Maschiach

Sehnsucht nach dem Friedensreich

»Auch wenn sein Kommen lange auf sich warten lässt, so hoffe ich doch jeden Tag auf sein Kommen«, schreibt Maimonides, der Rambam, in seinem zwölften Glaubensartikel. Foto: © Gregor Zielke

Wir erleben eine langsame Entwicklung, in der die Menschheit allmählich auf das messianische Friedensreich vorbereitet wird – natürlich ins­piriert von oben. Ich glaube, dies war die Absicht G’ttes, als Er die Welt erschuf.

Nach der talmudischen Tradition wird diese Welt, wie wir sie kennen, 6000 Jahre andauern. In der jüdischen Zeitrechnung befinden wir uns in diesem Moment im Jahr 5781 seit der Erschaffung der Welt, gegen Ende des sechsten Jahrtausends.

Nach dem Talmud waren die ersten 2000 Jahre der Welt ein geistiges Chaos, eine Zeit ohne jegliches Bewusstsein für die Tora. Im Jahr 1948 nach der Schöpfung (vor 3833 Jahren) stand Awraham, unser Erzvater, auf und begann, Wissen über die Tora zu verbreiten.

Die Tora wurde uns im Jahr 2448 nach der Schöpfung gegeben, und die zweite Periode von 2000 Jahren war die Periode, in der die Tora ausgearbeitet und schließlich die mündliche Lehre (der Talmud und die Essenz des Judentums) niedergeschrieben wurde.

GLAUBENSARTIKEL Die letzten 2000 der 6000 Jahre, die wir in dieser G’ttesfinsternis zu gehen haben, wird die Ära des Messias genannt. Das messianische Zeitalter ist noch nicht gekommen. Trotzdem glauben wir ausnahmslos an das Kommen des Maschiach. Maimonides, der Rambam, geht in seinem zwölften Glaubensartikel auf das Kommen des Maschiach ein: »Auch wenn sein Kommen lange auf sich warten lässt, so hoffe ich doch jeden Tag auf sein Kommen.«

Durch den Glauben erhalten wir Kraft. Stärke gibt uns Hoffnung. Hoffnung führt zu Güte und Schönheit, und das gibt uns Liebe.

Im 20. Jahrhundert gab es Theologen, die eine direkte Verbindung zwischen der Schoa und der Wiederauferstehung des Staates Israel herstellten – wie Phönix aus der Asche. Hoffnung und Vorfreude auf eine glorreiche Zukunft hätten die größte Katastrophe der jüdischen Geschichte überwunden, meinten sie.

Aber diese Verbindung lässt sich nicht so einfach herstellen. Zionismus und Messianismus sollten nicht miteinander verwechselt werden. Der Zionismus ist als eine historische Bewegung zu sehen und entspricht nicht in erster Linie einer messianischen Erwartung.

Der Staat Israel ist nicht die Erfüllung der messianischen Erwartung.

Der Messianismus verweist auf eine Geschichte der Erlösung. Das Judentum sieht jedoch einen fließenden Übergang zwischen der menschlichen Geschichte und der Apokalypse in Form eines zunehmenden G’ttesbewusstseins und einer stärkeren Ausrichtung auf g’ttgefällige Ziele.

PHASEN Wie sieht das Judentum den Übergang von der gewöhnlichen Geschichte zur Apokalypse? Es gibt viele Szenarien: von einem sehr plötzlichen Übergang bis hin zu einer sehr allmählichen Entwicklung. Was ich im Moment sehe, ist eine langsame Evolution. Nach jüdischen Quellen ist die erste Phase der Erlösung die Wiederherstellung der davidischen Herrschaft. Die zweite Phase ist die endgültige Verwirklichung des vollkommenen Weltfriedens unter G’ttes Inspiration und Führung, mit dem Maschiach als Herrscher hier auf Erden.

Das Reich von König David ist ein Vorbild geblieben für spätere Generationen. Der Maschiach wird von David abstammen und als Friedensfürst ein universelles Friedensreich der Liebe und Gerechtigkeit errichten. Es wird keinen Krieg mehr geben. Alle Völker werden die Erwartungen G’ttes auf harmonische und einheitliche Weise erfüllen. G’ttes Wort wird von Zion aus die ganze Welt bedecken.

