Schabbat

Verborgenes Antlitz

Ort der g’ttlichen Offenbarung: Sinai Foto: Getty Images

Am Laubhüttenfest befinden wir uns unter einem transparenten Schutzdach. Der Himmel muss ständig sichtbar sein. Wir zeigen, dass wir uns nach einem direkten Kontakt mit dem höchsten Wesen sehnen. Mosche kam G’tt so nahe, dass er das Unmögliche wollte.

Der Sohar fragt, wie Mosche es wagen konnte, G’tt zu bitten, ihn Sein Wesen erkennen zu lassen. Das lag daran, dass Mosche 40 Tage und Nächte auf dem Berg Sinai verbracht hatte, ohne zu essen und zu trinken. Mosche dachte, sein Körper sei völlig gereinigt und vergeistigt. Er dachte, dass er in diesem Ausnahmezustand doch in der Lage sein würde, zum Wesen G’ttes vorzudringen.

All dies geschah nach der Sünde des Goldenen Kalbs. Die Beziehung zum Allmächtigen wurde schwer beschädigt. Das Volk war sehr rebellisch. G’tt fürchtete, es zu vernichten, wenn sie wieder abtrünnig würden (2. Buch Mose 33,5). »G’tt sprach zu Mosche: Sage den Kindern Israels: Ihr seid ein hartnäckiges Volk. Würde Ich auch nur einen Augenblick in eurer Mitte sein, müsste Ich euch vernichten.«

ENGEL Die Lösung wäre, das jüdische Volk nicht mehr direkt von G’tt, sondern von einem Engel anführen zu lassen. G’tt würde sich vom jüdischen Volk distanzieren. Mosche hielt jedoch ein leidenschaftliches Plädoyer dafür, dass G’tt sich wieder persönlich um das Volk kümmert. Für Mosche war dies unerlässlich. Er wollte keinen Engel haben. Nur G’tt sollte das jüdische Volk anführen. Mosche sah eine Rolle für die Israeliten als Volk G’ttes nur dann, wenn G’tt sich persönlich um sie kümmern würde.

Am Schabbat von Sukkot lesen wir die Worte, die Mosche an den Ewigen richtet. »Siehe, Du sprichst zu mir: ›Führe dies Volk!‹ Aber Du hast mir nicht offenbart, wen Du mit mir schicken willst. Dabei hast Du mir doch gesagt: ›Ich habe dich mit Namen auserkoren, auch hast du Gnade in Meinen Augen gefunden.‹ Wenn ich auch wirklich Deine Gunst genieße, dann lass mich doch erkennen, was Du vorhast. Ich möchte Dich besser verstehen und noch mehr in Deiner Gunst stehen. Denk doch daran: Dieses Volk ist Dein Volk!« (2. Buch Mose 33, 12–17). Da sprach G’tt: »Wenn Ich mitgehe, würde dich das dann beruhigen?« Mosche antwortete: »Wenn Dein Angesicht nicht voranzieht, dann bring uns lieber nicht von hier weg! Woran sollte man denn erkennen, dass ich und Dein Volk in Deiner Gnade stehen? Doch nur daran, dass Du mit uns ziehst und so ich und dein Volk vor allen anderen Völkern ausgezeichnet werden!«

G’tt erwiderte: »Auch das, was du gesprochen hast, will Ich tun, denn du hast Gnade in Meinen Augen gefunden, und Ich kenne dich genau!«
Mosche suchte nicht nach Ehre für sich selbst. Er verstand, dass das jüdische Volk nur durch eine intensive Bindung an G’tt die Geschichte überstehen und die messianische Zeit als G’ttes Volk erreichen würde. G’tt gab ihm recht und stellte die Verbindung wieder her.

ANLIEGEN Mosche hatte dann noch ein weiteres persönliches Anliegen, den Allmächtigen näher kennenzulernen. »Lass mich doch Deine Herrlichkeit schauen! Und G’tt antwortete: »Ich selbst werde all Meine Güte an dir vorüberziehen lassen und den Namen ›Ewiger‹ vor dir ausrufen (…).«

Dann sagte G’tt: »Du vermagst nicht, Mein Angesicht zu sehen, denn kein Mensch, der Mich sieht, bleibt am Leben (…). Hier auf dem Felsen ist ein Platz bei Mir. Da kannst du stehen. Wenn dann Meine Herrlichkeit vorüberzieht, werde Ich dich in eine Felskluft stellen und Meine Hand über dich decken, bis Ich vorüber bin. Dann werde ich Meine Hand entfernen, so wirst du Mich von hinten sehen. Mein Angesicht aber kann nicht gesehen werden« (2. Buch Mose 33, 18–23).

Kein menschliches Wesen kann G’tt sehen. Sobald G’tt Seine »Güte« offenbart, fliegt die Seele aus dem Körper, um G’tt zu begegnen. Dann sterben wir.

Dennoch durfte Mosche etwas Persönliches von G’tt sehen: Seinen Rücken. Das Antlitz G’ttes bleibt jedoch unsichtbar. Einige Gelehrte sehen darin eine »negative Theologie«: Wir können nicht über G’tt sagen, was Er ist oder tun kann. Nur was G’tt nicht ist, können wir einigermaßen formulieren. Wir werden nie in der Lage sein, unsere menschlichen Unzulänglichkeiten zu überwinden.

Der Autor ist Rabbiner und lebt in Israel.

Die in Genf geborene Schweizer Schriftstellerin und Philosophin Jeanne Hersch aufgenommen im März 1999

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