gesellschaftlichen Unterschiede überwunden und sich zu einem universellen Minhag (Brauch) entwickelt hat? Die erste Quelle, in der dieser Brauch erwähnt wird, sind die Schriften von Rabbiner Maimon Ben Josef, besser bekannt als der Vater des Rambam (Maimonides).

Dieser Rabbiner ist nicht so berühmt wie sein prominenter Sohn, aber er war der wichtigste Lehrer des Rambam und ein hochangesehener Dajan, ein Richter an einem jüdischen Gericht in Spanien.

Fettige Speisen essen wir in Anlehnung an das Ölwunder im Tempel von Jerusalem.

So schreibt er in seinem Kommentar zu den Gebeten: »Man sollte im Bezug auf Bräuche, selbst die leichtesten Bräuche, nicht nachsichtig sein. Auch sollte man alle Anstrengungen unternehmen, um Feierlichkeiten und Speisen vorzubereiten, um die Wunder bekannt zu machen, welche G’tt an jenen Tagen für uns vollbracht hat. So ist es an Chanukka üblich geworden, ›Sufganin‹ zu machen, auf Arabisch als ›alsfingh‹ bekannt. Dies ist ein alter Brauch (und der Grund ist), weil sie in Öl gebraten werden, um an den Segen des Öls zu erinnern« (aus dem Arabischen übersetzt und zitiert in Kovez Sarid Ve-Palit von Rabbi Yehuda bar Meir Toledano, Jerusalem 1945).

ÖL In anderen Worten, eines der Chanukka-Wunder bestand darin, dass ein kleiner Krug Öl acht Tage lang brannte, obwohl diese Menge Öl normalerweise nur für einen Tag ausreichen sollte. Um an dieses Wunder zu erinnern, werden Speisen gegessen, welche sehr viel Öl enthalten.
Die meisten Juden kennen diesen Grund für das Essen der fettigen Speisen an Chanukka, können dafür aber keine genaue Quellenangabe machen.

Rabbi Schlomo Zalman Auerbach (1910–1995) schlägt eine weitere, weniger bekannte Erklärung für diesen Brauch vor: Nachdem die Makkabäer das mächtige griechische Heer besiegt und die Eroberer aus dem jüdischen Reich verjagt hatten, machten sie sich daran, den heiligen Tempel in Jerusalem zu reinigen, nachdem er von den Griechen verunreinigt und entweiht worden war.

ALTAR Im Talmud (Avoda Sara 52b) wird berichtet, dass der Misbeach (Opferaltar) aus halachischen Gründen nicht gereinigt werden konnte und begraben werden musste. Dies schmerzte die Makkabäer sehr, und sie wollten sich ihn irgendwie in Erinnerung behalten.

Es entstand der Brauch, Backwaren an Chanukka zu essen, um an den entweihten Altar zu erinnern.

Im Birkat Hamason, dem Gebet nach der Mahlzeit, wird der Opferaltar nicht erwähnt, dafür aber im Al Hamechia/Me’en Schalosch (Gebet nach dem Essen von Backwaren). So entstand der Brauch, Backwaren an Chanukka zu essen, um an den entweihten Altar zu erinnern.

Dies erklärt jedoch nicht, warum ausgerechnet Sufganiot dafür verwendet werden. Ob Erinnerung an das Wunder des Öls oder an den Altar, es ist offensichtlich, dass Sufganiot damals nicht so aussahen, wie wir sie heute kennen. Zwar wurden sie ebenfalls in Öl frittiert und mit Honig oder Sirup übergossen, aber die süße Füllung kam erst einige Jahrhunderte später.

Die ersten gefüllten Krapfen wurden 1485 in dem deutschen Kochbuch Küchenmeisterei erwähnt, wahrscheinlich das erste Kochbuch, das mit Gutenbergs originaler Druckmaschine gedruckt wurde. Damit wären die Quelle und der Grund für diese Tradition geklärt, eine Frage ist aber noch offen geblieben und zwar: Wie kam es dazu, dass Sufganiot in Israel so beliebt geworden sind?

Die ersten gefüllten Krapfen wurden 1485 in dem deutschen Kochbuch Küchenmeisterei erwähnt.

HISTADRUT Laut dem amerikanisch-israelischen Ernährungswissenschaftler Gil Marks (1952–2014) ist die Histadrut, der »Allgemeine Verband der Arbeiter im Lande Israel«, verantwortlich für die außergewöhnliche Beliebtheit der Sufganiot in Israel, und es ging ihnen nicht darum, das Chanukka-Wunder zu verbreiten oder den Altar zu betrauern.

Laut Marks machte die Histadrut in den 20er-Jahren sehr viel Werbung für Sufganiot anlässlich Chanukka, um so viele Arbeitsplätze wie möglich zu schaffen, weil für die Produktion (damals hauptsächlich bestehend aus Handarbeit) und Logistik von Sufganiot weitaus mehr Arbeitskraft benötigt wurde als für Latkes (Kartoffelpuffer).

So kam es dazu, dass nicht nur die orthodoxen und traditionellen Juden an Chanukka Sufganiot essen, sondern (fast) jeder Israeli. Und egal, ob als Erinnerung an das Ölwunder, den Altar oder um die israelische Wirtschaft zu stärken – dieser Brauch gehört zu den wenigen Bräuchen, welche vom ganzen jüdischen Volk angenommen und praktiziert werden. Dafür kann man ein bisschen mehr Hüftgold doch gerne in Kauf nehmen.

Der Autor ist angehender Rabbiner. Er studiert im Jerusalem Kollel.

Chol Ha-Moed

Grund allen Seins

Die 13 Middot, die »Gʼttlichen Eigenschaften«, enthalten universelle Verhaltensnormen für alle Menschen

von Rabbiner Joel Berger  26.04.2024

Essen

Was gehört auf den Sederteller?

Sechs Dinge, die am Pessachabend auf dem Tisch nicht fehlen dürfen

 23.04.2024

Korban Pessach

Schon dieses Jahr in Jerusalem?

Immer wieder versuchen Gruppen, das Pessachopfer auf dem Tempelberg darzubringen

von Rabbiner Dovid Gernetz  22.04.2024

Pessach

Kämpferinnen für die Freiheit

Welche Rolle spielten die Frauen beim Auszug aus Ägypten? Eine entscheidende, meint Raschi

von Hadassah Wendl  22.04.2024

Essen

Was gehört auf den Sederteller?

Sechs Dinge, die am Pessachabend auf dem Tisch nicht fehlen dürfen

 23.04.2024

Mezora

Die Reinheit zurückerlangen

Die Tora beschreibt, was zu tun ist, wenn Menschen oder Häuser von Aussatz befallen sind

von Rabbinerin Yael Deusel  18.04.2024

Tasria

Ein neuer Mensch

Die Tora lehrt, dass sich Krankheiten heilsam auf den Charakter auswirken können

von Yonatan Amrani  12.04.2024

Talmudisches

Der Gecko

Was die Weisen der Antike über das schuppige Kriechtier lehrten

von Chajm Guski  12.04.2024

Meinung

Pessach im Schatten des Krieges

Gedanken zum Fest der Freiheit von Rabbiner Noam Hertig

von Rabbiner Noam Hertig  11.04.2024