KRITERIEN In der Religion sind Triumph und irdischer Erfolg keine Kriterien für G’ttes Zustimmung. Erfolg ist im Allgemeinen kein religiöses Kriterium. Für Maimonides ist jedoch »Erfolg« das ultimative Kriterium für den Maschiach: Derjenige, dem es gelingt, die messianischen Erwartungen zu erfüllen, ist der wahre Maschiach.

Das Christentum hat den messianischen Scheck vor zwei Jahrtausenden eingelöst. Im Judentum gibt es jedoch noch Hoffnung.

Warum ist der Maschiach für uns zentral? Jeder religiöse Mensch muss sich von Zeit zu Zeit die Frage stellen: »Wie kann es sein, dass Haschem eine Welt geschaffen hat, die nicht immer perfekt ist?« Die Antwort ist, dass der Maschiach in der Lage sein wird, der Menschheit die Augen zu öffnen – sogar im Rückblick – und die totale Vorsehung und Ganzheit G’ttes in der gesamten Schöpfung in allen Aspekten der Geschichte aufzuzeigen. Wir leben derzeit im Jahr 5781. Wenn wir die Jahrtausende mit den Wochentagen vergleichen, befinden wir uns jetzt am Freitagnachmittag.

ZEITGEIST Am Freitagnachmittag geht in einer jüdischen Familie alles schneller. Das ist der Zeitgeist, mit dem wir heute leben. Alles bewegt sich in einem rasanten Tempo. Langsam fügen sich alle Teile des Puzzles zusammen. Alles, was schiefzugehen schien, wird nun langsam korrigiert und steuert auf den g’ttlichen Wunsch der Vollkommenheit zu Beginn der Schöpfung zu.

Die Endzeit ist nicht mehr weit entfernt. Im Talmud wird versprochen, dass der Messias sich vor dem Jahr 6000 offenbaren wird (wir sind jetzt im Jahr 5781, also kann es noch 219 Jahre dauern). Wenn der Schein nicht trügt, sieht es so aus, als ob ein Anfang dieses Befreiungsprozesses bereits begonnen hat.

Laut dem Talmud wird Maschiach Ben Josef verlieren und Ben David triumphieren.

Der Maharascha, Rabbi Schmuel Edels, beschreibt eine alte Tradition, in der eine gewisse politische Freiheit im Land Israel vor der Ankunft des Maschiach angekündigt wird.

Die Toraexegeten Rambam und Redak erwähnen weiter, dass die Sammlung der Exilanten (Kibbuz Galujot) unter der Schirmherrschaft der Nationen stattfinden wird, während der Talmud hinzufügt, dass der Boden des Landes Israel vor der Ankunft des Maschiach wieder kultiviert werden wird. Alle diese Bedingungen sind heute realisiert.

Die Bedingung, dass die Mehrheit des jüdischen Volkes in Israel leben muss, ist jedoch bis heute nicht erfüllt worden. Aber der Kibbuz Galujot und der Wiederaufbau gehen Hand in Hand, was wir heute mit eigenen Augen sehen.

WIDERSPRÜCHE Es mag klar sein, dass die Zeit des Maschiach naht. Aber es gibt widersprüchliche Tendenzen und noch viele Unebenheiten zu überwinden. G’ttes Plan für unser Universum und die menschliche Geschichte entfaltet sich vor unseren Augen, wenn wir bereit sind, ihn zu sehen.

Es gab zwei Jahrtausende der völligen Verderbtheit und Dunkelheit. Dann folgten zwei Jahrtausende der Tora – die Zeit, in der wir uns langsam auf die messianische Zeit vorbereiten.

Wir gehen davon aus, dass in der Zeit des Messias die Tora in allen Bereichen voll anwendbar sein wird. In messianischer Zeit werden wir wieder in der Lage sein, alles Irdische, Materielle und Physische vollständig mit dem g’ttlichen Geist zu verbinden, der die Grundlage dieses Universums ist. Der wiederaufgebaute Tempel wird das Beispiel für eine Verschmelzung von Physischem und Geistigem sein.
Und hiermit richten wir unsere Augen auf unseren Vater im Himmel und beten für die baldige Ankunft des messianischen Friedensreiches.

Der Autor ist Rabbiner und lebt in Israel.

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