Tischa beAw

Tag der Katastrophen

»Tempelzerstörung« (Francesco Hayez, 1867) Foto: ullstein bild - Pictures from History

Tischa beAw (9. Aw), der Trauertag wegen der Zerstörung des Ersten und Zweiten jüdischen Tempels in Jerusalem (586 v.d.Z. und 70 n.d.Z.), beginnt in diesem Jahr am Samstagabend, dem 10. August, und endet am Sonntagabend, dem 11. August.

Tradition Laut unserer Tradition ereigneten sich an diesem Tag weitere nationale Katas­trophen: Während der Zeit der Wüstenwanderung akzeptierte das jüdische Volk den verleumderischen Bericht der zehn Spione, als Konsequenz wurde ihnen der Einzug in das Land Israel verweigert. Der Aufstand von Bar Kochba wurde von Kaiser Hadrian blutig niedergeschlagen, und die Stadt Betar – der letzte Widerstandsort der Juden – wurde erobert (135 n.d.Z.).

Anschließend wurden das Gebiet des Tempels und die Umgebung umgepflügt. Jerusalem wurde als heidnische Stadt wiederaufgebaut – umbenannt in Aelia Capitolina –, Juden wurde der Zutritt verwehrt. Doch Tischa beAw wird auch mit späteren Katastrophen der jüdischen Geschichte in Verbindung gebracht, darunter die Vertreibung der Juden aus Spanien 1492. Zudem begannen am Vorabend von Tischa beAw im Jahr 1942 die Massendeportationen von Juden aus dem Warschauer Ghetto nach Treblinka.

Seuda Hamafseket Wie gehen wir mit diesem schweren Tag um? Bereits am Nachmittag vor Tischa beAw ist es üblich, eine vollständige Mahlzeit zu sich zu nehmen, um sich auf das Fasten vorzubereiten. Am Ende des Nachmittags essen wir die Seuda Hamafseket – eine Mahlzeit, die nur aus Brot, Wasser und einem hart gekochten Ei besteht.

Die runde Form des Eis erinnert an den Lebenszyklus. Außerdem ist das Ei das einzige Lebensmittel, das umso härter wird, je länger es gekocht wird – ein Symbol für die Fähigkeit des jüdischen Volkes, der Verfolgung standzuhalten. Das Essen der Seuda Hamafseket wird in Asche getaucht, ein Symbol der Trauer. Man sollte vorzugsweise allein essen, während man trauernd auf dem Boden sitzt.

Ab Sonnenuntergang gilt das Gesetz, bis zum Einbruch der Dunkelheit am folgenden Abend nicht zu essen und zu trinken.

Ab Sonnenuntergang gilt das Gesetz, bis zum Einbruch der Dunkelheit am folgenden Abend nicht zu essen und zu trinken. Schwangere und stillende Frauen müssen ebenfalls fasten. Doch falls man den Verdacht hat, dass es für das Baby oder die Mutter schädlich sein könnte, sollte ein Rabbiner konsultiert werden. Auch Alte, Schwache oder Kranke sollten gegebenenfalls einen Rabbiner um Rat fragen.

Wasser Medikamente dürfen (vorzugsweise ohne Wasser) eingenommen werden. Bei starken Beschwerden kann der Mund mit Wasser gespült werden. Es sollte sehr darauf geachtet werden, nichts zu schlucken. Andere Verbote umfassen jegliches Baden oder Waschen, außer zum Entfernen von spezifischem Schmutz. Wenn man morgens vor dem Gebet oder nach dem Toilettengang aufsteht, wäscht man nur die Finger. Deo ist erlaubt, verboten sind der eheliche Verkehr und das Tragen von Lederschuhen.

Ebenso ist es verboten, Tora zu lernen, da dies eine freudige Tätigkeit ist. Erlaubt ist auch, Texte zu lernen, die für Tischa beAw und Trauer relevant sind – zum Beispiel das Buch der Wehklagen, das Buch Hiob, Teile des Traktats Moed Katan, Gittin 56–58, Sanhedrin 104, aus dem Talmud Jeruschalmi das Ende von Ta’anit sowie die Gesetze der Trauer.

