Talmudisches

Vom Umgang mit Geistern

Gibt es tatsächlich Geister? Auch in talmudischer Zeit beschäftigten sich die Menschen mit derlei Fragen. Foto: Thinkstock

Talmudisches

Vom Umgang mit Geistern

Wie ein Mann auf dem Friedhof zwei Tote belauschte

von Rabbinerin Yael Deusel  09.10.2017 11:50 Uhr

Es gibt kaum etwas Faszinierenderes als das Geheimnis, was uns wohl nach dem Tod erwartet. So mag sich auch die anhaltende Beliebtheit von Geistergeschichten zu allen Zeiten erklären. Gibt es tatsächlich Geister? Wissen die Verstorbenen, was in der Welt der Lebenden vor sich geht? Kennen sie gar die Zukunft? Können sie uns hören oder mit uns sprechen?

Auch in talmudischer Zeit beschäftigten sich die Menschen mit derlei Fragen. So lesen wir in Berachot 18b nicht nur von freundlichen Geistern, die Auskunft geben über die Orte, wo sie zu Lebzeiten Geld versteckt haben. Wir erfahren auch die Geschichte von einem frommen Mann, der auf der Flucht vor seiner streitsüchtigen Frau auf dem Friedhof übernachtete, und das ausgerechnet am Vorabend von Rosch Haschana.

Welt Dort belauschte er eine Unterhaltung zwischen den Geistern zweier junger Mädchen. »Komm«, sagte die eine zu ihrer Freundin, »lass uns in der Welt umherstreifen und von hinter dem Pargod, dem himmlischen Vorhang, aus erfahren, was im neuen Jahr Schlimmes passieren wird.« – »Ach«, sagte die andere, »ich kann nicht mitgehen, bin ich doch in einer Binsenmatte bestattet. Aber geh du und erzähle mir dann, was du gehört hast.«

Gesagt, getan. Als nun der Geist des ersten Mädchens wieder zurückkam, berichtete er dem anderen: »Ich habe gehört, dass alles, was man im kommenden Jahr zur ersten Regenzeit säen wird, vom Hagel zerschlagen wird.«

Der fromme Mann hörte dies, ging nach Hause und säte erst zur zweiten Regenzeit. Tatsächlich zerschlug der Hagel in jenem Jahr alles, was zur ersten Regenzeit gesät worden war; die Ernte jenes Mannes aber blieb verschont.

Binsenmatte Als wiederum Rosch Haschana kam, begab sich der Mann erneut auf den Friedhof, diesmal freiwillig. Und tatsächlich hörte er wieder die beiden Geister miteinander sprechen, genau wie im Jahr zuvor. Wieder sagte die eine, sie könne nicht mit, wegen der unrühmlichen Binsenmatte, und schickte die andere alleine los.

Am Ende hörte der Mann den einen Geist zum anderen sagen, dass diesmal alles, was in der zweiten Regenzeit gesät werde, vom Mehltau vernichtet würde.

Er ging also hin und säte in diesem Jahr zur ersten Regenzeit aus. Wieder bewahrheitete sich das, was er von den beiden verstorbenen Mädchen gehört hatte, und erneut wurde seine Ernte verschont.

Doch seine Frau wurde misstrauisch und fragte ihn, wie es denn komme, dass er jedes Mal ausgerechnet zur richtigen Zeit sein Feld bestellt habe. Da erzählte ihr der Mann die Geschichte.

Gewebe Dummerweise geriet die zänkische Frau einige Tage später in Streit mit der Mutter des Mädchens, das in der ärmlichen Binsenmatte bestattet worden war, und sie hielt dieser höhnisch vor, was für ein schäbiges Begräbnis sie ihrer Tochter bereitet hätte. Welche Schande – war es doch zu jener Zeit üblich, seine geliebten Toten in teurem Gewebe zu bestatten, selbst wenn man es sich eigentlich nicht leisten konnte. Eine Binsenmatte anstelle eines Leichentuchs verwendeten nur die ärmsten Familien – und die geizigen.

