Ratgeber

Talmudische Dialektik für Manager

Mit Ethik zum Erfolg Foto: Thinkstock

Ratgeber

Talmudische Dialektik für Manager

Nathan Lee Kaplan kombiniert rabbinische Gelehrsamkeit mit Ratschlägen für eine ethische Unternehmenskultur

von Micha Brumlik  31.08.2015 18:04 Uhr

Über Jahrhunderte wurden Juden im christlichen Abendland verachtet, gehasst, gequält und beraubt, weil sie mit Geld handelten, es verliehen und dafür Zinsen nahmen. Tatsächlich: Die Bibel verbietet das Verlangen von Zinsen – ein Prinzip, das die christliche Gemeinschaft übernahm: Christen durften von anderen Christen keine Zinsen nehmen.

Weil die christlichen Herrscher des Mittelalters stets in Geldnot waren, lösten sie das Problem dadurch, dass sie sich Geld von Juden liehen. Juden wurde seither ein besonderes Geschick im Geschäftsleben unterstellt – eine Annahme, die angesichts der großen Massen armer und ärmster Juden vor allem in Ostmitteleuropa offensichtlich falsch war.

Richtlinien Freilich hat der jüdische Glaube den Anspruch, das ganze Leben und damit auch das geschäftliche Leben von Jüdinnen und Juden zu regeln. Entsprechend hat das in der späten Antike entstandene rabbinische Judentum in seinem in mehreren Versionen existierenden Hauptwerk, dem Talmud, auch eine ganz eigene Wirtschafsethik entwickelt, die – obwohl unter den gesellschaftlich ganz anderen Bedingungen einer Sklavenhaltergesellschaft entstanden – auch und gerade heute Richtlinien für ein ethisch verantwortliches Wirtschaften sowie für eine moralisch sensible Unternehmensführung bereithält.

Wer also wissen will, wie sich eine zeitgemäße Unternehmensführung in der Ära des Neoliberalismus mit den Maßgaben talmudischer Ethik verträgt oder doch wenigstens vertragen könnte, kann zu einem Buch greifen, das gewiss noch lange als Standardwerk gelten dürfte. In seiner in Heidelberg entstandenen, gleichwohl auf Englisch verfassten Studie gelingt Nathan Lee Kaplan der anspruchsvolle Versuch, »Management Ethics and Talmudic Dialectics« vor dem Hintergrund ethischer Dilemmata bei der Führung eines Betriebes zu vermitteln.

Unternehmenskultur Der Autor, er ist im Hauptberuf Informatikexperte bei einer großen Consultingfirma, hat aber lange Zeit in einer Jeschiwa studiert, nimmt sich aller relevanten Themen an: der Unternehmenskultur, der Korruptionsproblematik, des »Whistle Blowing«, der sozialen Verantwortlichkeit von Unternehmen im politischen und philanthropischen Bereich sowie der Zulässigkeit von Werbungsmethoden.

Dabei überzeugt die Studie nicht nur durch die hohe betriebswirtschaftliche Kompetenz des Autors, sondern vor allem durch seine talmudische Gelehrsamkeit. Indem er beides nicht nur addiert, sondern gemeinsam vermittelt, gelingen ihm erstaunliche Lösungen, die einem nackten Profitstreben Grenzen setzen können.

So wird etwa das Thema der Verantwortung von Unternehmen gegenüber dem Staat anhand eines talmudischen Lehrsatzes erörtert, wonach es nicht zulässig sei, Steine vom eigenen Grund und Boden in den öffentlichen Bereich zu tragen. Kaplan resümiert: »Diese Tradition soll lehren, dass die öffentliche Bedeutung privater Unternehmen auch Aktionäre und Manager beeinflusst und dass diese sich konsequenterweise, zumindest in einem bestimmten Maß, als untrennbar vom öffentlichen Wohl betrachten sollten.« Bei alledem ist dem Autor bewusst, dass derartige mit dem Mittel der Analogie arbeitende Schlüsse durchaus angreifbar sind.

BWL Dennoch: Kaplans Annahme, dass sich die talmudische Dialektik für betriebswirtschaftliche Dilemmata deshalb eignet, weil es hier um komplexe Entscheidungen, unübersichtliche Handlungsfelder und soziale Güter geht, überzeugt durchaus. Bei alledem bedient er sich selbst talmudischer Argumentationsweisen, die oft genug vom vermeintlich klaren, sachlichen Argument abweichen, um über anekdotische Umwege und Wortspiele zum Punkt zu kommen. Indem Kaplan das marktwirtschaftliche Dogma von der »invisible hand« aufnimmt, aber in ironischer Weiterentwicklung von »indivisible hand« schreibt, kann er dem Atomismus der klassischen Betriebswirtschaftslehre eine Theorie kollektiver, öffentlicher Güter, einer »unteilbaren Hand« eben, entgegensetzen.

Nathan Lee Kaplan: »Management Ethics and Talmudic Dialectics. Navigating Corporate Dilemmas with the Indivisible Hand«. Springer VS, Wiesbaden 2014, 391 S., 59,99 €

Attentat in Sydney

»Was würden die Opfer nun von uns wollen?«

Rabbiner Yehuda Teichtal hat bei dem Attentat in Sydney einen Freund verloren und wenige Stunden später in Berlin die Chanukkia entzündet. Ein Gespräch über tiefen Schmerz und den Sieg des Lichts über die Dunkelheit

von Mascha Malburg  16.12.2025

Meinung

Es gibt kein Weihnukka!

Ja, Juden und Christen wollen und sollen einander nahe sein. Aber bitte ohne sich gegenseitig zu vereinnahmen

von Avitall Gerstetter  15.12.2025

Chanukka

Das jüdische Licht

Die Tempelgeschichte verweist auf eine grundlegende Erkenntnis, ohne die unser Volk nicht überlebt hätte – ohne Wunder kein Judentum

von Rabbiner Aharon Ran Vernikovsky  12.12.2025

Deutschland-Reise

Israels Oberrabbiner besucht Bremen

Kalman Meir Ber trifft Bürgermeister Andreas Bovenschulte und die Präsidentin der Bremischen Bürgerschaft, Antje Grotheer (beide SPD)

 12.12.2025

Wajeschew

Ein weiter Weg

Das Leben Josefs verlief nicht geradlinig. Aber im Rückblick erkennt er den Plan des Ewigen

von Rabbinerin Yael Deusel  12.12.2025

Talmudisches

Nach der Sieben kommt die Acht

Was unsere Weisen über die Grenze zwischen Natur und Wunder lehren

von Vyacheslav Dobrovych  12.12.2025

Chanukka

Nach dem Wunder

Die Makkabäer befreiten zwar den Tempel, doch konnten sie ihre Herrschaft nicht dauerhaft bewahren. Aus ihren Fehlern können auch wir heute lernen

von Rabbiner Julian-Chaim Soussan  12.12.2025

Quellen

Es ist kompliziert

Chanukka wird im Talmud nur selten erwähnt. Warum klammerten die Weisen diese Geschichte aus?

von Rabbiner Avraham Radbil  11.12.2025

Religion

Israels Oberrabbiner erstmals auf Deutschlandbesuch

Kalman Ber startet seine Reise in Hamburg und informiert sich dort über jüdisches Leben. Ein Schwerpunkt: der geplante Neubau einer Synagoge

 10.12.2025