Ansonsten ist es geboten, nicht höher als 30 Zentimeter über dem Boden zu sitzen, keine geschäftlichen oder anderen ablenkenden Tätigkeiten auszuführen, andere nicht zu grüßen und ihnen keine Geschenke zu machen. Auch Geschwätz oder Freizeitaktivitäten sollten vermieden werden.

In der Synagoge werden die Lichter gedimmt, Kerzen angezündet und der Vorhang des Aron Hakodesch entfernt. Der Kantor leitet die Gebete mit leiser und trauriger Stimme. Dies erinnert uns an die g’ttliche Gegenwart, die vom Heiligen Tempel gewichen ist.

Eicha Sowohl nachts als auch tagsüber wird das Buch Eicha, Jeremias poetisches Wehklagen über die Zerstörung Jerusalems und des Ersten Tempels, gelesen. Nach dem Nacht- und Tagesg’ttesdienst werden »Kinot« rezitiert.

Eigentlich fällt Tischa beAw in diesem Jahr auf einen Schabbat. In diesem Fall wird der Fastenbeginn bis Samstagabend aufgeschoben. Jedoch sollte die Stimmung bei der Seuda Schlischit (der dritten Mahlzeit) am Schabbat düster sein, man sollte keine Gäste einladen, und das Essen muss vor Sonnenuntergang aufhören. Die Hawdala am Samstagabend wird nur über eine Kerze rezitiert, ohne Wein oder Gewürze. Am Sonntagabend wird die Hawdala dann wieder über Wein gesagt – damit endet Tischa beAw.

Doppel-Interview

»Wir teilen einen gemeinsamen Wertekanon«

Vor 60 Jahren brachte das Konzilsdokument »Nostra aetate« eine positive Wende im christlich-jüdischen Dialog. Bischof Neymeyr und Rabbiner Soussan blicken auf erreichte Meilensteine, Symbolpolitik und Unüberwindbares

von Karin Wollschläger  25.11.2025

Konzil

»Eine besondere Beziehung«

»Nostra Aetate« sollte vor 60 Jahren die Fenster der katholischen Kirche weit öffnen – doch manche blieben im christlich-jüdischen Dialog verschlossen. Ein Rabbiner zieht Bilanz

von David Fox Sandmel  21.11.2025

Toldot

An Prüfungen wachsen

Warum unsere biblischen Ureltern Hungersnöte und andere Herausforderungen erleben mussten

von Vyacheslav Dobrovych  20.11.2025

Kalender

Der unbekannte Feiertag

Oft heißt es, im Monat Cheschwan gebe es keine religiösen Feste – das gilt aber nicht für die äthiopischen Juden. Sie feiern Sigd

von Mascha Malburg  20.11.2025

Talmudisches

Gift

Was unsere Weisen über die verborgenen Gefahren und Heilkräfte in unseren Speisen lehren

von Rabbinerin Yael Deusel  20.11.2025

Jan Feldmann

Eine Revolution namens Schabbat

Wir alle brauchen einen Schabbat. Selbst dann, wenn wir nicht religiös sind

von Jan Feldmann  19.11.2025

Religion

Rabbiner: Macht keinen Unterschied, ob Ministerin Prien jüdisch ist

Karin Priens jüdische Wurzeln sind für Rabbiner Julian-Chaim Soussan nicht entscheidend. Warum er sich wünscht, dass Religionszugehörigkeit in der Politik bedeutungslos werden sollte

von Karin Wollschläger  19.11.2025

Sachsen-Anhalt

Judenfeindliche Skulptur in Calbe künstlerisch eingefriedet

Die Kunstinstallation überdeckt die Schmähfigur nicht komplett. Damit soll die Einfriedung auch symbolisch dafür stehen, die Geschichte und den immer wieder aufbrechenden Antisemitismus nicht zu leugnen

 19.11.2025

USA

6500 Rabbiner auf einem Foto

»Kinus Hashluchim«: Das jährliche Treffen der weltweiten Gesandten von Chabad Lubawitsch endete am Sonntag in New York

 17.11.2025