Als sich nun der fromme Mann am nächsten Erew Rosch Haschana wieder auf den Friedhof begab, in freudiger Erwartung einer gewinnbringenden Empfehlung aus der Geisterwelt, da musste er hören, wie ein Mädchengeist zum anderen sagte: »Lass mich bloß in Ruhe mit deinen Neuigkeiten über die Zukunft. Man erzählt ja schon draußen unter den Lebenden herum, was wir hier besprechen!«

Nach vielen Diskussionen schlossen die talmudischen Weisen, dass zwischen der Welt der Lebenden und dem Reich der Verstorbenen wohl doch eine Verbindung bestehe. Sicherheitshalber warnten sie davor, über die Toten Böses zu sagen. Sonst ergehe es einem womöglich wie demjenigen, der schlecht über den verstorbenen Mar Schmu’el redete – und plötzlich fiel eine Stange vom Dach und erschlug den Mann (Berachot 19a).

Potsdam

Abraham-Geiger-Kolleg ordiniert zwei Rabbinerinnen

In Deutschlands größter Synagoge Rykestraße in Berlin-Prenzlauer Berg werden an diesem Donnerstag zwei Rabbinerinnen ordiniert. Zu der Feier wird auch Polit-Prominenz erwartet

 05.11.2025

Vatikan

Theologe: Antisemitismus bei Vatikan-Konferenz kein Einzelfall

Der Salzburger Theologe Hoff berichtet über Eklats bei einer jüngsten Vatikan-Konferenz. Ein Schweizergardist soll sich verächtlich über Mitglieder einer jüdischen Delegation geäußert und in ihre Richtung gespuckt haben

 04.11.2025

Jerusalem

Nach Eklat in Jerusalem: Westfälische Präses setzt auf Dialog

Projekte, Gedenkorte und viele Gespräche: Die Theologin Ruck-Schröder war mit einer Delegation des NRW-Landtags fünf Tage in Israel und im Westjordanland. Angesichts der Spannungen setzt sie auf dem Weg zur Verständigung auf Begegnungen und Dialog

von Ingo Lehnick  04.11.2025

Wittenberg

Judaistin kuratiert Bildungsort zur Schmähplastik

Die Darstellung der sogenannten »Judensau« an der Wittenberger Stadtkirche, der früheren Predigtkirche des Reformators Martin Luther (1483-1546), gehört in Deutschland zu den bekanntesten antisemitischen Darstellungen des Mittelalters

 02.11.2025

Lech Lecha

Im Sinne der Gerechtigkeit

Awraham war der Erste in der Menschheitsgeschichte, der gegen das Böse aufstand

von Rabbiner Salomon Almekias-Siegl  31.10.2025

Talmudisches

Audienz beim König aller Könige

Was unsere Weisen über das Gebet und seine Bedeutung lehren

von Rabbiner Avraham Radbil  31.10.2025

Geschichte

Wer war Kyros der Große?

Manche behaupten, Donald Trump sei wie der persische Herrscher, der den Juden die Rückkehr nach Jerusalem erlaubte. Was hinter dem Vergleich steckt

von Rabbiner Raphael Evers  30.10.2025

Interview

»Süßes gibt’s auch in der Synagoge«

Jugendrabbiner Samuel Kantorovych über Halloween, dunkle Mächte und Hexen im Talmud

von Mascha Malburg  30.10.2025

Vatikan

Papst bedauert Krise im Dialog mit Juden - verurteilt Antisemitismus

Seit Jahren ist der Dialog des Vatikans mit dem Judentum belastet. Nun hat Leo XIV. versucht, die Dinge klarzustellen - mit einem Bekenntnis zum Dialog und gegen den Antisemitismus

von Ludwig Ring-Eifel  29.10.2025